Martha Kindermann

BeOne


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der Stunde, um den Draht zu unserem Aufseher zu verfestigen.

      »Hältst du deinen Mund, wenn ich dir die Frage beantwortet habe, junge Dame?« Aha, junge Dame, so kann es gehen. Noch vor wenigen Tagen hab ich mit angesehen, wie seine Kollegen mit ihren dreckigen Stiefeln auf Tamika eingetreten haben, während sie erschöpft und hilflos am Boden lag, und nun sind wir bei junge Dame. Der Typ frisst uns in kürzester Zeit aus der Hand, wenn wir nur schön weiter Interesse heucheln.

      »In Ordnung. Aber nun erzähl, ich bin schon ganz aufgeregt.« Wir laufen im Entenmarsch durch die Wohnwagensiedlung und lauschen GAMs Geschichte:

      »Ich hatte eine Frau – Inka – wir lebten in Ost/34 in einem netten Reihenhaus und hatten einen Sohn. Als er erst ein Jahr alt war, wurde Irma erneut schwanger. Wir hatten es nicht geplant, aber die Geburt verzögerte sich und so erblickten unsere Kinder am 03. Januar eines Polarjahres das Licht der Welt.«

      »Kinder?« Tamika reagiert schnell.

      »Ja. Es waren zwei Mädchen. Centa und Cecille.« Centa, ungewöhnlich seltener Name.

      »Aber dann hattet ihr ja drei? Wie…« GAM schneidet ihr das Wort ab und fährt mit starker Stimme fort.

      »Gar nicht. Centa wurde uns noch in dieser Nacht weggenommen, da sie die Jüngere der beiden war, und von den Behörden verschleppt.« Mir dämmert es und ich bleibe stehen, damit ich nicht über meine eigenen Füße stolpern muss.

      »Du ahnst, was jetzt kommt, oder Roya?« Tam greift mit dem Arm um meine Hüften und zieht mich sanft weiter.

      »Ich war außer mir, verlor die Kontrolle und schlug einen der Beamten krankenhausreif. Daraufhin landete ich im Gefängnis und erhielt ein Besuchsverbot für meine Familie. Inka zerbrach schon bald an diesem Unglück und starb ein Jahr später im Haus ihrer Eltern. Valentin und Cecille wuchsen bei Oma und Opa in NW auf und hatten mich vergessen, als ich vierzehn Jahre später aus dem Knast entlassen wurde.«

      »Das ist ja grausam!«, entfährt es mir.

      »Was hast du erwartet, Prinzessin? Dass wir Boliden, wie ihr so schön sagt, aus Jusx und Tollerei in den Tunneln hausen, weil wir das Sonnenlicht scheiße finden und unter uns sein wollen?« Nein, natürlich nicht, aber seine Geschichte geht mir an die Nieren, auch wenn ich den Namen seiner jüngsten Tochter zu ignorieren versuche.

      »Hast du wieder Kontakt zu deinen Kindern erhalten?« Ich muss es einfach wissen.

      »Ich versuchte es. Immer und immer wieder, doch Inkas Eltern gaben mir die Schuld am Tod ihrer Tochter und erwirkten eine einstweilige Verfügung gegen mich, die mir verbot, mich mehr als 200 Metern meinen Kindern zu nähern. An Valentins Geburtstag legte ich ein Paket vor die großelterliche Tür und wurde verhaftet. Vier weiter Jahre saß ich ab, bis sich mein Leben schlagartig änderte, als…«

      »Gabriel Alexander Moreno, wie lange soll ich noch auf dich und deine Königskinder warten?« Daloris steckt den Kopf aus ihrem hellblauen Wohnwagen und verschränkt genervt die Arme vor der fülligen Brust. »Erzählst du ihnen wieder irgendwelche Märchen aus deiner traurigen Vergangenheit? Schweigen ist Gold – wie oft muss das noch in deinen glattrasierten Schädel hinein?«

      »Wie hat sie dich eben genannt?« Sly spricht aus, was wir Schläfer einfach nicht überhören konnten.«

      »Gabriel Alexander Moreno – kurz GAM. Seid ihr schwer von Begriff, Leute?« Tamika hat gut zugehört, doch die Abkürzung ist es nicht, die uns stutzig macht. Dieser Typ, dieser Ledermanteltyp mit den tätowierten Armen und der bedrohlichen Statur trägt den Namen Moreno und ist der Vater von einem Gewissen Valentin, welcher in NW aufgewachsen ist und eine jüngere Schwester an die Dritten verlor. So viele Zufälle kann es nicht geben. Mir brummt der Kopf. Die Schweißperlen rinnen mir an den Schläfen hinunter und ich bin des Schluckens nicht mehr mächtig. Dieser Typ, GAM, der brutale, doch im Herzen gütige GAM ist Morenos Dad und wahrscheinlich der Vater unserer amtierenden Präsidentin. Jetzt habe ich Angst. Jetzt habe ich eine scheiß Angst, denn wenn er hier auf einem Autofriedhof lebt, während sein eigen Fleisch und Blut das Land zu retten versucht, dann muss irgendetwas gewaltig schief laufen und das werden wir herausfinden müssen.

      Abwracken und Tee trinken

      »Setzt euch, bitte.« Daloris schnappt sich eine Kanne frisch gebrühten Tee und weist uns die Plätze auf ihrer Wohnwageneckbank zu, bevor sie selbst auf dem einzigen Stuhl Platz nimmt und GAM vor die Tür schickt. »Tee?« Wir nicken, ohne auch nur ein Wort in den Mund zu nehmen, und werden bedient.

      »Wie gefällt euch meine Stadt?« Ist das eine ernstgemeinte Frage? Fragt sie uns gerade, wie schön die letzten Tage, eingesperrt in einer Blechbüchse, waren und wie wir nach zehn Minuten Sightseeing die Wohnwagenkolonie beurteilen? Fünf Sterne, oder was?

      »Mich würde brennend interessieren, wo wir uns hier genau befinden? In den Tunneln wäre doch kein Platz für knapp 1000 Menschen und 300 Wohnwagen, oder liege ich da falsch?« Daloris klemmt lachend die Unterlippe zwischen die Zähne und stützt die Ellenbogen auf den Tisch.

      »Wie ist dein Name, Mädchen?«

      »Tamika.«

      »So, Tamika. Glaubst du, ich verrate einem vorlauten Mädchen, welches direkt aus dem Regierungspalast in meine Arme gelaufen ist, das wohl wichtigste Geheimnis meiner Familie?« Tamika schüttelt zaghaft den Kopf und wir anderen halten die Luft an.

      »Ich wollte bloß…«

      »Du wolltest bloß was? Nur weil du genau so dunkel bist wie ich und mit deinen großen Kulleraugen rollst, hältst du dich für sehr clever? Nein. Die Regeln hier mache ich und bis zur Übergabe bleibt ihr in der Wagenstadt, ohne auch nur eine winzige Information von mir zu erhalten.«

      »Übergabe?«, prescht Sly mutig dazwischen.

      »Natürlich. Ich kann euch Großmäuler schließlich nicht ewig durchfüttern.« Klingt gut. Wir kommen hier raus.

      Hoffnungsvoll suche ich Tams Hand unter dem Tisch und drücke sie fest. Bald sind wir hier weg. Adé Haferschleim, adé Morgensport und adé ihr kühlen Nächte an Tams warmer Seite. Was soll das? Werde ich hier sentimental, weil es im Gefängnis besser ist als im goldenen Käfig der Polarjahrinitiation?

      »Und wie genau wird das jetzt ablaufen?« Tam versucht, mit Bedacht die nächsten Schritte aus Oma Sanderbrink herauszukitzeln.

      »Es wird zwei Trupps geben, da die Präsidentin nicht für all unsere Gäste zu bezahlen gedenkt.« Da haben wir es wieder. ›Wenn ich richtig liege, dann bringt uns die Auslöse dieser drei Eleven über den ganzen Winter‹ – Daloris Worte aus den Tunneln klingen noch in meinen Ohren, als wäre es gestern gewesen. Wen wird sie aussortieren?

      »Und was passiert mit dem Rest von uns?« Meine Stimme zittert bei jeder Silbe mehr, denn wenn ich ehrlich bin, will ich die Antwort nicht hören.

      »Das werdet ihr schon noch früh genug erfahren. Gestern haben wir den letzten umherirrenden Prinzen aufgelesen und können in die Verhandlungen starten.«

      »Es sind noch mehr Eleven hier?« Sly lehnt sich so weit über den Tisch, dass sein langer Zopf beinahe in Daloris' Teetasse badet.

      »Oh ja, aber nur die Cleversten von euch werden diesen kleinen Zwischenstopp überstehen und weiterhin an der Initiation teilnehmen können.«

      »Wir sollten hier landen? Das ist auch wieder nur ein Test? Und was ist mit Melwin und den getöteten Draconis aus Tams Team? Sind diese jungen Menschen gestorben, weil sie nicht clever genug waren?« Tamika fängt unter ihren Worten bitterlich an zu weinen. »Das kann doch nicht ihr erst sein? Wie krank sind die Leute, die dieses verdammte Camp inszenieren? Wollen sie alle Eleven, bis auf die acht Ministeranwärter, tot sehen?« Sly nimmt seine Banknachbarin in die Arme und versucht sie mit sch und pst zu beruhigen. Zwecklos. »Ach nein, Verzeihung, vor den Ministeranwärtern machen sie ja auch keinen Halt.« Wahre und erschreckende Worte.

      Seit wir in Gefangenschaft