Günther Seiler

Kriminalkommissarin Mareke


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nicht rein? Du hast wieder eine Fahne. Ich werde mir demnächst einen anderen Mitarbeiter suchen und dich rauswerfen.“ Der Mitarbeiter sah ihn an, griff in die Tasche und schraubte einen großen Flachmann mit Schnaps auf, nahm den Kopf in den Nacken und ließ ohne zu schlucken durch jahrelange gekonnte Übung den farblosen Schnaps gleich bis in den Magen durch den Schlund laufen. Er drehte die Flasche zu und meinte: „Macht nichts, dann werde ich eben wieder arbeitslos, mir doch egal. Dann bekomme ich wieder Stütze vom Vater Staat.“

      Der uniformierte Polizist fing den besorgten Blick des Arztes auf, der lange den Mitarbeiter des Bestatters ansah. Der Polizist ging zu ihm: „Hör mal, du Saufbruder, wenn du jetzt mit deiner Leichenkutsche fährst, sitzt du heute Nacht bei mir auf der Wache hinter Gittern, verstehst du mich? Ich habe Nachtdienst und bei meinen Streifenfahrten werde ich dich im Auge behalten.“ Ingo Harms zog nun zum wievielten Male die Handschuhe wieder aus: „Keine Angst, den Führerschein haben eure Kollegen aus Aurich diesem trostlosen Heini schon vor drei Monaten abgenommen. Mir ist nicht erklärlich, wie diese verkrachte Existenz überhaupt einen Führerschein bekommen hat.“ Der Mitarbeiter schraubte wieder die Flasche auf und bevor er diese an den Mund setzte, sagte er mit belegter Stimme: „Den habe ich auf dem Jahrmarkt in Rechts-up-Weg geschossen.“ Ingo Harms meinte: „Da gibt es keinen Jahrmarkt, du Torfkopp! Du hast mir einmal erzählt, es war in Upgantschott, aber dein Gedächtnis lässt vom Trinken schon nach und du Hohlkopf merkst das nicht einmal.“

      Der Bestatter wandte sich an den Polizisten: „Sag mal, wie lange dauert das denn noch, wann kann ich die Dame in mein Kühlhaus bringen?“ Der Polizist zuckte mit den Schultern: „Da musst du die Dame dort fragen. Aber die Leiche musst du bestimmt zur Gerichtsmedizin fahren.“ Der Leiter der Spusi nickte Mareke zu, die das kurze Gespräch vom Bestatter mitbekommen hatte. „Sie können die Leiche nun mitnehmen und bitte zum Pathologen Doktor Schreiber bringen.“ Ingo Harms war erleichtert und stieß heftig seinen Mitarbeiter an, der schon wieder in die Tasche zu seinem Schnaps greifen wollte.

      Mareke hatte während ihrer Ausbildung bei der Polizei gut aufgepasst und war in ihrer Abschlussklasse die beste Polizeischülerin gewesen. Sie hatte die Informationen der erfahrenen Polizeilehrer wie ein Schwamm aufgesogen und hatte ein fast fotografisches Gedächtnis. Sie konnte sich Passagen aus den Lehrbüchern zu den verschiedensten Thesen und Themen einfach aus dem Gedächtnis abrufen. Ihre Vorgesetzten mussten dies auch erkannt haben, da sie Mareke in ihrem jungen Alter schon eine solche Stufe in der Polizeiführung hatten hochkrabbeln lassen. Sie hatte, seitdem sie die Verantwortung für die letzten Fälle bekommen hatte, schnell dazugelernt und nahm gerne Vor- und Ratschläge von älteren Kollegen an und war nicht böse darum, wenn auch andere Mitglieder ihres Teams andere Meinungen als sie hatten.

      Nun, in diesem Fall „Blumenmarkt“ hatte sie auf ihre Erfahrungen der anderen Fälle zurückgegriffen und ihr Team für die verschiedenen Aufgaben eingeteilt. Sie hatte auch aus der Ausbildung behalten, dass die ersten vierundzwanzig Stunden nach einem Verbrechen die wichtigsten waren und danach die Spuren kälter und die Ermittlungsanstrengungen mit jeder Stunde schwieriger wurden.

      Sie hatte sich dem Team, das für die Wohnung der toten Blumenfrau zuständig war, angeschlossen und stand nun am Fenster in dem schmucken Wohnhaus der Frau Harms-Otte in dem Emdener Vorort Grünenhain, Am Deichkamp 14. Dieses war schon das Wohn- und Geschäftshaus der Eltern von Frau Harms-Otte gewesen, was sie schnell herausbekommen hatte, war doch im vorderen Teil der Blumenladen untergebracht.

      Eine Angestellte saß nun eingeschüchtert von so vielen Polizeibeamten, die mit Gummihandschuhen alle Schubladen, Schränke, Ordner und Computer durchsuchten und wichtiges Material einpackten. Darunter waren auch zwei Laptops und Ordner voller Geschäftspapiere. Mareke nahm sich einen Becher mit heißem Tee, den die Angestellte ihr freundlicherweise aufgebrüht hatte und bat die Angestellte, Frau Marion Hagendorn, mit ihrem Kaffeebecher in den Garten zu kommen.

      Diese war offensichtlich froh, etwas zu tun zu bekommen, denn sie fühlte sich hier im Wohnzimmer ihrer Chefin sehr unwohl. Sie gingen durch die Terrassentür in den Bauerngarten mit kleinen Zierapfel- und Birnenbäumchen. Frau Hagendorn holte sich eine Zigarette aus der Schachtel und sah Mareke fragend an, die dankend ablehnte. Mareke blieb in dem kleinen Rund des Gartens stehen und stellte ihren Teebecher auf einen witterungsbeständigen Holztisch. „Ich kann Sie gut verstehen. Wenn plötzlich ein Desaster über einen zusammenbricht und das bisherige Gefüge des alltäglichen Ablaufes des Lebens durcheinanderbringt, weiß man nicht, was man tun soll. Es ist aber unser Job, Hintergründe aufzudecken, die zu einem Verbrechen führen. Dazu zeigen unsere polizeilichen Lehrbücher, dass es meistens Kleinigkeiten sind, die einen Täter überführen. Eine vor langer Zeit einfach so hingeworfene Äußerung, ein Brief, ein Zerwürfnis mit Schimpfen auf einen bisher liebgewordenen Menschen bringen uns oft weiter. Nun kommt die Frage, worauf Sie wohl schon warten. Nein, nicht die übliche Frage aus dem Fernsehkrimi, wo der Kommissar mit schon wissender, böser Miene fragt ‚wo waren Sie zur Tatzeit’. Nein, Frau Hagendorn. Sie waren nach Ihren, wie Sie eingangs sagten, eigenen Worten schon lange Jahre als Aushilfe in der Woche bei Frau Harms-Otte angestellt. Was war sie für ein Mensch und was ist an dem Stalker dran? Wir fanden einen Brief von ihm in der Schürze der toten Blumenfrau.“

      Frau Hagendorn drehte ihren Kaffeebecher in den Händen, ohne dass der Inhalt überschwappte. „Sie war eine lebenslustige Frau, immer freundlich zu jedermann und wenn einmal hier arme Menschen ankamen, die Hartz vier bekamen, so gab sie denen oftmals den Strauß Blumen umsonst. Ja, der ihr nachstellte, neudeutsch heißt das wohl jetzt Stalker. Sie sagte immer ‚das ist ein armer Mensch, der schwer Anschluss bei dem anderen Geschlecht findet’. Es handelt sich um den fast siebzigjährigen Heinz-Uwe Mölders, den sie schon aus der Schulzeit kannte. Man nannte ihn immer den stotternden Heinzi. An sich tragisch, er hatte sich schon als Schuljunge in Ricarda verliebt, war die ersten Jahre in ihrer Klasse. Sie ging dann auf das Gymnasium, machte Abitur und studierte in Hamburg Geschichte. Sie fand aber keine Anstellung und als ihre Eltern starben, wurde ihr Blumenhobby zum Beruf. Das Haus wurde umgebaut, der Laden eingefügt und los ging es. Sie verdiente ganz gut, sie sagte mir jedenfalls, dass sie für ihr Alter eine Menge gespart hätte, auch hatte sie Aktien und sogar Gold- und Silberbarren, die sie umtauschen wollte, wenn es finanziell kneifen sollte.

      Für die Rente zahlte sie auch die Beiträge ein. Hier nannte sie den altmodischen Begriff, dass sie im Alter wohl genug geklebt hätte. Damit konnte ich nichts anfangen. Sie meinte immer, ich komme auch ohne Mann im Leben klar. Ja, nun ist sie tot und alles nutzt nichts.“

      Marion stellte ihren Kaffeebecher neben den Becher von Mareke ab und setzte sich auf den Holzstuhl, legte die Hände vor das Gesicht und weinte leise in ihre Handflächen. Mareke stand still vor Marion und ließ diese ihrem Kummer freien Lauf. Sie unterbrach sie nicht, sondern als Marion Hagendorn mit verweinten Augen hochblickte und ihre Augen fragten „Warum ist das nur geschehen?“ gab Mareke ihr ein Taschentuch und Marion nickte dankend. „Ich weiß, es ist jetzt unpassend, aber für mich bricht eine Welt zusammen. Ich bin auch nicht mehr die Jüngste und wo soll ich nun Arbeit bekommen? Mein Geld reicht nicht hinten und nicht vorne. Ich bin geschieden und habe zwei Kinder, die noch in der Ausbildung sind. Ich habe die beiden Kinder spät bekommen und, dass mein Mann mich für eine jüngere Frau einfach sitzen ließ, stand auch nicht in meinem Stammbuch.“

      Mareke musste bei diesem Hinweis auf das Stammbuch schmunzeln, diesen Ausspruch musste sie sich merken. „Was ist genau mit dem Heinz Uwe Mölders gewesen?“ Marion wischte sich die Tränen ab: „Der war lange Jahre auf einem Bauernhof außerhalb von Emden als Helfer tätig, wurde entlassen, warum weiß ich nicht. Dann war er arbeitslos, saß immer in Kneipen, ließ sich volllaufen und schrieb mit seiner ungelenken Handschrift Ricarda unzählige Briefe. Er würde sie seit der Schulzeit lieben, er verbrenne vor Sehnsucht, könne keine Nacht einschlafen, käme von ihr einfach nicht los und so weiter. Der war abends immer so duhn, dass der schon im Taxi oder im Nachtbus einnickte.“

      Mareke sah sie an: „Das ist ja gediegen! Den Brief, den wir bei Frau Harms fanden, war auf einem Computer geschrieben worden!“ Marion sah erstaunt hoch: „Oh, Frau Harms hörte sie nie gerne, sie bestand immer auf Harms-Otte, das hob sie wohl von den anderen Harms’ ab.“ Mareke lachte: „Wo kann ich den trinkenden, ehemaligen Betriebshelfer Mölders heute noch treffen?“ Marion