Лев Толстой

Die Kosaken


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und Postillone und Stationsaufseher erschienen ihm als schlichte Menschenkinder, mit denen er ungezwungen scherzen und plaudern konnte, ohne lange zu fragen, zu welcher Kaste sie gehörten. Sie alle gehörten doch zum Menschengeschlecht, das Olenin als solches unbewußt liebte, und alle benahmen sich gleich herzlich gegen ihn.

      Noch im Gebiet der Donischen Kosaken hatten sie den Schlitten mit einem Wagen vertauscht; und hinter Stawropol wurde es schon so warm, daß Olenin ohne Pelz fuhr. Es war bereits Frühling – ein unerwarteter, froher Frühling für Olenin. Zur Nacht ließ man ihn nicht mehr fort aus den Kosakendörfern, und am Abend hieß es, es sei gefährlich zu reisen. Wanjuscha wurde ein bißchen ängstlich, und ein geladenes Gewehr lag stets im Wagen bereit. Olenin aber ward immer froher gestimmt. Auf einer Station erzählte der Vorsteher von einer grausigen Mordtat, die kurz vorher auf der Landstraße begangen worden sei. Ab und zu begegnete man bereits Bewaffneten.

      »Hier fängt's also an!« sprach Olenin bei sich selbst und erwartete jeden Augenblick, die schneebedeckten Berggipfel zu sehen, von denen man ihm so viel erzählt hatte.

      Eines Tages, gegen Abend, zeigte der Postillon, ein Tatar vom Stamme der Nogajer, mit der Peitsche nach den hinter den Wolken hervorlugenden Bergen. Olenin sah begierig hin, doch es war trüb, und die Wolken verhüllten die Berge zur Hälfte. Er sah etwas Graues, Weißes, Gezacktes, und so sehr er sich auch Mühe gab: er vermochte in dem Anblick der Berge, von denen er so viel gelesen und gehört hatte, nichts besonders Schönes zu entdecken. Er dachte bei sich, daß Berge und Wolken überall in der Welt ganz gleich aussähen, und daß die vielgerühmte Schönheit der Schneeberge genau so ins Reich der Einbildung gehöre, wie die Schönheit der Bachschen Musik, oder die Liebe zum Weibe, an die er nicht glaubte. Er war nun nicht mehr so gespannt auf die Bekanntschaft mit den Bergen. Tags darauf aber, ganz früh am Morgen, als die Kühle in seinem Wagen ihn weckte, warf er wie zufällig einen Blick nach rechts. Der Morgen war völlig klar. Plötzlich sah er in einer Entfernung von etwa zwanzig Schritten – so weit schien es ihm im ersten Augenblick – die blendend weißen Bergriesen mit den zarten Umrissen und die gebrochene, scharf gezeichnete Grenzlinie zwischen ihren Gipfeln und dem dahinter liegenden Himmel. Und als er dann den ganzen weiten Abstand zwischen ihm selbst und den Bergen und dem Himmel, die ganze Massenhaftigkeit dieser Riesengipfel begriff und die Unendlichkeit ihrer Schönheit empfand, da erschrak er und glaubte, es sei eine Täuschung der Sinne, ein Traum. Er schüttelte sich, um zu erwachen, die Berge aber blieben unverändert.

      »Was ist das? Was ist das dort?« fragte er den Postillon.

      »Das sind die Berge«, versetzte der Nogajer gleichgültig.

      »Auch ich sehe sie mir schon lange an«, sagte Wanjuscha. »Wie schön das ist! Zu Hause würden sie's nicht glauben!«

      Die schnelle Bewegung des Wagens auf der ebenen Straße bewirkte, daß die Berge, deren Gipfel vom rosigen Lichte der aufgehenden Sonne übergossen waren, am Horizonte hinzulaufen schienen. Anfangs riefen die Berge in Olenin nur ein gewisses Erstaunen hervor, dann empfand er bei ihrem Anblick etwas wie Freude; und je länger er auf diese Kette von Schneebergen hinschaute, die nicht aus anderen, dunkleren Bergen, sondern unmittelbar aus der Steppe hervorwuchs und über ihr hinlief, desto tiefer drang er in das Wesen dieser Schönheit ein, und er fühlte die Berge. Von diesem Augenblick an nahm alles, was er nur sah, alles, was er dachte, alles, was er fühlte, für ihn den neuen, streng majestätischen Charakter der Berge an. Alle seine Moskauer Erinnerungen, alle Scham und Reue, alle törichten Schwärmereien vom Kaukasus schwanden in nichts zusammen, um nie wiederzukehren. »Jetzt hat es begonnen«, sprach gleichsam eine feierliche Stimme in ihm. Die Straße, und die in der Ferne sichtbare Tereklinie, und die Kosakendörfer, und die Bevölkerung – alles das erschien ihm jetzt nicht mehr in einem harmlosen Lichte. Er blickt zum Himmel empor und denkt: die Berge! Er sieht sich selbst, sieht Wanjuscha an und denkt wieder an die Berge. Dort reiten zwei Kosaken daher; die Gewehre in den Futteralen hüpfen auf ihren Rücken gleichmäßig auf und nieder, während die braunen und grauen Beine der beiden Pferde wirr durcheinanderlaufen; er aber sieht nichts weiter als die Berge ... Jenseits des Terek steigt der Rauch über einem Aul1 in die Höhe, aber die Berge ... Die Sonne geht auf und spiegelt sich in den Fluten des Terek, die hinter dem Schilfrohr hindurchschimmern – aber die Berge ... Aus einem Kosakendorf kommt ein Wagen angerasselt, Frauen, hübsche junge Frauen, gehen vorüber – aber die Berge ... Abreken sprengen über die Steppe dahin – – und ich fahre hier und fürchte sie nicht, ich habe mein Gewehr, meine Kraft, meine Jugend – aber die Berge ...

      1 Dorf

      4

      Jener ganze, etwa achtzig Werst lange Teil der Tereklinie, in dem die Dörfer der Bergkosaken liegen, trägt bezüglich der Örtlichkeit wie der Bevölkerung einen gleichmäßigen Charakter. Der Terek, der die Kosaken von den Bergbewohnern trennt, fließt trüb und rasch dahin; er ist hier schon breit und ruhig und schwemmt beständig einen grauen Sand an dem niedrigen, mit Schilf bewachsenen rechten Ufer an, während er das steile, wenn auch nicht allzu hohe linke Ufer unterspült und die Wurzeln der dort wachsenden hundertjährigen Eichen, der modernden Platanen und des jungen Unterholzes bloßlegt. Auf dem rechten Ufer liegen ruhige, wenn auch noch nicht völlig friedliche Auls; am linken Ufer, eine halbe Werst vom Flusslauf entfernt, sind in Abständen von sieben bis acht Werst die Kosakendörfer verteilt. In früherer Zeit hatte die Mehrzahl dieser Dörfer dicht am Ufer gelegen; aber der Terek, der sein Bett von Jahr zu Jahr weiter von den Bergen weg nach Norden verlegte, hatte sie öfters überschwemmt, und jetzt sah man dort nur noch dicht überwucherte alte Hausruinen, Obstbäume, Pyramidenpappeln und Gemüsegärten, in denen zwischen den Gemüsen Brombeersträucher und verwilderte Weinstöcke wucherten. Kein Mensch wohnte jetzt mehr dort drüben, man sah im Sande nur die Spuren der Hirsche, Wölfe, Hasen und Fasanen, die sich an diesen Stätten mit Vorliebe aufhielten.

      Von Dorf zu Dorf zieht sich ein Weg hin, der schnurgerade wie die Bahn einer Geschützkugel durch den Wald gehauen ist. An dem Wege liegen die Wachthäuser, in denen die Kosaken stationiert sind; zwischen den Wachthäusern, auf den Wachttürmen, sind die Posten ausgestellt. Nur ein schmaler, etwa dreihundert Faden breiter Streifen fruchtbaren Waldbodens bildet den Grundbesitz der Kosaken. Nördlich davon beginnen die Sanddünen der Nogajschen oder Mosdokschen Steppe, die sich in nördlicher Richtung weithin ausdehnt und Gott weiß wo in die Truchmenische, Astrachansche und Kirgis-Kaissakische Steppe übergeht. Südwärts, jenseits des Terek, erhebt sich die große Tschetschnja, weiterhin der Kotschkalossowsche Bergrücken, die Schwarzen Berge, noch irgendein Bergrücken und endlich die Schneeriesen, die noch nie ein Mensch bestiegen hat. In diesem fruchtbaren, waldigen und von üppigem Pflanzenwuchs bestandenen Landstrich lebt seit undenklichen Zeiten eine kriegerische, stattliche und wohlhabende russische Bevölkerung, die sich zum altgläubigen Sektierertum bekennt, unter dem Namen der Grebenischen oder Bergkosaken.

      Vor langer, langer Zeit waren ihre Vorfahren um des Glaubens willen aus Russland geflüchtet und hatten sich jenseits des Terek mitten unter den Tschetschenzen auf dem Grebenj, dem ersten Höhenzug der waldigen Großen Tschetschnja, angesiedelt. Im Zusammenleben mit den Tschetschenzen hatten die Kosaken sich mit letzteren vermischt und die Gebräuche, die Lebensweise und die Sitten der Bergbewohner angenommen; doch hatten sie die russische Sprache und den alten Glauben in ihrer ganzen ursprünglichen Reinheit bewahrt. Eine Überlieferung, die bis auf den heutigen Tag unter den Kosaken lebendig ist, besagt, daß Zar Iwan der Schreckliche an den Terek gekommen sei, die Ältesten vom Grebenj zu sich zu berufen, ihnen diesseits des Flusses Land geschenkt, sie zu friedlichem Zusammenhalten ermahnt und ihnen versprochen habe, sie würden weder zur Unterwerfung noch zu einem Glaubenswechsel gezwungen werden. Bis auf den heutigen Tag glauben verschiedene Kosakenfamilien mit den Tschetschenzen verwandt zu sein, und die Liebe zur Freiheit, zum Müßiggang, zu Raub und Krieg bilden die Hauptzüge ihres Charakters. Der Einfluß Russlands macht sich bei ihnen in recht mißliebiger Weise geltend: durch Beeinflussung der Wahlen, durch Wegnahme der Kirchenglocken und durch die Lasten, die mit der militärischen Besetzung des Landes und den Truppendurchzügen verbunden sind. Der Kosak haßt, einer inneren Stimme folgend, den »Dschigit« aus den Bergen, der seinen Bruder getötet hat, weniger als den Soldaten, der bei ihm im Quartier liegt und sein Dorf beschützen soll, ihm jedoch die Hütte mit seinem