dieser Bar in New Orleans sah, trug sie einen kurzen schwarzen Rock zu einer weißen Bluse, die genau so weit aufgeknöpft war, dass man nicht sehen konnte, was man so gerne sehen wollte. Gierende Männerblicke registrierte sie, erwiderte sie aber nicht.
Gewohnt hatte sie damals in einem heruntergekommenen Vorstadthotel. Im Vergleich zu ihrer Kleidung und ihrer Erscheinung wirkte die Unterkunft beinahe unpassend. Vielleicht aber schien ihr diese Adresse ganz einfach unauffälliger. Es wusste auch niemand, warum sie überhaupt in der Stadt war. Abends hingegen ließ sie sich täglich mit einem Taxi zum Hotel Hilton fahren. Das Hilton gehört zu den teuersten Häusern der Stadt. Die Selbstsicherheit, als Frau ohne Begleitung eine Hotelbar zu betreten, schien ihr angeboren. Jeden Abend hatte sie den gleichen Platz an der Längsseite der Bar eingenommen, jeden Abend nur durch wortloses Nicken Gleiches bestellt, – eine für diese Gegend untypische, aber erfrischende Weinschorle. Weinschorle sei die edelste Form des Wassertrinkens, erläuterte sie einem überraschten Barkeeper an ihrem ersten Abend.
Damals, ich kam von einem Besuch bei einem guten Freund zurück, zwang mich starker Regen, der ganze Straßen wegzuspülen drohte, meine Heimfahrt zu unterbrechen und für eine Nacht im Hotel Hilton Unterkunft und Zuflucht zu suchen. Nachdem ich meine Frau Lisa über meinen ungeplanten Zwischenstopp telefonisch informiert hatte, wollte ich den Abend bei einem Southern Comfort in der Hotelbar gemütlich ausklingen lassen. Dicker Zigarrenqualm und die rauchige Lifestimme einer farbigen Soulsängerin füllten den Raum. Nur gut ein dutzend Gäste waren anwesend, einige, um wie ich das Wetter abzuwarten, andere, um zu trinken, manche, um ihrem Alleinsein für ein paar Stunden Gesellschaft zu spenden. Erst als sich meine Augen langsam an das schummrige Licht gewöhnten, bemerkte ich mein auffallendes Gegenüber. Ganz gewiss gehörte ich nicht zu der Sorte Mann, die jeder Frau hinterher schauten, an ihr aber, blieben meine Blicke hängen. Fasziniert tasteten meine Augen ihre nur halbversteckten, kleinen aber wohlgeformten Rundungen ab. Ganz ungestört fühlte ich mich dabei, aber ein Blick von ihr fing meinen ein und hielt ihn fest. Ich spürte Verlegenheit in mir, aber ich schämte mich nicht, hob mein Glas und nickte ihr zu. Auch heute weiß ich noch nicht, was mich damals ermutigte, die Thekenseite zu wechseln und sie anzusprechen. Auf meine Frage, ob ich mich zu ihr setzen dürfte, wandte sie nicht einmal den Kopf in meine Richtung, aber sie bejahte. Ohne darüber nachzudenken, wie klug und sinnvoll es wohl sei als verheirateter Mann und Vater zweier Kinder einer fremden und gut aussehenden Frau gegenüber den eigenen Namen zu erwähnen, stellte ich mich ihr als Benjamin Jordan vor. Dem nicht genug erzählte ich ihr sogar, wo ich her kam und was ich machte.
Ich arbeitete als Ingenieur in einer Firma die Traktoren herstellt. Dort leitete ich die Fertigungsstraße, das ist jenes Band, an dem die einzelnen Teile zu einem fertigen und fahrbereiten Traktor zusammengeschraubt werden. Die Firma war finanziell sehr gesund, weil in dieser Gegend beinahe jeder ein riesiges Stück Land besaß, welches zu bearbeiten war. Dementsprechend verfügte auch ich über ein ordentliches Gehalt, mit dem meine Familie und ich sehr gut über die Runden kamen. Wir bewohnten sogar ein eigenes Haus mit kleinem Pool. Kurz, wir fühlten uns der gehobenen Mittelschicht zugehörig.
In unserem Ort hatten wir es zu einem gewissen Ansehen gebracht. Einmal im Monat fand ein kleines Fest mit fünf oder sechs der einflussreichsten Familien statt. Zugehörig waren die Familien des Bürgermeisters und des Sheriffs, dazu kamen noch zwei Bankiersfamilien und ein kleinerer Clan, welcher schon immer reich gewesen war.
Wir durften uns dem Kreis zugehörig fühlen, weil der Bürgermeister gleichzeitig der Inhaber der Traktorenfabrik war, in der ich arbeitete. Ich war immer sehr stolz darauf, der Einzige aus unserer Firma zu sein, der in diesem Kreis aufgenommen war. Waren wir als Ausrichter einer der Grillabende an der Reihe, erwies sich meine Frau Lisa als die perfekte Gastgeberin. Sie sorgte nicht nur für eine ausgesprochen fantasievolle Dekoration, sie war auch selber immer elegant anzusehen. Auch unsere beiden Kinder, Marie, 8 Jahre und Roger, 11 Jahre alt, schienen sich an diesen Tagen mächtig ins Zeug zu legen. Dies ist erwähnenswert, weil es sonst das ganze Jahr über nicht unbedingt so war.
Tatjana sprach mich den ganzen Abend nie mit meinem Namen an. Nachdem ich ihr nicht mehr gegenüber saß, sondern neben ihr, trafen sich unsere Blicke auch nicht mehr. Aber sie sprach mit mir, wenn auch nur Belangloses. Zugeben muss ich, es interessierte mich auch nicht großartig, über was wir sprachen. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen, in einer Art, wie ich es von mir bisher nicht kannte. Manchmal berührten sich auf der Theke unsere Unterarme. Sie zog ihren dann weg und griff nach ihrem Glas. Ich aber bemerkte ihre feinen schwarzen Härchen, die auf jede noch so zufällige Berührung reagierten. Ich sog alles in mir auf, jede Bewegung von ihr. Nach hinten gelehnt und im Schutz des fahlen Lichtes konnte ich ihren schmalen Rücken mustern, an dem sich die Wirbelsäule ganz leicht durch ihre weiße Bluse drückte. Ihr kurzer, seitlich geschlitzter Rock, schob sich im Sitzen so weit zurück, um ihren Slip beinahe erahnen zu können. Ihre Beine waren schlank und trotzdem muskulös, wie bei einer Läuferin. Tatjana war für mich schon an diesem ersten Abend das Abbild reiner Schönheit, dem ich schon nach kürzester Zeit zu verfallen drohte. Nur die sie umgebende Unnahbarkeit und wahrscheinlich auch meine angeborene Schüchternheit, ließen keine weitere Annäherung zu.
„Es ist jetzt 22:00 Uhr, ich muss gehen“, sagte sie ganz unvermittelt und war dabei schon im Aufstehen. Ich brachte gerade noch ein: „Wo gehen Sie hin?“ hervor, aber schon im Gehen hatte sie nur noch ein: „Ich gehe jetzt dahin, wo ich hergekommen bin“, übrig. Sie drehte sich nicht einmal mehr um.
Ich bestellte mir noch einen Southern Comfort und begann damit mir leidzutun. Auch die farbige Soulsängerin wechselte ins Traurige und unterstütze damit wohl ungewollt mein Gefühl des Verlassenseins. Der Barkeeper brachte mir meinen Drink und schaute mich dabei ziemlich mitleidig an. Sie säße hier jeden Abend, sagte er mir, ohne dass ich danach gefragt hatte. Man sah mir wohl an, dass ich ihr geistig gefolgt war. Ich war dankbar für seinen Tipp und überlegte mir, mit welcher Rechtfertigung meiner Frau gegenüber, ich am nächsten Abend wieder in der Bar sein konnte.
Ich gebe zu, nach einer Lösung gesucht zu haben, die ich für längere Zeit nutzen konnte. Die ganze folgende Nacht hatte ich kein Auge zugemacht und nur darüber nachgedacht, wie ich Tatjana wieder sehen konnte, ohne dabei Lisa zu verletzen. Den Gedanken, dass dies nicht möglich sei, verdrängte ich. Die unmöglichsten und absurdesten Lösungen gingen mir durch den Kopf. Selbst ein Recht, nach dreizehn tadellosen Ehejahren, einmalig egoistisch denken zu dürfen, erschien mir als angebracht. Natürlich war das Blödsinn, beinahe schon irre, zumal ich mir eigentlich nie aus anderen Frauen etwas machte. Lisa war mir immer genug und ich liebte sie vom ersten Tag an. Tatjana aber wollte ich wieder sehen.
Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück, hatte ich mich auf den Heimweg gemacht und war so gegen 10:00 Uhr wieder zu Hause. Schon als sie meinen Wagen vorfahren hörte, kam mir Lisa sofort entgegen, um mich mit einem dicken Kuss zu begrüßen. Sie hatte sich Sorgen gemacht und man spürte förmlich ihre Erleichterung, als sie mich in den Arm nahm und an sich drückte. Wir gingen ins Haus und ich freute mich über den frischen Kaffee den sie für mich aufgesetzt hatte. Sogar die Zeitung lag noch ungelesen auf meinem Platz. Ich könne mir ruhig Zeit lassen, meinte sie. Mein Chef hatte sie schon angerufen und ihn über meinen wetterbedingten Zwischenstopp informiert. Er lies mir ausrichten, dass ich mir keine Sorgen machen muss und den Tag, durch Abbau ein paar Überstunden, einfach frei machen kann. Wie so oft, hatte Lisa für mich wieder einmal alles geregelt. Durch ihre Herzlichkeit, die sie über all die Jahre gepflegt hatte, dazu ihre Fürsorglichkeit, kam ein schlechtes Gewissen in mir hoch.
Ich nippte an meinem Kaffee und blätterte die Zeitung durch. Auf der letzten Seite fiel mir auf, dass ich nicht einen einzigen Artikel bewusst wahrgenommen hatte. Ich fühlte mich schlecht. Da knapp zwei Stunden später die Kinder aus der Schule kommen würden, erzählte ich Lisa, die sich mittlerweile zu mir gesetzt hatte, von den Neuigkeiten des Vorabends.
Am Abend sei ich noch an der Hotelbar gewesen und hätte einen Herrn aus Oklahoma kennengelernt. Nach ein paar Drinks wären wir ins Gespräch gekommen. Er war gerade dabei, sich beruflich zu verändern. Nach etlichen gut verlaufenden Jahren in einer Exportfirma, hätte er sich zwei Monate zuvor wegen einer Lappalie mit seinem Vorgesetzten überworfen. Die Geschichte hatte sich hochgeschaukelt und man hatte sich voneinander getrennt.
Jahre