Günther Seiler

Kriminalkommissarin Mareke


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die ihnen Herr Schreiber überreicht hatte. Als sie im Sektionsraum waren, lag die Leiche der Frau Sieglinde Hartkopf auf dem Tisch mit dem Kopf zu ihnen gewandt. Mareke und Marlies gingen langsam an den Tisch heran und warteten auf den Pathologen, der das Deckenlicht ausschaltete, das Licht an dem hellen Übersichtsmonitor anstellte und ein Röntgenbild und ein Foto einer Hand an den oberen, beleuchteten Rand steckte.

      „Sehen Sie, das ist die rechte Hand der Dame, die an dem Glühweintisch auf dem Weihnachtsmarkt am Emdener Hafen verstarb. Ich habe mehrfach die Zeugenaussagen gelesen, die Sie mir freundlicherweise aus der Polizeiakte als Kopien einreichten und sehen Sie hier, ich zitiere die Aussage einer Beamtin von der Drogenfahndung, die wohl aufgrund ihres Berufes einen schärferen Blick für das vordergründig Unwichtige im Leben hat. Sie sagte aus: Wir standen alle ausgelassen und einige sichtbar angetrunken an zwei zusammengestellten runden Stehtischen, die üblicherweise auf Weihnachtsmärkten vorhanden sind, und tranken Glühwein. Dann wollte die Frau Polizeipräsidentin Hartkopf eine Runde ausgeben. Aber da widersprach ihr heftig die Oldenburger Polizeipräsidentin Frau Weintraut. Frau Hartkopf wäre schließlich der eingeladene Gast und sie würde nun diese Runde ausgeben. Dann sammelte sie die Becher zusammen und fragte, wer zum Tragen mit an den Glühweinstand gehen würde. Sie sagte noch scherzend, das Pfandgeld entfiele ja beim Tausch der Becher. Zwei männliche Beamte von uns gingen mit. Nach einer Weile kamen sie zurück, denn am Stand herrschte großer Andrang und es dauerte eben lange bis alle Becher gefüllt waren. Sie kamen mit mehreren Tabletts zurück und verteilten die heißen Becher auf dem Tisch. Frau Weintraut stieß sehr heftig zum Prosten mit dem Becher der Frau Hartkopf an, wobei der heiße Glühwein über den Handschuh dieser Dame schwappte. Frau Weintraut entschuldigte sich für das Missgeschick und wischte mit einem Herrentaschentuch den Handschuh an der Hand ab. Zitat Ende.

      Nun, ich habe bei dieser Dame hier auf meinem Tisch einen Blutalkoholspiegel von 1,6 Promille festgestellt und gebe zu bedenken, dass es sich um den wahren Wert handelt, denn ein toter Mensch kann naturgemäß keinen Alkohol mehr im Körper abbauen, wenn man die langsame Verwesung bei einem gerade verstorbenen Menschen in den ersten Stunden außer Acht lässt, die nicht ins Gewicht fällt. Bis auf einen kleinen Miniwert vielleicht, das ist aber grundlegend bei kurz Verstorbenen noch nicht erforscht worden. Das sollte ich vielleicht mal machen, wenn ich in Pension bin.“

      Doktor Schreiber schob die Brille hoch und sah die beiden Damen an, die ihm gespannt weiter zuhörten, als er sich drehte und wieder auf das sehr scharfe Bild der Hand zeigte. „Nun, Sie sehen hier auf dem Foto einen kleinen, fast unmerklichen Einstich auf dem Handrücken.

      Ich habe natürlich vorher das Blut und das Gewebe der Leiche untersucht und das Herz von einem Kardiologen begutachten lassen. Nach dem Kollegen vor Ort diagnostizierte auch er einen Herzinfarkt, alle Anzeichen sprachen dafür, die Körperhaltung, die Hautfarbe! Auf dem ersten Blick deutete also alles auf einen Herzinfarkt hin. Doch was war die Ursache? Das Herz war gesund, ich habe mich mit dem Hausarzt von Frau Hartkopf über ihren Gesundheitsstatus unterhalten. Sie hatte nie über Herzprobleme geklagt. Natürlich kann ein Infarkt durch verschiedene Gegebenheiten plötzlich kommen.

      Doch in dem Gewebe und im Blut entdeckte ich Spuren eines Giftes. Um sicher zu sein, holte ich einen Toxikologen zur Leichenschau dazu. Der Bericht liegt vor. Hier wird eindeutig festgestellt, dass eine Tachykardie, also ein Herzrasen vorlag, der zum Tode führte. Doch was war der Auslöser? Der Glühwein bestimmt nicht, auch wenn er gepanscht sein sollte, denn die Budenbesitzer wollen Geld und keine toten Kunden. Nein, wir sind nach diversen, zum Teil komplizierten Versuchen dem Gift auf die Schliche gekommen.

      Es handelt sich um unsere heimische Eibe, ein Baum, der in vielen Gärten steht, bis zu zwanzig Meter hoch wird und deshalb beliebt ist, weil er immergrün ist. Die Eibe gibt einmal im Jahr kleine rote Früchte ab, kleine Kügelchen. Diese sind aber nicht giftig. Sondern hochgiftig sind die vorher entstehenden, kleinen, grünen Samenmäntelchen, aus dem später einmal die rote Frucht wird. Außerdem sind die Rinde der Eibe sowie die Tannennadeln stark giftig. Man muss also diese drei Sachen der Eibe als eine Art Pampe in großen Mengen essen, um daran zu sterben. Oder man kocht einen Sud, zieht den auf eine Spritze oder Giftpfeil und tötet somit einen Menschen.

      Das Gift kam über einen Stich in die Hand in den Körper der Frau Hartkopf. Es vergeht eine gute halbe Stunde, dann wirkt das Gift. Man bekommt Atemnot, Schweißausbrüche, Herzrasen und, wenn nicht augenblicklich ein Kardiologe mit Gegenmitteln zur Herzstabilität eingreift, ist der Exitus letales unausweichlich. Die Frau Polizeipräsidentin Weintraut, die, wie ich mitbekam, die Kollegin aus Bremen zum Weihnachtsmarkt nach Emden einlud, holte eine Lage Glühwein, stieß mit ihr heftig an den Becher an, tupfte mit einem Herrentaschentuch deren Hand ab. In diesem Taschentuch war vorher wohl eine manipulierte Spritze mit dem Gift versteckt. Die stach sie kurz beim Abtupfen in die Hand der Frau Hartkopf und nun liegt sie hier!“

      Mareke und Marlies sahen sich ungläubig an. Marlies fand als erste wieder Worte: „Das Verbrechen soll eine Polizeipräsidentin an einer anderen Polizeipräsidentin vorgenommen haben? Das gab es in der Kriminalgeschichte in Deutschland noch nie!“ Doktor Schreiber löschte das Licht an dem Bildschaukasten: „Ja, einmal ist immer das erste Mal. Diese Plattheit hat etwas Philosophisches an sich. Bringen Sie mir das Herrentaschentuch der Frau Weintraut und ermitteln Sie, ob sich die Damen womöglich im beruflichen Sektor doch nicht so gut verstanden. Berufseifersucht, oder war derselbe Mann im Spiel? Das Lebensspektrum ist weit für Morde. Aber das wissen Sie am besten. Wenn meine Kunden hier auf dem Metalltisch doch ein letztes Mal plaudern könnten, hätten wir die Fälle schneller geklärt, zumindest die meisten Fälle.“ Mareke bekam eine Gänsehaut und Marlies sah auch nicht besonders glücklich aus, als sie leise sagte: „Was machen wir bloß?“

      Das Gespräch der Polizeirätin Jelte Oltmanns und der Polizeipräsidentin von Emden, Helma Kaufmann, verlief heftig. Als Mareke ihnen von dem Verdacht des Pathologen Doktor Schreiber gegen Frau Weintraut aus Oldenburg berichtet hatte, konnte man die Ungläubigkeit bei den beiden Damen mit Händen greifen. Frau Oltmanns fand als erste die Sprache wieder und meinte matt: „Was machen wir bloß?“ Mareke sah sie an: „Das sagte meine Kollegin Frau Heist auch und ich habe nachts Stunden wach gelegen, aber mir fiel nichts Gescheites ein. Ich träumte schon davon und wachte auf. Als mir der Traum wieder einfiel, sah ich mich als alte Kräuterfrau verkleidet bei Frau Weintraut an ihrem Haus klingeln, sie in ein Gespräch nach Giften verwickeln und ich bekam heraus, dass sie das Gift der Eibe kannte und mich in das Labor in ihrem Keller einließ.“

      Mareke hatte ganz rote Wangen vor Aufregung, als Frau Kaufmann sich plötzlich steif auf die Vorderkante ihres Stuhls setzte. „So machen Sie das, überführen Sie Frau Weintraut als Kräuterhexe, auch wenn ich das dem Oberstaatsanwalt beibiegen muss. Sie muss freilich ihr Geständnis unterzeichnen.“

      Nun war schon wieder ein weiteres Weihnachtsfest vorbei. Frau Weintraut saß auf der Pritsche und starrte an die Tür, als sie ein Geräusch vernahm. Die Wärterin ließ die Beobachtungsklappe fallen und der Schlüssel wurde ruckartig im Schloss gedreht. Dann wurde die Zellentür aufgestoßen.

      Ihr Anwalt, Doktor Holger von Stumpf, kam schweigend herein und seinem Gesicht sah sie an, dass sie mit dem Revisionsantrag gescheitert waren. Frau Weintraut war zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes an Frau Hartkopf verurteilt worden und saß nun schon über ein Jahr in der Haftanstalt in Lingen. Ihr Anwalt hatte vergebens versucht, das Urteil in der Beweisführung anzugreifen. Er hatte beweisen wollen, dass Frau Menke als alte Kräuterfrau die Beweise auf eine gesetzwidrige Art und Weise bei seiner Mandantin beschafft hatte.

      Aber das Geständnis von Frau Weintraut war übermächtig, die Beweise des Pathologen Doktor Schreiber unerschütterlich. Seine Kombination hatte in diesem Fall voll ins Schwarze getroffen. Die Justizanstalt Lingen hatte eine Bewohnerin mehr für eine lange, ganz lange Zeit.

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