Günther Seiler

Kriminalkommissarin Mareke


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hatte ja noch den Einsatz.“ Er sah seine Musiker ratlos an, die aber nur die Schultern zuckten und Sieghart fuhr fort: „So jung, sie war ja noch so jung.“

      Der Notarzt hatte nach einem kurzen Augenblick sein Stethoskop eingerollt und den Dirigenten mit seinen vielen Fragen einfach wortlos zur Seite geschoben: „Mein Herr, Sie haben mich vom ersten Augenblick des Betretens des Konzertsaales gestört. Auch wenn Sie der Dirigent sind und Sie sich für Ihre Truppe einsetzen, so muss ich doch höflichst bitten.“ Sieghart wurde blass und sagte pikiert: „Truppe, wir sind doch keine Militärkapelle.“ Der Arzt aus dem Emdener Krankenhaus, Doktor Werner Korbmann, hatte von diesem aufgeblasenen Dirigenten nun genug, ging wortlos an ihm vorbei, zog sein Handy aus der Hosentasche und rief die Polizei. Danach drehte er sich zum nächsten Musiker um, als wäre der Dirigent nicht mehr im Saal: „Nichts anfassen oder verändern, die Kripo kommt gleich. Sagen Sie das Ihrem aufgeregten Chef oder muss ich ihm eine Beruhigungsspritze geben?“ Sieghart hörte schweigend und fassungslos zu. Und in seinem Innersten nickte seine Medikamentensucht still nach der Spritze mit dem Kopf.

      Frau Mareke Menke, eine moderne junge Frau, stand auf dem Parkplatz des Polizeipräsidiums Emden und wollte gerade mit ihrem alten Rad nach Hause fahren, als das Fenster im ersten Stock geöffnet wurde. „Mareke, du möchtest zum Polizeirat Mertens kommen.“ Sie sah verblüfft zum Fenster hoch und schloss ihr Fahrrad wieder an. „Ist gut, ich komme.“ Sie nahm, sportlich wie sie war, die Treppe und klopfte an der Tür des Zimmers ihres Vorgesetzten an. „Herein,“ rief Herr Mertens und Mareke trat ein. Er stand auf und begrüßte sie: „Frau Menke, wir sind uns bewusst, dass Sie erst kurz in dem Kommissariat sind und es wird bestimmt eine Menge erstauntes Gerede hier in der Dienststelle geben. Das meine ich auch im Hinblick auf Ihr junges Alter. Hier werden sich einige ältere Kollegen auf den Schlips getreten fühlen. Aber was soll es, wir wollen unser Kommissariat verjüngen und nun fange ich damit an. Wir haben uns entschlossen, Ihnen die Ermittlung zur Sonderkommission ‚Orchester’ zu geben, um die Umstände des Ablebens der Flötistin aufzuklären. Hier ist die Akte, lesen Sie sich gleich ein und beginnen Sie mit Ihrer Arbeit, denn ich kann das Orchester nicht über Tage in Emden festhalten. Mir wurden von dem Dirigenten schon Schadenersatzansprüche angedroht.“ Mareke sah ihn verblüfft an: „Ja, danke, damit habe ich nicht gerechnet. Mit der Aufgabe meine ich.“ Der Polizeirat nickte fast väterlich, Mareke nahm die Akte und lief in ihr Büro.

      Nach zwei Stunden intensivem Aktenstudiums klingelte ihr Telefon und die Zentrale stellte ihr ein Gespräch durch. Sie hatte gleich dort ihre Zuständigkeit für die SOKO ‚Orchester’ mitgeteilt, damit alles reibungslos lief. Sie nahm das Gespräch an. „Guten Tag, mein Name ist Menke, Kriminalkommissarin Mareke Menke“, sagte sie verlegen. Der Anrufer erwiderte: „Meinen Namen sage ich nicht! Es geht um die tote Musikerin, die Flötistin aus dem hier gastierenden Orchester. Fragen Sie einmal den aufgeblasenen Dirigenten, der zum einen medikamentensüchtig ist und zum anderen mit der Flötistin Isabell Maubach ein Verhältnis hatte. Die soll sogar ein Kind von ihm bekommen, obwohl das ganze Orchester weiß, dass der schwul ist.“ Der Anrufer lachte dreckig: „Ich habe die beiden in Tokio in einer schäbigen Kneipe gesehen, ein alter Karaoke-Schuppen. Sie hielten erst Händchen, dann stritten sie und Isabell verließ erbost die Kaschemme.“

      Es knackte in der Leitung und Mareke rief die Zentrale an: „Menke, bitte können Sie verfolgen, woher das Gespräch eben auf meiner Leitung kam?“ Die Telefonistin sagte mit belegter Stimme, sie hatte offensichtlich eine starke Erkältung: „Nein, tut mir leid, das war ein Anruf mit unterdrückter Telefonnummer. Aber ich habe einen Bandmitschnitt, den lasse ich ausdrucken und schicke ihn in Ihr Büro.“ Mareke sah nachdenklich aus dem Fenster und bedankte sich.

      Sie suchte aus dem Adressenspeicher die Telefonnummer der Pathologie und bat um einen Rückruf des Pathologen Doktor Holger Schreiber. Nach einer halben Stunde meldete sich atemlos der Pathologe und klang wie immer fröhlich: „Schreiber, hallo Frau Menke. Ich sollte Sie anrufen?“ Mareke lauschte dem schwer atmenden Pathologen. „Was ist, was haben Sie? Leiden Sie unter Asthma?“ Doktor Schreiber lachte: „Nein, ich steige nur schnell die Treppen hoch, den Fahrstuhl benutze ich seit Wochen nicht mehr, Fitness, abnehmen, wissen Sie. Mein Hausarzt hat mir strikt eine gesündere Lebensführung verordnet, wenn ich gesund bleiben möchte und wie er meinte, nicht vorher bei einem Kollegen still an die Decke schaue. Das würde leicht passieren, wenn ich so weitermache. Ein Witzbold, mein Hausarzt. Aber deswegen riefen Sie hier bestimmt nicht an. Womit kann ich Ihnen helfen?“

      Mareke schaute schon gelangweilt zur Zimmeruhr. „Es geht um den Fall der Flötistin, Frau Maubach. Ich bekam einen anonymen Anruf mit dem Hinweis, dass die Dame schwanger gewesen sein soll. Haben Sie sie schon seziert?“ Der Pathologe meinte mit einer inzwischen ruhigeren Atmung: „Na ja, seziert hört sich nicht so schön an, klingt so endgültig. Wir sagen lieber obduziert. Nein, die Obduktion der Leiche steht als erste für Morgen früh an. Ich rufe Sie sofort an, wenn mir die Ergebnisse vorliegen.“ Mareke bedankte sich und legte auf.

      Ihre Kollegin hatte sich schon in den Feierabend verabschiedet und so nahm sie sich vor, den Dirigenten alleine aufzusuchen. Sie sagte aber dem Kriminaldauerdienst Bescheid, wohin sie ging und, falls sie sich in der nächsten Stunde nicht melden sollte, sollten diese einen Streifenwagen in das Hotel ‚Moorblick’ schicken, wo das gesamte Ensemble logierte. Mareke steckte ihre Waffe in ihre Handtasche, obwohl sie wusste, dass das gegen die Vorschrift war. Aber der Holster drückte immer so unangenehm an ihrem Körper.

      Nach kurzer Fahrt kam sie im Hotel an und meldete sich bei dem Pförtner. Der zeigte nur mürrisch in den Garten, als sie nach dem Herrn Dirigenten von Drochtersen fragte. Dieser lief alleine unter den Bäumen umher und schien in Gedanken eine Partitur durchzugehen, so, wie er wild mit den Armen hin und her ruderte. Mareke stand eine Weile hinter ihm und räusperte sich: „Entschuldigung, Herr von Drochtersen. Ich hätte Sie gerne einen Augenblick gesprochen.“ Der Maestro hielt inne und sah sich um, als hätte man ihn beim Naschen eines Honigglases im Keller erwischt. „Ja bitte, wer sind Sie?“, fragte der Dirigent überrascht. „Mein Name ist Mareke Menke, ich bin von der Kripo Emden und mit den Ermittlungen in der Sache Ihrer Musikerin Frau Maubach beauftragt worden. Hier ist mein Dienstausweis.“ „So? Solch junge Dinger dürfen nun schon bei der Polizei mitspielen? Gehören Sie nicht eigentlich in die Sandkiste? Sind Sie denn schon volljährig für die Räuber- und Gendarmenspiele?“ Der Maestro verzog verächtlich süffisant sein Gesicht.

      Mareke hatte sich angewöhnt, auf derartige, unverschämte Attacken vornehmlich von Männern nicht mehr zu achten. Frauen konnten zwar auch in dieser Richtung richtig gemein werden, die machten es aber anders und dort kam immer Neid auf jüngere Frauen auf. Die Spitzen ihrer Geschlechtsgenossinnen waren auch sehr viel diffiziler und gingen tiefer unter die Haut. Die Männer waren diesbezüglich schlicht plump. Sie kannte das schon von der Insel Baltrum her, ihrer Heimat, als sie früh sagte, dass sie mit sechzehn Jahren zur Polizei gehen wollte und bei einer Familienfeier einmal sagte, dass sie eines Tages bei der Abteilung arbeiten möchte, die sich ausschließlich mit Tötungsdelikten und Morden beschäftigte. Dort wollte sie sich sogar als Leiterin dieser Abteilung hocharbeiten. Als ein Onkel ihr sagte, also bei der Mordkommission, da meinte Mareke, diese Abteilung gibt es nur im Krimi, im Fernsehen, denn es wird immer eine Mord- oder Sonderkommission gebildet, wenn der Verdacht eines unnatürlichen Todes anstand. Merkwürdigerweise blieb es in der Runde still und alle ahnten wohl, dass sich Mareke keine Flausen in den Kopf setzte und es ernst meinte. Sie hatte sich mit diesem Thema schon auseinandergesetzt. Ihre Eltern jedenfalls waren stolz auf sie.

      „Herr von Drochtersen, ich komme auf Ihre Orchestertournee in Japan, respektive auf Tokio zurück. Direkte Frage und Sie müssen nicht antworten und Sie können jederzeit einen Rechtsbeistand hinzuziehen. Hatten Sie ein Verhältnis mit Frau Isabell Maubach, Ihrer Flötistin?“ Sieghart wurde blass als er stammelte: „Nein, äh, woher haben Sie das?“ Mareke sah ihn fest an: „Bitte beantworten Sie konkret meine Frage.“ Sieghart sah sich um, wohl mehr um zu erfahren, ob sich ungebetene Zuhörer in der Nähe befanden. Dann entdeckte er eine Bank und lief die wenigen Schritte darauf zu. Er setzte sich und Mareke folgte ihm, blieb aber stehen. Sieghart von Drochtersen holte umständlich sein Taschentuch aus der linken Hosentasche, wohl mehr um Zeit zu gewinnen, denn er wusste nicht sofort, ob er sich die Stirn abwischen wollte oder ob er schnäuzen