hat?« fragte einer der Geschworenen.
»Ich kann's nicht glauben, um keinen Preis!« schrie der gutmütige Kaufmann. »Die ganze Sache ist von dieser rotäugigen Hexe eingerührt.«
»Die taugen alle miteinander nicht viel,« sagte der Oberst.
»Aber sie behauptet doch, gar nicht in dem Zimmer gewesen zu sein!«
»Ja, glauben Sie ihr das nur! Ich würde dieser abscheulichen Person um nichts in der Welt glauben.«
»Das will noch nicht viel heißen, daß Sie ihr nicht glauben würden,« sagte der Kommis.
»Den Schlüssel hat doch die andere gehabt!«
»Nun, was will das sagen?« warf der Kaufmann ein.
»Und der Ring?«
»Sie hat doch erzählt, wie sie zu dem gekommen ist,« schrie der Kaufmann wieder. »Der Smjelkow war eben ein Hitzkopf und hatte obendrein getrunken. Er schlug sie – na, und dann tat's ihm leid, man kennt das ja. ›Da hast du,‹ sagte er, ›weine nicht!‹ Er war eben ein Gewaltmensch: zwölf Zoll groß, heißt es ja, und sicher an die acht Pud schwer!«
»Das ist hier Nebensache,« unterbrach ihn Peter Gerassimowitsch. »Es fragt sich, ob sie die ganze Sache angestiftet hat, oder die Dienstboten.«
»Die Dienstboten können es unmöglich allein getan haben. Den Schlüssel hat sie gehabt.«
Eine ganze Weite ging die Unterhaltung so ohne Zusammenhang weiter.
»Aber erlauben Sie, meine Herren,« sagte der Obmann – »nehmen wir erst einmal am Tische Platz und erwägen wir dann alles Punkt für Punkt. Bitte!« sagte er, auf dem Präsidentensitze Platz nehmend.
»Diese Dirnen sind ein ganz abscheuliches Gesindel,« sagte der Kommis, und um seine Meinung, daß die Maslowa die Hauptschuldige sei, zu beweisen, erzählte er, wie eine von dieser Sorte auf dem Boulevard seinem Freunde die Uhr gestohlen habe.
Der Oberst benutzte die Gelegenheit, um einen noch eklatanteren Fall, bei dem es sich um den Diebstahl eines silbernen Samowars handelte, zum besten zu geben.
»Ich bitte, meine Herren, halten wir uns an die Frageliste,« sagte der Obmann, mit dem Bleistift auf den Tisch klopfend.
Alle verstummten. Die Schuldfragen waren wie folgt gefaßt:
1. Ist der Bauer Simon Petrow Kartinkin, aus dem Dorfe Borki, Bezirk Krapiwno, gebürtig, 33 Jahre alt, schuldig, am 17. Januar 18.. in der Stadt N. den Kaufmann Smjelkow, um ihn in Gemeinschaft mit andern Personen zu berauben, vorsätzlich ums Leben gebracht zu haben, indem er ihm Gift in Kognak eingegeben, wodurch der Tod des Smjelkow erfolgte, und ihm dann 2500 Rubel an barem Gelde und einen Brillantring entwendet zu haben?
2. Ist die Kleinbürgerin Euphemia Iwanowna Botschkowa, 43 Jahre alt, des in der ersten Frage bezeichneten Verbrechens schuldig?
3. Ist die Kleinbürgerin Jekaterina Michajlowna Maslowa, 27 Jahre alt, des in der ersten Frage bezeichneten Verbrechens schuldig?
4. Falls die Angeklagte Euphemia Botschkowa nicht im Sinne der ersten Frage schuldig ist – ist sie dann schuldig, am 17. Januar 18.. in der Stadt N., wo sie im Gasthof »Mauretania« bedienstet war, heimlich aus dem verschlossenen Reisekoffer des in genanntem Gasthofe abgestiegenen Kaufmanns Smjelkow die Summe von 2500 Rubeln in Bargeld entwendet zu haben, zu welchem Zweck sie den Koffer an Ort und Stelle mittels eines beigebrachten falschen Schlüssels aufschloß?«
Der Obmann verlas die erste Frage.
»Nun, meine Herren, wie denken Sie darüber?«
Auf diese erste Frage erfolgte die Antwort sehr rasch. Alle kamen überein, zu antworten: »Ja, er ist schuldig,« womit Kartinkin sowohl bezüglich der Vergiftung wie auch des Raubes zum Mittäter erklärt war. Nur ein alter Speisewirt, der grundsätzlich in allen Fällen für Freisprechung war, konnte auch Kartinkin bezüglich der ihm zur Last gelegten Verbrechen nicht schuldig finden.
Der Obmann glaubte, er habe nicht begriffen, um was es sich handle, und setzte ihm auseinander, daß nach allen Anzeichen Kartinkin und die Botschkowa zweifellos schuldig seien. Der Speisewirt antwortete jedoch, daß er den Sachverhalt sehr wohl begreife, daß er es jedoch richtiger finde, Mitleid walten zu lassen. »Auch wir sind keine Heiligen,« sagte er und war von seiner Auffassung nicht abzubringen.
Die zweite Frage, die sich auf die Botschkowa bezog, wurde nach längerer Debatte mit »nichtschuldig« beantwortet, da keine überführenden Beweise ihrer Teilnahme an der Vergiftung vorlägen, worauf ihr Advokat ganz besonderes Gewicht gelegt hatte.
Der Kaufmann, der um jeden Preis die Freisprechung der Maslowa herbeiführen wollte, betonte immer wieder, daß die Botschkowa alles eingefädelt habe. Verschiedene der Geschworenen stimmten ihm bei; der Obmann jedoch, der streng gesetzlich vorgehen wollte, sagte, es liege kein Grund vor, sie zunächst einmal bezüglich der Vergiftung für mitschuldig zu halten. Nach langem Hinundher siegte denn auch die Auffassung des Obmanns.
Auf die vierte Frage bezüglich der Botschkowa erfolgte ein »schuldig« als Antwort, doch wurde auf Betreiben des Wirts hinzugefügt: »unter Zubilligung mildernder Umstände.«
Die dritte Frage, die sich auf die Maslowa bezog, rief einen erbitterten Streit hervor. Der Obmann bestand darauf, daß sie der Vergiftung wie des Raubes schuldig sei; der Kaufmann war anderer Meinung, und der Oberst, der Kommis und der Speisewirt traten auf seine Seite; die übrigen waren schwankend, doch schien die Ansicht des Obmanns größeren Beifall zu finden, hauptsächlich darum, weil alle Geschworenen ermüdet waren und sich lieber der Auffassung anschlossen, die rascher alle unter einen Hut zu bringen und der Sache ein Ende zu machen versprach.
Nach alledem, was während der Gerichtssitzung vor sich gegangen war, und nach seiner Kenntnis vom Charakter der Maslowa war Nechljudow überzeugt, daß sie weder des Raubes noch der Vergiftung schuldig sei, und er vertraute anfangs ganz fest darauf, daß alle dies einsehen würden; doch mußte er bald erkennen, daß infolge der ungeschickten Art, wie der Kaufmann die Maslowa verteidigte, und infolge der Opposition, die der Obmann jenem machte, hauptsächlich jedoch infolge der allgemeinen Ermüdung die Waagschale sich mehr und mehr zuungunsten der Angeklagten neigte. Für den Kaufmann war wohl der Hauptgrund der, daß die Maslowa ihm persönlich gefiel – und gerade deshalb hielt der Obmann es für notwendig, der Auffassung des Kaufmanns entgegenzutreten. Schon wollte auch Nechljudow seine Meinung zum Ausdruck bringen, doch fürchtete er sich, zugunsten der Maslowa zu sprechen – er glaubte, daß man sogleich seine Beziehungen zu ihr erraten würde. Andrerseits fühlte er, daß er die Dinge nicht sich selbst überlassen dürfe, sondern unbedingt etwas sagen müsse. Er wurde abwechselnd rot und blaß und wollte eben das Wort nehmen, als plötzlich Peter Gerassimowitsch, der bisher geschwiegen hatte, offenbar durch den autoritären Ton des Obmanns gereizt, diesem entgegentrat und genau dasselbe sagte, was Nechljudow gerade selbst hatte sagen wollen.
»Erlauben Sie,« sprach er, »Sie sagen, daß sie gestohlen habe, weil sie den Schlüssel gehabt hat – konnten denn aber die Hotelbediensteten nicht, nachdem sie fortgegangen, den Koffer mittels eines nachgemachten Schlüssels öffnen?«
»Ganz recht,« pflichtete der Kaufmann ihm bei.
»Wie kann sie denn das Geld genommen haben, wenn sie in ihrer Lage doch nicht einmal imstande war, es irgendwo zu verstecken?«
»Das ist's ja, was auch ich sage!« sagte der Kaufmann zur Bekräftigung.
»Meine Meinung ist, daß ihr wiederholter Besuch den Hotelbediensteten den Gedanken des Verbrechens eingab, daß diese die Gelegenheit benutzten und hinterher alle Schuld auf die Maslowa schoben.«
Peter Gerassimowitsch hatte erregt gesprochen, und seine Erregung teilte sich auch dem Obmann mit, der infolgedessen seine entgegengesetzte Meinung besonders hartnäckig zu verfechten begann; doch Peter Gerassimowitsch sprach so überzeugend, daß die Mehrzahl der Geschworenen ihm zustimmte und sich dahin aussprach, daß die Maslowa weder das Geld noch den Ring geraubt habe, daß vielmehr der letztere ihr geschenkt worden sei. Als dann die Rede auf ihre Teilnahme