Wenn die anderen sich in Zukunft darüber lustig machen, dass die neue, viel zu coole Frisur überhaupt nicht zu mir Langweiler passt, dann können wir das Ganze auch gleich bleiben lassen.«
Ungewollt zog ich 'ne Schnute und sah mich im Salon um. Eine ältere Frau saß unter einer Trockenhaube, die einen Heidenkrach machte. Wieder eine andere Frau, dieses Mal jünger, bekam gerade die Haare gefärbt. Der Gestank verbreitete sich im ganzen Salon, darunter mischten sich Haarspray und Shampooduft.
Nach einer Weile begann ich dann aber doch, über Leons Worte nachzudenken. Ich stellte mir die Reaktion von Jasmin, Wencke und den anderen auf die zur Debatte stehende Igelfrisur vor, und so weh mir dieser Gedanke auch tat, Leon hatte wohl recht. Sie würden sich über ihn lustig machen. Diese Frisur passte einfach nicht zu ihm, denn so viel wir auch außen an ihm herumdoktern und verändern würden, innen würde er nach wie vor derselbe bleiben. Also vielleicht doch kein totales Makeover? Und dabei hatte ich mich schon so darauf gefreut. »Okay, vielleicht stimmt das sogar«, gab ich schließlich zu.
»Natürlich stimmt das.« Er grinste erleichtert.
Aber so schnell wollte ich mich nicht geschlagen geben. »Weißt du, bisher hab ich gar nicht darüber nachgedacht, aber das Problem liegt daran, dass wir auch deine Einstellung ändern müssen.« Leon verdrehte die Augen, aber ich sprach einfach weiter. »Die coole Frisur passt natürlich nicht zu dir, wenn du weiterhin … Na ja, halt du selbst bist.«
»Au, das tat weh«, meinte Leon, aber er sah nicht wirklich getroffen aus.
»Tschuldigung, so war das nicht gemeint. Aber es ist so, wie Pitt gesagt hat. Du musst viel lockerer werden, dann geht auch die neue Frisur.«
»Und wie soll ich das machen? Man kann sich nicht von heute auf morgen einfach so ändern.«
»Schon klar, aber du kannst es wenigstens versuchen.« Ich unterdrückte einen Seufzer und blätterte eine Weile durch das Buch auf meinem Schoß. Dann sah ich Leon wieder an. »Weißt du, wenn du mit cooler Frisur unsicher auftrittst, dann überträgt sich das natürlich auch auf die anderen, ist doch klar. Wenn du aber selbstbewusst und locker in die Schule kommst, dann kaufen die anderen dir das auch ab.«
»Ach ja?« Skeptisch sah er mich an.
»Ja okay, vielleicht nicht sofort. Aber früher oder später schon.«
Immer noch sah er mich skeptisch an. »Und das glaubst du wirklich?«
»Ja. Ja, das glaub ich wirklich.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Und du solltest endlich mal aufhören, immer so übervorsichtig zu sein. Probier's doch einfach mal aus. Was hast du denn schon zu verlieren? Kann's wirklich noch schlimmer kommen?«
»Schlimmer geht immer.«
»Mann Leon, dann mach deinen Scheiß doch allein.« So langsam wurde ich echt sauer. Ich bemühte mich hier, ihn zu integrieren, und er fand nur Argumente dagegen. Ich wollte aufstehen, doch Leon drückte mich zurück auf den Stuhl.
»War doch nur Spaß«, meinte er, auch wenn er nicht überzeugt aussah. »Wir können gern was Neues ausprobieren, echt, aber vielleicht nicht gleich ganz so krass. Schritt für Schritt, verstehst du?«
»Ich find zwar immer noch, dass die radikale Methode die Beste ist, aber musst du wissen. Wenn du meinst, dass das dann besser klappt.«
»Ja, mein ich. Ich brauch Zeit, um mich an das alles zu gewöhnen, und die Hühner und Patrick sicher auch. Wenn ich von heute auf morgen einen auf cool mache, sind die doch total überfordert und schießen sich direkt auf mich ein.« Er grinste. »Weißt du, ich stell mir das in etwa so vor: Die anderen sehen nach und nach mein verbessertes Ich, können es aber nicht wirklich festmachen und deshalb auch nicht gezielt darauf losgehen. Na, was sagst du?«
»Ja, wenn du meinst. Dann soll die Frisörin mal ihr Glück versuchen«, erwiderte ich nur.
Leon
Leon stand vor dem kleinen Spiegel im noch kleineren Badezimmer und betrachtete sich seit zehn Minuten von allen Seiten. Er hatte die ganze Wohnung für sich. Seine Mutter war noch bei der Arbeit, und so musste er sich keine Gedanken darüber machen, dass er so lange das Bad blockierte.
Allzu viel verändert hatte sich in der Tat nicht. Der Schnitt war vielleicht ein bisschen flippiger und moderner, aber im Grunde derselbe wie vorher. Und das Gel war so dezent, dass man es kaum wahrnahm. Aber so hatte er es ja gewollt.
Vielleicht hätte er doch mehr riskieren sollen? Vielleicht hatte Mia recht, genauso wie Pitt recht hatte. Sie schien ein wenig sauer gewesen zu sein, als sie sich vor etwa einer halben Stunde vor dem Frisörsalon verabschiedet hatten. Das war so nicht geplant gewesen, immerhin wollte sie ihm ja nur helfen.
Morgen waren sie verabredet, um gemeinsam neue Klamotten kaufen zu gehen. Leon nahm sich fest vor, ein bisschen nachgiebiger zu sein, damit Mia sich wieder einkriegte. Er wollte nicht, dass sie sauer war.
Und er musste ja wirklich lockerer werden, da stimmte er ihr und Pitt schon zu. Aber verdammt, musste er sich jetzt deshalb von Grund auf verändern? Konnten die anderen ihn nicht einfach so akzeptieren wie er war? Das tat er doch auch.
Ja, okay, eventuell war das übertrieben, aber immerhin ließ er sie in Ruhe und hackte nicht permanent auf ihnen herum. Mehr wollte er doch erst mal gar nicht.
Leon hörte die Haustür ins Schloss fallen. Kurz darauf rief seine Mutter: »Jemand zu Hause?«
Seufzend öffnete Leon die Badezimmertür. Der erste Weg seiner Mutter führte immer ins Bad oder in die Küche, wenn sie nach Hause kam, und davon wollte er sie nicht abhalten.
Der Flur war klein, genauso wie die ganze Wohnung, und so konnte man sich hier nur schwer aus dem Weg gehen. Trotzdem schafften es Leon und seine Mutter irgendwie immer.
Sie stand an der Garderobe und zog sich die roten Pumps aus, während sie sich mit einer Hand an der Kommode festhielt. »Warst du beim Frisör?«, fragte sie, als sie Leon kurz ansah. Er nickte, doch das nahm sie kaum wahr. »Sieht irgendwie genauso aus wie vorher. War das Absicht?«
Gute Frage, dachte er sich. Er zuckte mit den Schultern. »Weiß ich auch nicht so genau.«
»Okay.« Sie sah ihn einen Moment an, dann schenkte sie ihm ein zaghaftes Lächeln und marschierte barfuß an ihm vorbei ins Badezimmer.
Leon blickte einen Moment auf die geschlossene Tür, dann ging er in sein Zimmer, machte die Musik an und ließ sich aufs ungemachte Bett fallen.
Freitag, 3. Mai, 21 Uhr
Mia hat mich heute wie angekündigt zum Einkaufen geschleppt. Es war gar nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte, und dabei waren die Geschäfte ziemlich voll. Und Mia war nicht mehr sauer auf mich, das war das Wichtigste. Es war nett, mal wieder was zusammen zu machen. Wir waren zwar am Tag davor beim Frisör gewesen, aber ich hab das Gefühl, sie und Pitt ziehen sich gerade ein wenig zurück. Das passt mir gar nicht. Wir haben die letzten Jahre immer den letzten April gemeinsam verbracht. Das war eine Art Tradition geworden. Und dieses Jahr haben sie's beide einfach vergessen. Pitt war Maibaumstellen, und Mia hat sich lieber mit Patrick und den Hühnern getroffen. Zwar haben beide gefragt, ob ich mitkommen will, aber erst, nachdem sie schon alles geplant hatten. Darauf hatte ich dann auch keine Lust. Mein Bedarf, fünftes Rad am Wagen zu spielen, ist vorerst gedeckt. Und am Wochenende haben sie beide auch schon wieder keine Zeit. Gut, ich muss eh mal wieder ins Altenheim, Oma besuchen und aushelfen. Aber abends hätte ich schon Zeit. Na ja, irgendein schlechter Film wird schon im Fernsehen laufen.
»Hallo Leon. Was ist denn mit dir passiert?« Neugierig musterte Elisabeth ihren Enkel.
»Hallo Oma.« Leon umarmte sie, dann ließ er sich auf den zweiten Sessel gegenüber seiner Oma fallen. »Wie geht’s dir denn?«, wollte er wissen, ohne auf ihre Frage einzugehen.
Doch Elisabeth ließ nicht so schnell locker. »Ach, wie soll's mir schon gehen? Alles wie immer. Du siehst irgendwie anders aus. Was hast du gemacht? Nimmst du etwa Drogen und hörst diese schreckliche Rock 'n' Roll-Musik?«