Günther Seiler

Kriminalkommissarin Mareke


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keine Spelunke oder Kaschemme. Ich habe auch keinen blassen Schimmer, warum die Kneipe ‚Blauer Flaschenhals’ heißt, wahrscheinlich, weil die dort alle schnell betrunken sind.“

      Marion konnte jetzt schon wieder lachen. Mareke nahm auch ihren Becher und holte einen kleinen Block aus der Tasche. „Ich weiß es aber. Ich bin zwar von der Insel Baltrum, meine Eltern haben dort, besser gesagt ‚hatten’, ein Hotel. Die Kneipe hat den Namen von der Karibikinsel Curacao. Zumindest das blaue im Namen. Meine Eltern waren immer nach einem Treffen der Hotelbesitzer auf dem Festland dort. Nach der Konferenz, versteht sich.“

      Marion grinste verständnisvoll und sah Mareke fragend an. „Danke, für die Auskünfte. Für den Fall, dass ich Sie noch sprechen möchte, schreiben Sie doch bitte Ihre Adresse in meinen Block.“ Marion trug ihre Adresse ein und drückte Mareke herzlich die Hand: „Finden Sie den, der das Ricarda angetan hat.“ Mareke nickte noch, als Marion schon den schönen Bauerngarten verließ.

      Mareke saß noch eine ganze Zeit an ihrem Computer in ihrer Wohnung und las Nachrichten aus aller Welt. Sie hatte fast die Zeit vergessen, als sie auf die Bildschirmuhr blickte und den Computer herunterfuhr, sich schnell anzog und ein Taxi rief. Mareke hatte keinen Führerschein. Als Insulanerin hatte sie auch keinen gebraucht und später auf dem Festland kein Interesse gehabt. Das Taxi kam in wenigen Minuten und der Fahrer hupte kurz. Mareke nannte das Ziel und nach einer kurzen Fahrtzeit kam sie an der Kneipe mit dem exotischen Namen ‚Zum blauen Flaschenhals’ an.

      Die Kneipe war zu dieser Stunde noch gut besucht und Mareke hatte als neue Beamtin den Vorteil, hier in Emden noch nicht so bekannt zu sein. Der Wirt hatte offensichtlich schlechte Laune, er fragte sie mürrisch, was sie trinken möchte. Sie bestellte ein Bier und einen Korn. Mareke sagte laut: „Einen Lütt und Lütt hätte ich gerne, mein Tag war heute so stressig. Einen doppelten Korn bitte.“ Sie war sich sicher, dass die Männer am Tresen ihren Getränkewunsch bemerken würden. Bei einem Bier würden sie nicht einmal hochblicken. Aber wenn sich eine fremde, junge Frau am Tresen einen Korn und noch dazu einen doppelten bestellte, fiel sie garantiert auf. Und so war es auch.

      Ein älterer Herr mit glasigen Augen und fehlenden Zähnen im Mund grinste sie an und stotterte: „Na, Mädel, endlich Feierabend, wie? Was machst du denn den ganzen Tag?“ Mareke bekam ihre Getränke, hob das große Kornglas und ließ den Inhalt gekonnt durch die Kehle rinnen. Sie hatte das in der Hotelbar ihrer Eltern oft genug bei den Gästen am Tresen gesehen. Der Geschmack des Schnapses war ihr zuwider, sie hätte sich schütteln können, trank einen Schluck Bier, wischte sich den Mund ab und bemerkte in den Augenwinkeln, wie der ältere Herr sie interessiert anstarrte.

      „Warum willst du wissen, was ich mache? Wir kennen uns doch nicht. Willst du mich anmachen oder was läuft hier bei dir ab? Ich frage dich alten Saufkumpan ja auch nicht, was du machst. Beruflich meine ich oder mal gemacht hast. Du bist wohl schon lange in Rente, so verknittert wie du aussiehst. Bestimmt schon zwanzig Jahre. Du scheinst auf die Mitte Neunzig zu zugehen, so wie du aussiehst. Reich bist du anscheinend auch nicht, sonst würdest du mehr Wert auf eine anständige Garderobe legen.“ Mareke bemerkte mit Genuss, wie er bei ihren Worten zusammenzuckte, damit hatte er nicht gerechnet.

      Die anderen Männer am Tresen verstummten, unterbrachen ihr Knobeln und sahen sie mit offenem Mund an. Das hatten sie auch nicht alle Tage hier erlebt. Der Wirt vergaß seine schlechte Laune, verharrte im Gläserputzen und sah Mareke stumm an. Er schien sich zu fragen, was nun wohl käme. Würde ein Mann hier so auftrumpfen, hätte der Wirt bestimmt schoneine Schlägerei am Tresen. Mareke ermahnte sich, nicht zu weit zu gehen. Doch die Reaktion des Mannes war verblüffend, denn er blieb höflich und fuhr stotternd fort: „Mein Name ist Heinz Uwe Mölders, meine Freunde nennen mich den stotternden Heinzi, das darfst du auch ruhig zu mir sagen. Mitte Neunzig werde ich in zwanzig Jahren, wenn ich das hier am Tresen mit dem Saufen durchhalte Hallo Katrin Hallo mein Schatz.“

      Einer der Knobelbrüder lachte laut: „Freunde? Heinzi, du Träumer, wo sollen die denn sein? Auf dem Friedhof? Du hattest doch nie Freunde. Wer wollte schon mit dir befreundet sein. Du hattest ja außer dem Saufen hier am Tresen und in anderen Kneipen in Emden nur noch ein Hobby. Du bist doch immer der Blumen-Ricarda nachgestiegen, wenn du vom Melken kamst.“

      Mareke merkte, wie ihre Ohren vor lauter Aufregung warm und rot wurden. Sie musste ruhig bleiben, war aber angespannt wie ein Flitzebogen. Der Mölders sagte nun zum Wirt: „Mach mir mal eine Runde, auch für die nette Dame hier am Tresen. Nette Frauen haben wir hier ja nicht so oft.“ Zu Mareke gewandt meinte er: „Auch noch einen kleinen Lütten?“ Dabei lächelte er und zeigte mit Zeigefinger und Daumen ein kleines Glas. Mareke nickte. Der Wirt hatte seine Arbeit wieder aufgenommen. Er kannte wohl hier in seiner Kneipe die ab und zu auftretenden atmosphärischen Störungen. Und wenn der Wind dann wieder aus den Segeln war, machte er einfach seine Arbeit weiter.

      Mareke durfte jetzt zu Heinzi nicht zu freundlich sein und sagte deshalb etwas patzig: „Du wolltest eben wissen, was ich den ganzen Tag mache. Ich bin im Katasteramt in Aurich tätig. Zufrieden?“ Mölders nickte, der Wirt brachte die Getränke und der stotternde Heinzi stieß mit ihr an.

      Als Heinzi gerade sein Bier ausgetrunken hatte, öffnete sich die Kneipentür und Mareke drehte sich um. Sie war erstaunt, als sie den Bestatter Ingolf Harms sah, der sich gleich an einen der hinteren Tische mit dem Rücken zu den Gästen setzte. Heinzi Mölders rutschte von seinem Hocker, murmelte etwas von Toilette und war im Waschraum verschwunden.

      Nach einiger Zeit sah sich Mareke um und bemerkte, dass Heinz Uwe Mölders am Tisch des Bestatters saß, der eindringlich auf ihn einredete. Mareke stand am Tresen wie bestellt und nicht abgeholt, die Knobelbrüder und der Wirt kümmerten sich nicht mehr um sie. Nach einer halben Stunde kam der stotternde Heinzi an den Tresen, zahlte beim Wirt seine Zeche, tippte sich kurz an die Schirmmütze und meinte zu Mareke: „N‘Abend, bis demnächst.“ Dann war er weg und als sie sich zu dem Bestatter Harms umsah, war dieser ebenfalls vom Tisch verschwunden. Nun war Mareke verunsichert, ihr Kalkül ging nicht auf. Sie hatte plötzlich Angst und überlegte krampfhaft, was sie jetzt wohl machen konnte, das Ganze schien für sie nicht gut gelaufen zu sein. Sie rutschte vom Barhocker und überlegte.

      Der Bestatter Harms sah von seinem Fahrersitz in seiner teuren Limousine den stotternden Heinzi mürrisch und misstrauisch an: „Kann ich mich darauf verlassen, dass mich die neugierige und nervige, junge Polizistin Menke von der Insel Baltrum auch wirklich eben in der Kneipe nicht gesehen hat? Oder bist du Schnapsnase wieder einmal so blitzeblau, dass du nichts mitbekommst? Wundern würde mich das nicht.“ Ingolf sah ihn verächtlich von der Seite an, griff über Heinzi weg in das Handschuhfach und holte sich aus einer Tüte eine Dose Bier. Heinz Uwe sah ihn an und meinte nur: „Nee, da bin ich mir sicher. Mir hat sie gesagt, sie wäre vom Katasteramt aus Aurich. Ich kannte sie ja nicht, die muss neu bei der Polizei sein. Dabei habe ich schon einige hier auf der Wache kennengelernt, wenn die mich mitgenommen haben.“

      Heinz Uwe hatte im Laufe seines Lebens viele Beleidigungen ertragen müssen, andere Menschen hätten gesagt, einfach zu viele. Die meisten waren auch unberechtigt und gemein. Heinzi hatte als Mensch mit dem Stottern keine großen Chancen gehabt und das prägt einen Menschen in seinem Selbstwertgefühl. Es lag auch wohl mit daran, dass er sich einfach damit abgefunden hatte, der Blitzableiter für andere Menschen zu sein. Er hatte auch nicht die Argumente auf der Hand, um sich richtig ausdrücken zu können. So legte er sich ein dickes Fell zu, absorbierte die Gemeinheiten der Menschen und dachte sich seinen Teil.

      „Die hat dich nicht gesehen, Bestatter. Du hast ja auch in der dunklen Ecke im hinteren Teil in der Kneipe gesessen.“ Ingolf knurrte: „Wer weiß, ich traue keinem, vor allen Dingen dir nicht. Du redest immer zu viel. Wenn dir jemand einen Schnaps ausgibt, fasst du Holzkopf zu schnell Vertrauen und merkst nicht einmal, dass die dich nur aushorchen. Katasteramt, von wegen! Dir kann man auch erzählen, im Himmel wäre Jahrmarkt. Du hast in deinem Leben zu viel Zeit bei den Schweinen verbracht.“

      Heinz Uwe sah ihn an: „Stimmt, da hast du recht. Zu viel Zeit bei den zweibeinigen Borstenviechern, ich bin aber Melker.“ Heinzi freute sich, einmal einen Punkt gewonnen zu haben, zumal bei dem Bestatter Harms, den er im Grunde schätzte, auch wenn er ruppig zu ihm war. Er hatte schließlich immer Aufträge für ihn