zu bekommen. Er wandte sich herum und kratzte mit beiden Händen seinen langen Rücken. »Wir haben hier auf Abreken zu lauern, nicht auf Wildschweine«, sagte er. »Hast du nichts von ihnen gehört, Onkel, wie?« fügte er hinzu, wobei er ohne Anlass mit den Augen blinzelte und die dichtstehenden weißen Zähne zeigte.
»Abreken?« erwiderte der Alte – »nein, ich habe nichts gehört. Wie steht's denn, habt ihr nicht 'nen Schluck Wein da? Laß mich mal trinken, mein Lieber! Man wird, weiß Gott, müde bei der Jägerei. Ich bring' dir auch frisches Wildbret, wart's ab – bring' dir wirklich welches! Gib schon her den Wein«, fügte er hinzu.
»Du willst also hier wirklich auf die Pirsch gehen?« fragte der Unteroffizier und tat, als habe er die Bitte des andern nicht gehört.
»Ja, das wollte ich wohl, so eine Nacht hindurch«, versetzte Onkel Jeroschka. »So Gott will, schieß' ich was zum Feste, dann sollst auch du etwas abhaben, wirklich!«
»Onkel! Heda, Onkel!« rief Luka laut von oben her, daß die Kosaken sich alle nach ihm umwandten – »geh doch mal nach dem oberen Durchfluß, dort haust ein starkes Rudel Wildschweine. Ich lüge nicht, weiß Gott! Vor ein paar Tagen hat einer von unsern Kosaken eins geschossen, ich sag' dir die Wahrheit«, fügte er hinzu, während er seine Büchse auf dem Rücken zurechtschob. Man hörte es am Tone seiner Worte, daß er nicht scherzte.
»Ah, da ist ja auch Lukaschka, der Greifer!« sagte der Alte und blickte hinauf. »Wo war es, sagst du, daß er das Schwein geschossen hat?«
»Ganz dicht am Graben«, sagte Lukaschka. »Und du hast nicht mal eins gesehen – bist wohl noch zu klein, Onkel! Wir gingen so am Graben hin, als es mit einem Mal durchs Gebüsch brach. Ich hatte meine Büchse im Futteral, Iljaska aber knallte drauf los ... Ich zeig' dir die Stelle, Onkel, es ist nicht weit dahin, wart' mal. Ich kenne die Fährte ganz genau, Alter! Onkel Mossew«, sagte er in bestimmtem, fast befehlendem Tone zum Unteroffizier – »es ist Zeit zur Ablösung!« Und ohne erst den Befehl abzuwarten, nahm er sein Gewehr auf und stieg vom Wachtturm herab.
»Komm herunter!« sagte der Unteroffizier nachträglich und sah sich dann um. »Jetzt ist an dir die Reihe, nicht wahr, Gurka? Geh also! Ist ein fixer Bursche geworden, dein Lukaschka«, fuhr der Unteroffizier, zu dem Alten gewandt, fort. »Ist immer unterwegs – ganz wie du, hat keine Ruhe zu Hause!«
1 Jacke
7
Die Sonne war bereits untergegangen, und die Schatten der Nacht rückten rasch vom Walde her näher. Die Kosaken hatten ihren Wachtdienst beendet und sich zum Abendessen in der Stube versammelt. Nur der Alte, der immer noch auf den Habicht lauerte und von Zeit zu Zeit den am Bein angebundenen Bussard zupfte, war unter der Platane geblieben. Ein Habicht saß wohl auf dem Baume, stieß jedoch nicht auf das Hühnchen herab. Lukaschka brachte gemächlich auf dem Fasanensteig, im Dickicht des Dornengesträuchs, die Schlingen für den Fasanenfang in Ordnung und sang dabei ein Lied nach dem andern. Trotz seines mächtigen Wuchses und der großen, rauen Hände ging ihm offenbar jede Arbeit, ob grob oder fein, rasch vonstatten.
»Heda, Luka!« vernahm er auf kurze Entfernung aus dem Gebüsch die durchdringend schrille Stimme Nasarkas. »Die Kosaken sind zum Abendbrot gegangen!«
Nasarka drängte sich mühsam, mit einem lebenden Fasan unter dem Arm, durch das Dornengebüsch und gelangte auf den schmalen Waldpfad.
»O!« rief Lukaschka, der mit dem Singen aufgehört hatte – »woher hast du denn den Hahn? Der saß doch sicher in meiner Schlinge!«
Nasarka war im gleichen Alter wie Lukaschka und war ebenfalls erst seit dem Frühjahr bei der Truppe. Er war ein kleiner, häßlicher Mensch, hager und kränklich, mit einer kreischenden Stimme, die unangenehm im Ohr klang. Er war Lukas Nachbar und Spielkamerad gewesen. Lukaschka saß nach Tatarenart, mit gekreuzten Beinen, im Grase und band die Schlingen fest.
»Ich weiß nicht, wessen Schlinge es war, es kann wohl sein, daß sie dir gehörte«, sagte Nasarka.
»Hinter der Grube, nicht wahr – bei der Platane? Das war meine Schlinge, ich habe sie gestern gelegt.«
Lukaschka stand auf und besah sich den gefangenen Fasan. Er streichelte ihm den dunkelblauen Kopf, den der Hahn ganz erschrocken emporstreckte, während er gleichzeitig die Augen verdrehte. Dann nahm Lukaschka ihn zwischen beide Hände.
»Der gibt einen schönen Pilaw, schlachte und rupfe ihn!«
»Wollen wir ihn selber verzehren, oder soll auch der Unteroffizier etwas abbekommen?«
»Es wird wohl auch für ihn reichen.«
»Ich trau' mich nicht, ihn zu schlachten«, sagte Nasarka.
»Gib her!«
Lukaschka holte ein kleines Messer unter seinem Dolch hervor und tat damit einen raschen Schnitt. Der Hahn begann sich zu sträuben, doch kam er nicht mehr dazu, die Flügel auszustrecken, denn schon bog sein blutiger Kopf sich zuckend zurück.
»So muß man's machen, siehst du!« sprach Lukaschka und warf den Hahn hin.
Nasarka blickte auf den Hahn, und ein Schauer überlief ihn.
»Hör' mal, Luka, der Teufelskerl schickt uns sicher wieder nach dem vorgeschobenen Posten«, sagte er, während er den Fasan aufnahm. Unter dem »Teufelskerl« verstand er den Unteroffizier. »Den Fomuschkin hat er nach Wein geschickt«, fuhr er dann fort, »der wäre sonst an der Reihe. Nacht für Nacht müssen wir heran, immer wieder schickt er uns vor.«
Lukaschka ging pfeifend nach dem Wachthause zu.
»Nimm die Schnur da mit!« rief er.
Nasarka gehorchte.
»Ich sag's ihm aber heute, bei Gott, ich sag's ihm«, fuhr Nasarka fort. »Wir erklären einfach, wir gehen nicht, wir sind müde. Abgemacht! Oder sag' du es ihm – weiß Gott, er hört auf dich! Was soll denn das heißen, uns immer dahin zu schicken!«
»Was redest du da erst lange!« sagte Lukaschka, der offenbar an etwas anderes dachte. »Dummes Zeug! Ja, wenn wir so im Dorfe wären und über Nacht fort sollten – das wäre unangenehm! Dort hat man sein Vergnügen, aber hier? Ob man im Wachthause sitzt, oder auf dem vorgeschobenen Posten – das bleibt doch ganz gleich! Was ist da noch groß zu reden ...«
»Wann gehst du wieder ins Dorf?«
»Zum Feiertag geh' ich hin.«
»Gurka erzählte, daß deine Dunaika es mit Fomuschkin hält«, sagte Nasarka plötzlich.
»Hol' sie der Teufel!« antwortete Lukaschka und wies dabei, ohne indes zu lachen, seine dichten, weißen Zähne. »Als ob ich keine andere fände!«
»Gurka erzählte, er sei zu ihr gekommen, und ihr Mann sei nicht dagewesen. ›Mein Fomuschkin,‹ erzählte er, ›saß da und aß von einer Pastete.‹ Gurka saß ein Weilchen und ging dann fort; und wie er am Fenster vorübergeht, hört er, wie sie sagt: ›Gut, daß er fort ist, mein Satan; willst du nicht noch von der Pastete essen, lieber Schatz? Und zu schlafen,‹ sagt sie, ›brauchst du auch nicht zu Hause.‹ Und er sagt darauf: ›Gut, meine Liebe!‹«
»Das hast du gelogen!«
»Es ist wahr, bei Gott!«
Lukaschka schwieg ein Weilchen.
»Hat sie einen anderen gefunden, dann hol' sie der Teufel!« sagte er dann. »Als ob's nicht Weiber genug gäbe! Sie war mir ohnedies schon zuwider.«
»Bist doch ein Mordskerl!« sagte Nasarka. »Solltest mal bei Marianka, der Fähnrichstochter, anklopfen. Die scheint noch mit keinem zu gehen.«
Lukaschkas Blick verfinsterte sich.
»Was mach' ich mir aus Marianka! Eine ist wie die andere«, sagte er.
»Mach' dich mal an sie heran! ...«
»Rede doch nicht! Die oder eine andere – es gibt Mädchen genug im Dorfe!«