Günther Seiler

Kriminalkommissarin Mareke


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Mark und diesen Geiz, er nannte es Sparsamkeit, zelebrierte er bis zur Perfektion. Inzwischen schaffte er es, nur noch einmal im Monat in den Krug ‚4. Querstraße’ in Everinghausen zu gehen. Ganz früher war er jeden Abend hier gewesen. Jakob hatte ein verkürztes linkes Bein und wurde im Dorf immer nur der hinkende Jakob genannt. Diese Hänseleien störten ihn aber nicht, er kümmerte sich ohnehin nicht um andere Leute.

      Nun legte er den Beutel mit dem Mittagessen auf den Pferdewagen, stemmte sich mühsam und mit viel Stöhnen auf den Kutscherbock und löste die Handbremse: „Los, du alte Mähre, auf zu unserem Acker.“ Bruno setzte seinen Huf auf den Boden und ruckte den Wagen an. Er kannte den Weg zur Genüge. Dort auf dem Acker, ein ganz passables großes Stück Land, hatte Jakob jede Menge Tannenbäume angepflanzt und die Erde an den Bäumen mussten in Abständen aufgelockert werden. Dazu schirrte er Bruno einen Pflug an und wie nach alter Sitte seiner Großeltern pflügte Jakob mit dem Pferd den Boden.

      Direkt an Jakobs Acker grenzte das Ewige Meer. Es war ihm in der Kneipe schon oft geraten worden, dort doch einen Steg zu bauen und Segelboote an die Städter zu vermieten. Jakob hatte immer nur den Kopf geschüttelt und gebrummt: „Das fehlt mir noch zu meinem Glück, die vielen Leute hier und alles Fremde aus der Stadt. Von Emden bis Wilhelmshaven kommen die dann im Sommer in Rudeln hierher, feiern, grillen und singen den ganzen Tag und bis in die tiefe Nacht. Ich mag keine Menschen, das müsst ihr Hohlköpfe doch inzwischen begriffen haben.“ Die Thekengäste hatten gelacht und weiter geknobelt.

      Jakob war fast auf dem Kutschbock eingenickt, als plötzlich Bruno stehen blieb. Jakob sah hoch und begriff nichts. Er nahm seine schäbige alte Mütze ab und rieb sich den armen, alkoholgeplagten, haarlosen Schädel. Nun kratzte er sich die Glatze, was er immer machte, wenn er angestrengt nachdachte. „Was ist, Bruno, warum bleibst du stehen? Los weiter! Was sollen wir hier direkt am Ufer?“ Er sah zum Himmel hoch. „Ich glaube, wir bekommen heute noch Regen, ich merke nicht nur meinen Schädel, sondern habe auch in den Knochen ich ein starkes Reißen. Ich sollte in der warmen Stube auf dem Sofa bleiben!“ Bruno zuckte mit der linken Flanke, wohl mehr, um lästige Fliegen loszuwerden und machte keinerlei Anstalten sich zu bewegen. Jakob sah sich nach der langen Peitsche um, die irgendwo auf dem Wagen liegen musste. Er schlug grundsätzlich nie ein Pferd, er wollte Bruno nur am Hinterteil kitzeln, damit es endlich weiter ginge. Bruno drehte sich um und sah ihn mit seinen schönen, großen, braunen Augen an. Er hatte lange Wimpern.

      Doch nun endlich begriff Jakob, dass hier etwas Ungewöhnliches passiert sein musste. Im Ufergras sah er etwas, das wie eine Person aussah. Die Füße lagen im Wasser und dümpelten in den kleinen Wellen auf und ab. Jakob zog die Handbremse an und stieg ächzend rückwärts vom Kutschbock. Er lief die wenigen Meter zum Ufer und nun sah er es.

      Hier lag eine Frauensperson, wie er immer zu sagen pflegte. Der Kopf lag etwas erhöht auf einem Stein und es war so, als wollte die Frau in Ruhe die Aussicht auf das Ewige Meer mit all seinen Schönheiten genießen. Im ersten Augenblick dachte Jacob, hier wäre eine Wanderin von der mühsamen Last eingenickt, so, als wollte jemand nur für fünf Minuten die Augen schließen und sagte zu sich selber: „Nur einen kurzen Augenblick, nicht einschlafen, ich muss ja noch weiter.“

      Jakob hatte schon immer vor Frauen eine große Scheu gehabt, er wusste nie, wie man sich ihnen näherte, was man sagen sollte. In seinem Gedächtnis kramte er nach, was die Thekenbrüder m Krug in diesem Fall wohl gesagt hätten. Ihm fiel aber nicht so schnell eine Gelegenheit ein, wo eine fremde Frau dort erschienen wäre und was wohl der Wirt gesagt hätte. Er schalt sich selber einen alten Narren! Der Wirt hätte bestimmt gefragt, was die Dame zu trinken wünschte.

      Nun trat Jakob dichter heran, bückte sich und dann erkannte er die Frau. Das war doch die Schulleiterin der Schule am Pfingstbusch hier in Everinghausen am Ewigen Meer. Er suchte nach dem Namen und dann sagte er laut: „Ja, Helene Zimmersohn. Hallo, Frau Helene, nee, Frau Zimmersohn, was machen Sie denn hier im kalten Wasser?“ Jakob schüttelte sie, wobei ihr Kopf in seine Richtung fiel. Die Augen waren geschlossen und etwas geronnenes Blut war in den Mundwinkeln zu sehen. Die Schulleiterin würde nie mehr ihren Dienst antreten können. Sie war tot. Jakob blieb noch eine Weile sitzen und starrte auf das Ewige Meer, das so ruhig und unschuldig da lag. „Ewiges Meer, was ist hier nur geschehen? War es ein Unfall? Ist die Dame am Ufer gestürzt, als sie, so wie ich jetzt, dich in deiner ganzen Schönheit bewundern wollte?“ Jakob erhob sich mühsam und kletterte auf seinen Kutscherbock: „Los Bruno, zum Krug, dort kann der Wirt den Arzt anrufen.“

      Jakob saß nun schon eine ganze Weile am Tresen, trank seinen Grog mit viel Zucker und musste seine Geschichte mehrfach für die Neuankömmlinge im Krug erzählen. Die waren erstaunt, den Jakob hier in der Woche, außerplanmäßig sozusagen, zu sehen. Ein Gast meinte, während er sich an den Tresen setzte: „Na, altes Hinkebein, nimmst du wieder die alten Zeiten im Krug auf?“ Der schüttelte nur den Kopf, zahlte seine Zeche und verließ wortlos den Krug. Die Telefonkosten übernahm in alter Freundschaft zu ihm großzügig der Wirt Söken. Bruno sah sich um, er war wohl erstaunt, dass sein Kutscher Jakob so rasch aus dem Krug wiederkam. Da kannte er ganz andere Zeiten und der arme Bruno stand sich die vier Pferdebeine manche Nacht vor dem Krug in den Bauch.

      Der Notarzt Doktor Werner Korbmann aus dem etwas fernen Emden, der heute für den gesamten Landkreis Notdienst hatte, stand auf und sah mit besorgter Miene auf die Tote. Die beiden Polizeibeamten hatten die Leiche fotografiert und auf sein Geheiß hin auf die Seite gedreht. Dabei sahen sie alle drei zeitgleich, dass in dem Rücken der Dame ein Messer steckte. Es handelte sich um ein simples Küchenmesser mit blauem Griff. Nun stand fest, dass es sich hier um keinen Unglücksfall handelte und der Arzt nickte nur, als der Streifenführer meinte, die Zentrale informieren zu müssen, damit sich jemand vom Kriminaldauerdienst auf die Socken aus dem warmen Büro an den zugigen See machte.

      Mareke Menke sah sich nach ihrer Alarmierung durch den Polizeirat Mertens am Ufer des Ewigen Meeres um. Ihre Assistentin war die Polizeianwärterin Marlies Heist aus Aurich, die sich hier handwerkliche Sporen bei der Kripo Emden verdienen sollte. Die älteren Kollegen in dem Präsidium Emden waren inzwischen auf Frau Menke leicht verschnupft. Erst waren ihr als Neuling die Ermittlungen in dem Fall der Musikerin Frau Maubach aus dem Orchester des zwielichtigen Dirigenten von Drochtersen vom Polizeirat höchstpersönlich übertragen worden und nun war sie schon wieder an der Reihe. Mareke hörte schon die spitzen, neidischen Bemerkungen. Doch wie sollte sie als neue Kollegin darauf reagieren? Sie kannte ja hier im Polizeipräsidium fast keinen mit Namen und nur langsam ordnete sie den Gesichtern die Namen zu.

      Frau Heist war mit einem Metallsuchgerät von ihr losgeschickt worden, um nach möglichen metallenen Gegenständen zu suchen. Mareke fror in dem Wind, der vom Ewigen Meer herüber wehte, zog ihre wärmende Mütze fest an den Kopf und löste den wollenen Schal und schlang diesen modisch schick um ihren Hals. Sie hatte schlechte Laune, denn am Vorabend hatte sie ihre Mutter angerufen, sie wollte sich für das am nächsten Tag beginnende Wochenende bei ihr auf der Insel Baltrum anmelden. Dabei hatte ihre Mutter wieder einmal ihr Leid über ihren Vater ausgeschüttet. Ihr Weltbild von ihrem Vater hatte bei Mareke schon vor Jahren starke Risse bekommen. Ihr Vater ging fremd, wo sich immer eine Gelegenheit bot, und Mareke hatte ihrer Mutter oft empfohlen, sich von ihm scheiden zu lassen. Aber da sie beide ein Hotel auf Baltrum hatten, war das alles nicht so einfach, wie man es sich so dachte. Einmal hatte Mareke zu ihrer Mutter gesagt, dann müsse sie auch damit leben.

      Mareke sah zu ihrer Assistentin auf, die mit dem Suchgerät und einer roten Nase zu ihr kam und den Kopf schüttelte. Die Spurensicherung hatte einen Ausweis mit Wohnungsschlüsseln in der Tasche der Toten gefunden und nun wussten sie anhand des Ausweisbildes, wer die Tote war. Der Kutscher hatte Recht, es handelte sich um die Schulleiterin Helene Zimmersohn. Mareke sah sich den Ausweis in der Plastiktüte an und schrieb die Adresse ab. „Na, dann kommen Sie man mit, Frau Heist, wir fahren zu der Adresse.“

      Als sie dort ankamen, sprach Mareke kurz mit dem Hausmeister, bevor sie die Hausdurchsuchung in der Wohnung der Frau Zimmersohn vornahmen. Da Gefahr im Verzuge war, verzichtete sie nach Rücksprache mit dem diensthabenden Staatsanwalt auf einen Hausdurchsuchungsbeschluss. Mareke bückte sich, um unter das Bett zu sehen, und entdeckte einen kleinen Karton, den sie hervorzog. Dort fand sie eine rote Perücke, eine teure Sonnenbrille und Handschuhe mit Rüschenbordüren