Felix Salten

Bambi


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wirst das später alles kennenlernen, wenn du etwas älter bist …«, beschwichtigte die Mutter.

      Bambi drängte: »Sag' mir's doch lieber jetzt.«

      »Später«, wiederholte die Mutter. »Jetzt bist du noch ein kleines Kind«, fuhr sie zärtlich fort, »und mit Kindern redet man nicht von solchen Dingen.« Sie war ganz ernst geworden. »Jetzt … auf die Wiese … ich mag nicht einmal daran denken. Am helllichten Tag …!«

      »Aber«, wendete Bambi ein, »als wir auf die Wiese gingen, war es ja auch heller Tag.«

      »Das ist etwas anderes«, erklärte die Mutter, »es war am frühen Morgen.«

      »Darf man nur am frühen Morgen hin?« Bambi war zu neugierig.

      Die Mutter hatte Geduld. »Nur am frühen Morgen oder am späten Abend … oder des Nachts …«

      »Und nie bei Tag? Niemals …?«

      Die Mutter zögerte. »Doch«, sagte sie endlich, »manchmal … einige von uns gehen manchmal auch bei Tag hinaus. Aber das sind besondere Umstände … ich kann dir das nicht so erklären … du bist noch zu klein … manche gehen … aber sie sind dabei in der größten Gefahr …«

      »Wieso sind sie in Gefahr?« Bambi war nun ganz voll Spannung.

      Die Mutter jedoch wollte nicht recht mit der Sprache heraus. »Sie sind eben in Gefahr … du hörst ja, mein Kind, daß du diese Dinge jetzt noch nicht begreifen kannst …«

      Bambi dachte, daß er alles begreifen könne, nur nicht, warum ihm die Mutter keine genaue Auskunft geben wollte. Aber er schwieg.

      »Wir müssen so leben«, sprach die Mutter weiter, »wir alle. Wenn wir auch den Tag lieben … und wir lieben den Tag, besonders in unserer Kindheit … wir müssen doch so leben, daß wir uns bei Tag stillhalten. Erst vom Abend bis zum Morgen dürfen wir umhergehen. Verstehst du das?«

      »Ja.«

      »Nun, mein Kind, deshalb müssen wir jetzt hier bleiben, wo wir sind. Hier sind wir sicher. So! Und nun leg' dich wieder hin und schlafe.«

      Doch Bambi wollte sich jetzt nicht hinlegen. »Warum sind wir hier sicher?« fragte er.

      »Weil alle Sträucher uns bewachen, weil die Zweige an den Büschen knistern, weil das dürre Reisig am Boden knackt und uns warnt, weil das welke Laub vom vorigen Jahre auf der Erde liegt und raschelt, um uns ein Zeichen zu geben … weil der Häher da ist und die Elster ebenso, die Wache halten, und weil wir dadurch schon von weitem wissen, wenn jemand kommt …«

      »Was ist das«, erkundigte sich Bambi, »das Laub vom vorigen Jahre?«

      »Komm, setze dich zu mir«, sagte die Mutter, »ich will es dir erzählen.« Da setzte sich Bambi willig hin, schmiegte sich dicht an die Mutter, und sie erzählte ihm, daß die Bäume nicht immer grün bleiben, daß die Sonne und die schöne Wärme verschwinden. Dann wird es kalt, die Blätter werden gelb vor Frost, braun und rot, und sie fallen langsam ab, so daß die Bäume wie die Sträucher die kahlen Äste zum Himmel strecken und vollständig verarmt aussehen. Die welken Blätter aber liegen am Boden, und wenn ein Fuß sie berührt, so rascheln sie: Es kommt jemand! Oh, sie sind gut, diese dürren Blätter vom vorigen Jahre. Sie leisten treffliche Dienste, so eifrig und so wachsam wie sie sind. Jetzt noch, mitten im Sommer, halten sich viele von ihnen unter dem jungen Bodenwuchs versteckt und warnen schon von weitem vor jeder Gefahr.

      Bambi drückte sich eng an die Mutter. Er vergaß die Wiese. Es war so behaglich, hier zu sitzen und zuzuhören, wenn die Mutter erzählte.

      Als dann die Mutter schwieg, dachte er nach. Er fand es zu lieb von den guten, alten Blättern, daß sie so fleißig aufpaßten, obwohl sie doch welk und erfroren waren und schon so viel durchgemacht hatten. Er überlegte, was das wohl eigentlich sein könnte, die Gefahr, von der die Mutter immer redete. Aber das viele Nachdenken strengte ihn an; es war still ringsumher, man hörte nur, wie die Luft kochte vor Hitze. Und er schlief ein.

      4

      Als er eines Abends mit seiner Mutter wieder hinaus auf die Wiese trat, glaubte er, daß er nun alles kenne, was es da zu sehen und zu hören gab. Allein es zeigte sich, daß er im Leben doch nicht so gut Bescheid wußte, wie er gemeint hatte.

      Zunächst war es ja wie beim ersten Mal. Bambi durfte mit der Mutter Fangen spielen. Er fuhr im Kreise umher, und der weite Raum, der hohe Himmel, die freie Luft erfüllten ihn wieder mit einem Rausch, daß er ganz rasend wurde. Nach einer Weile merkte er, daß die Mutter stillstand. Er hielt mitten in einem Bogen inne, so plötzlich, daß seine vier Beine weit auseinander grätschten. Um sich einen anständigeren Halt zu geben, tat er einen hohen Luftsprung, und nun stand er richtig. Die Mutter drüben schien mit jemandem zu sprechen, aber es ließ sich im hohen Grase nicht ausnehmen, wer das sei. Neugierig trollte Bambi näher. Da bewegten sich im Gewirr der Halme dicht vor der Mutter zwei lange Ohren. Graubraun waren sie und mit schwarzen Streifen hübsch gezeichnet. Bambi stutzte, aber die Mutter sagte: »Komm nur her, das ist unser Freund Hase … komm nur ruhig her und laß dich anschauen.«

      Bambi ging sogleich ganz heran. Da saß nun der Hase und war sehr honett anzuschauen. Seine langen Löffelohren stiegen mächtig hoch empor und fielen dann wieder ganz schlapp herunter, wie von einer plötzlichen Schwäche angewandelt. Bambi wurde ein bißchen bedenklich, als er den Schnauzbart erblickte, der dem Hasen so stramm und gerade nach allen Seiten den Mund umstarrte. Aber er bemerkte, daß der Hase ein sehr sanftes Gesicht hatte, überaus gutmütige Züge, und daß er aus seinen großen, runden Augen bescheidene Blicke auf die Welt richtete. Er sah wirklich aus wie ein Freund, der Hase. Bambis flüchtige Bedenken verschwanden sofort. Merkwürdigerweise verlor sich sogar der Respekt, den er anfänglich empfunden hatte, alsbald vollständig.

      »Guten Abend, junger Herr«, grüßte der Hase mit ausgesuchter Höflichkeit.

      Bambi nickte nur »guten Abend«. Er wußte nicht, warum, aber er nickte nur. Sehr freundlich, sehr artig, doch ein wenig herablassend. Er konnte nicht anders. Vielleicht war es ihm angeboren.

      »Was für ein hübscher junger Prinz!« sagte der Hase zur Mutter. Er betrachtete Bambi aufmerksam, stellte dabei bald das eine Löffelohr hoch, bald das andere, bald wieder alle beide, und manchmal ließ er sie schnell und schlapp herunterfallen, was aber Bambi nicht gefiel. Diese Gebärde schien zu sagen: es lohnt nicht.

      Indessen fuhr der Hase fort, Bambi mit großen, runden Augen sanft zu betrachten. Seine Nase und sein Mund mit dem prächtigen Schnauzbart bewegten sich dabei unaufhörlich, wie jemand mit Nase und Lippen zuckt, der gegen das Niesen kämpfen will. Bambi mußte lachen. Sogleich lachte auch der Hase bereitwillig, nur seine Augen wurden nachdenklicher. »Ich beglückwünsche Sie«, sagte er zur Mutter, »aufrichtig beglückwünsche ich Sie zu diesem Sohn. Ja, ja, ja … das wird einmal ein prächtiger Prinz … ja, ja, ja, so was sieht man gleich.«

      Er richtete sich in die Höhe und saß nun in den Hinterbeinen aufrecht da, worüber Bambi maßlos erstaunte. Nachdem er mit steilen Ohren und großartig bewegter Nase überall umhergespäht hatte, saß er wieder manierlich auf allen vieren. »Ja, nun empfehle ich mich den verehrten Herrschaften«, sagte er, »ich habe noch allerlei zu tun heute Abend … untertänig empfehle ich mich.« Er machte kehrt und hoppelte davon, mit angedrückten Ohren, die ihm bis zur Schulter reichten.

      »Guten Abend«, rief ihm Bambi nach.

      Die Mutter lächelte: »Der gute Hase … so schlicht und so bescheiden. Er hat es auch nicht leicht auf der Welt.« Es war Sympathie in ihren Worten.

      Bambi spazierte ein wenig umher und überließ seine Mutter ihrer Mahlzeit. Er hoffte seinen Bekannten vom ersten Mal wieder zu begegnen und war auch gerne bereit, neue Bekanntschaften zu machen. Denn ohne daß es ihm recht deutlich wurde, was ihm eigentlich fehle, war doch beständig ein Erwarten in ihm. Plötzlich hörte er von ferne ein feines Rauschen auf der Wiese, spürte ein leises rasches Klopfen, das den Boden berührte. Er sah auf. Dort drüben, am anderen Saume des Waldes, huschte etwas durchs