Günther Seiler

Kriminalkommissarin Mareke


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stand eine Weile in sicherer Entfernung zur rückwärtigen Seite des Glühweinstandes und beobachtete die gespenstische Szene. Auf der einen Seite hatte sich eine Menschentraube angesammelt, auf der anderen Seite hatten die uniformierten Kollegen mit dem Flatterband den Raum gesperrt und nur einen Zugang gelassen. Dort standen zwei Streifenwagen, ein Rettungsfahrzeug sowie der Notarztwagen. Nur das helle Blaulicht der Streifenwagen zuckte in gleichmäßigem Abstand wie ein Metronom, um den genauen Takt anzugeben. Mareke sah sich um und prägte sich alles ein. Es sah aus, als hätte das Orchester Platz genommen, die Instrumente gestimmt und wartete nur noch auf den Dirigenten.

      Nun zwängte sie sich durch die Reihen. Als die Beamten sie erkannten, hob einer das Absperrband und sie ging gebückt hindurch. Die Polizeipräsidentin von Emden bemerkte sie. „Hallo, Frau Menke, gut, dass Sie da sind. Die Frau Kollegin aus Bremen ist tot. Der Arzt sagte mir, es sieht nach einem Infarkt aus. Wir sind alle sehr erschüttert.“ Eine Dame kam auf sie zu und ihre Chefin, Frau Kaufmann, ergänzte: „Frau Menke, darf ich Ihnen meine Kollegin aus Oldenburg vorstellen.“ Mareke nickte und meinte: „Guten Abend, ich kenne Sie, ich war in Oldenburg zur Ausbildung und Sie haben einige interessante Kurse geleitet. Guten Abend, Frau Polizeipräsidentin Weintraut. Sagen Sie mir bitte, was genau geschehen ist.“

      Frau Weintraut blickte erstaunt zu Frau Kaufmann und diese sah Mareke nun nicht mehr so freundlich an: „Das hat Zeit, es wird alles im Protokoll stehen. Alle Beamten aus Oldenburg werden, wenn sie nächste Woche wieder im Dienst sind, ihren Bericht zu Protokoll geben. Das habe ich bereits mit der Kollegin aus Oldenburg abgesprochen. Hier geht es nur um Formalien, es sieht nach einem natürlichen Ableben aus.“

      Mareke merkte, wie ihr Blutdruck anstieg und sah auch die Augenpaare der Glühweingesellschaft aus Oldenburg, die doch allesamt Profis sein sollten. Marekes Assistentin, Frau Heist, kam an, im Gehen noch die Jacke fest schließend. Der Wind war wirklich eisig.

      Aber es sollte - im übertragenen Sinne - noch eisiger werden, als Mareke ihre Stimme hob: „Meine Damen und Herren Kollegen aus Oldenburg, meine lieben beiden Polizeipräsidentinnen. Ich wurde eben in meiner Freizeit von meiner Vorgesetzten, Frau Polizeirätin Oltmanns, angerufen und sofort in den Dienst gesetzt, um die Ermittlungen hier auf dem Weihnachtsmarkt zu führen. Ich muss Ihnen als polizeiliche Profis doch nicht sagen, wie man in einem Fall einer ungeklärten Todessache vorzugehen hat, zumindest wo hier unter uns noch zwei amtierende Polizeipräsidentinnen weilen, die uns an der Akademie der Polizei das Wissen vermitteln, wie gute Polizeileute vorzugehen haben. Dabei stand in meiner Ausbildung nichts davon, dass man Unterscheidungen zwischen einer normalen Bevölkerung und Polizeileuten vornimmt. Und wenn heute hier am Tresen die Oberstaatsanwälte von Deutschland mit Richtern der Landgerichte Glühwein getrunken hätten - das Gesetz dürfte keinen Unterschied machen.

      So, nun aber zum Ablauf. Sie kommen bitte jetzt alle auf das Präsidium, wo wir Ihre Aussagen zu Protokoll nehmen werden. Anschließend wird von Ihnen allen eine Blutprobe entnommen werden.“

      Es setzte ein ungläubiges Murren ein, von dem Mareke sich aber nicht beeindrucken ließ. Sie sah nur noch das erstaunte Gesicht ihrer Vorgesetzten und meinte, in dem Gesicht ihrer Assistentin Frau Heist ein anerkennendes Lächeln gesehen zu haben. Mareke drehte sich zu dem Streifenführer um: „Bitte holen Sie per Funk drei Mannschaftsbusse! Damit sollten wir die Zeugen, so denke ich, alle ins Präsidium bekommen. Und sagen Sie dem Arzt Bescheid, der soll sich gleich Verstärkung für die Blutproben mitbringen.“

      Die Menge am Absperrband klatschte spontan Beifall und einer rief besonders laut: „Bravo, Mädel, nicht einschüchtern lassen.“ Mareke aber sah den Rufer nur böse an.

      Sie wandte sich nun an den Notarzt Doktor Werner Korbmann, der etwas ratlos vor der toten Frau Sieglinde Hartkopf stand und langsam seine Sachen einpackte. Mareke sah ihn an: „Guten Abend, Herr Doktor, was können Sie mir nach Ihrem ersten Eindruck sagen?“ Der Arzt schien von Marekes kurzer Ansprache beeindruckt zu sein. „Nun, ich befragte nach der Untersuchung der Toten hier die Umstehenden und im Gespräch erfuhr ich, wer diese Herrschaften waren. Sie redeten aufgeregt alle durcheinander und ich verstand nur, dass es ein gemütlicher Abend war und alle irgendwann an der Reihe waren, eine Runde Glühwein auszugeben. Ihre Entscheidung ist richtig, von allen hier eine Blutprobe entnehmen zu lassen. Sicher ist sicher. Ich denke, der Staatsanwalt hätte nichts dagegen. Zur Toten. Es handelt sich nach meinen ersten Untersuchungen um einen klassischen Herzinfarkt. Was ich bei dem Durcheinander herausbekam, war, dass sich die Polizeipräsidentin von Bremen an den Hals fasste, den Schal abzog oder zumindest versuchte, ihn abzuziehen. Das sind die ersten Merkmale der Atemnot. Ich konnte nur noch einen Herzstillstand feststellen. Was ich sehr bedauernswert fand, ist, und das müssten diese Herrschaften der Polizei doch wohl können, dass keiner versuchte, eine Herzmassage vorzunehmen oder zumindest eine Mund zu Mund Beatmung anzuwenden. Darüber bin ich sehr erbost und das werde ich auch in meinem Bericht dick unterstreichen.“

      Die beiden Damen der Polizei in den hohen Positionen nickten dazu. Frau Weintraut sah ihre Kollegin aus Oldenburg an: „Das werden wir auf einer der nächsten Tagungen thematisieren.“ Mareke sah die Spurensicherung an, die rein vorsorglich von der Polizeirätin alarmiert worden war. Einer der Kollegen ging an dem Glühweintisch vorbei, Mareke kniete sich neben die Leiche und sah diese gedankenverloren an: „Was ist nur mit Ihnen passiert? War ein Glas Glühwein schlecht?“

      Zwei Wochen nach diesem Glühweinabend hatten sich die Wogen geglättet, die Presse hatte davon Wind bekommen und die Polizeiführung von Emden hatte dem Innenmister einen Bericht abgeben müssen.

      Am nächsten Tag kam Frau Weintraut in Marekes Büro, wo diese gerade dabei war, mit Frau Heist einige Kollegen als Sonderkommission ‚Glühwein’ zusammenzustellen. Frau Weintraut stand etwas verloren im Büro: „Ich muss mich bei Ihnen, Frau Menke, für mein Verhalten entschuldigen. Das kommt nicht wieder vor. Sie haben recht und ich finde es von den jungen Menschen hier im Präsidium wirklich gut, sich von ‚großen Tieren’ nicht einschüchtern zu lassen.“ Mareke stand auf, gab ihr die Hand und meinte: „Den berühmten Schwamm drüber. Mein Vater sagte mir immer: Bleibe redlich und fürchte dich vor Niemandem. Das ist auch mein Lebensmotto geworden.“

      Mareke trug den Vorschlag der neuen SOKO zur Personalaufstockung vor und Frau Weintraut zeichnete noch im Stehen das Anforderungspapier ab. Die Zeugenaussagen der Oldenburger Kollegen waren übereinstimmend und gaben nichts Auffälliges her, die Blutalkoholwerte waren nachgewiesen und Mareke bat alle Kollegen der ‚SOKO Glühwein’, darüber Stilschweigen zu bewahren. „Einige der Kollegen aus Oldenburg wären gut beraten, ein Gespräch mit einem Suchtbeauftragten zu suchen, das sagt alles“, meinte Mareke. „Aber, die Damen und Herren müssen wissen, was sie tun.“

      Mareke sah ihre Assistentin an: „Was sollen wir machen?“ Frau Heist nahm ihre Jacke vom Haken. „Ich bekam gerade eine Mail vom Pathologen. Wir sollen doch einmal bei ihm in der Sache Glühweinbude vorbeischauen.“ Mareke stand ebenfalls auf: „Ich habe mein Postfach noch nicht angesehen. Glühweinbude ist gut. Wir fahren hin.“

      Der Pathologe Doktor Holger Schreiber hatte neben der Gerichtsmedizin ein zweites Institut in seinem privaten Haus in Börßumerfehn. Dies lag etwas außerhalb von Emden in Richtung Moormerland-Warsingsfehn. Hier konnte der Gerichtsmediziner seine ungeklärten Fälle frei von der Tageshektik, die eine Gerichtsmedizin mit sich bringt, erforschen und untersuchen. Mareke war noch nie in diesem privaten, pathologischen Institut gewesen und war dementsprechend aufgeregt, was sie wohl erwarten würde.

      Die Ehefrau öffnete. Im Garten spielten die Nachbarskinder. Sie lächelte: „Kommen Sie beide herein, die Nachbarn kennen die Arbeit meines Mannes und es wundert sich hier keiner mehr, wenn Leichenwagen vorfahren. Ist halt normal und gehört zum Leben dazu.“ Mareke lächelte unsicher und dachte‚ daran müsste ich mich als Nachbarin auch erst gewöhnen’.

      Frau Schreiber brachte den Besuch in den Keller und rief laut: „Liebling, dein Besuch ist da.“ Der Pathologe öffnete seine Tür und helles Neonlicht fiel in den Vorraum. „Da sind Sie ja, herzlich Willkommen bei mir. Haben Sie keine Furcht, hier ist alles normal, wie in der Gerichtsmedizin. Hier geistern keine zusammengesetzten, ehemaligen Menschen durch die Räumlichkeiten.“

      Marlies gruselte