Andrea Vogelgesang

Die Farbe Türkis


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kleinen Strand. Barfuß im Sand zu laufen und sich von den heranschwappenden Wellen die Beine kühlen zu lassen, war ein herrliches Gefühl. Die kleine Bucht war wie der Garten Eden, an der linken Seite war in den Felsen ein kleines Haus mit romantischem Balkon, gebaut, direkt über dem Meer, ein herrlicher Ort. Zur rechten führte eine kleine Treppe hoch zu einer Promenade, an der wir entlang liefen bis wir ins Fischerdorf gelangten. Alles war neu und wirkte doch vertraut zugleich in der Sommerwärme, die uns freundlich umarmte. Hinter dem Hafen entdeckten wir ein schönes Café, es hieß „Arche“. Bei Cappuccino und Croissant genossen wir das Gefühl des Urlaubsbeginns, das uns einen Hauch Unendlichkeit vorgaukelte. Wir blätterten in einem Reiseführer und schmiedeten Ausflugpläne, für die Tage, wenn wir unser Mietauto abgeholt hätten.

      Ich stand gerne schon ganz früh auf und schwamm noch vor dem Frühstück im Meer weit hinaus. Dabei tauchte ich immer wieder ein paar Meter. Schwärme von Fischen jagten einander um von Algen und Wasserpflanzen bewachsene Felsblöcke, beschienen vom Licht der morgendlichen Sonnenstrahlen, die die Unterwasserwelt vergoldeten. Melissa schlief gerne etwas länger und mir kam es gelegen, in diesem schönsten Blau ganz allein für mich zu sein, wenn in den Morgenstunden das Meer in einer Klarheit glänzte wie zu keiner anderen Tageszeit. Ich fühlte mich seit langem das erste Mal wieder so frei, ganz ich selbst. Als hätte ich all meine Probleme, die mir zu Hause das Leben schwer machten und wie eine Last an mir hingen, auch in einen Koffer gepackt und abgeschickt – aber in eine ganz andere Richtung.

      Auch wenn ich nun schon so lange keinen Urlaub mehr gemacht hatte, war es ganz seltsam. Schon als Lissa und ich das erste Mal am großen Strand in der Nachbarbucht lagen, in der südlichen Hitze, auf unseren Liegen unter einem Sonnenschirm aus Palmwedeln, ein wenig lasen, uns unterhielten und immer wieder in dem wunderbar kühlen Meerwasser erfrischten, hatte ich ein besonderes Gefühl. Es war mir als wäre dieser Zustand der normalste von der Welt, als wäre dies hier, dieses süße Nichtstun umgeben von etlichen Genossen, die das gleiche taten - bzw. nicht taten – so wie wir , das eine, das wirkliche Leben. All die Urlauber, die Eltern und Kinder oder Pärchen, erschienen mir wie die immer gleichen, denen ich begegnet bin, seit ich Ferien mache. Die Szenerie war von einer bekannten Atmosphäre erfüllt wie vor zehn Jahren, als ich als Studentin meinen ersten Urlaub alleine machte, wie in meiner Kindheit, als ich mit meinen Eltern im Sommer immer nach Italien fuhr. Ich hatte das Gefühl, in die exakt gleiche Figuration einzutauchen mit bestbekannten Statisten, die ich mir nicht an einen anderen Ort vorstellen konnte als genau hier am Strand. Menschen ohne Beruf oder ein anderes Leben, einfach nur in Badehose oder Bikini im Hier und Jetzt. Jeder Strand der Welt, egal wo er liegt, bietet dies: Ein herrliches Nomadenleben, kurz werden die „Zelte“ aufgeschlagen und man lässt sich nieder. Das Hab und Gut reduziert auf eine eisgekühlte Wasserflasche, ein Sandwich oder Obst, einen Roman und die Badesachen. Die Kulisse erschallt mit lautem Lachen, Rufen, Kinderschreien. Pärchen spielen Beachball, rennen auf heißem Sand in das klare Wasser. Aus diesem pulsierenden Leben erhebt sich ab und an stakkatoartig das ulkige Rufen eines Strandverkäufers. Irgendwie hörte für mich die Zeit auf zu sein. Wenn ich mich zu Hause in der Freizeit schnell langweilen konnte, bekam ich hier nicht genug von dem Gefühl, dem Nichtstun hingegeben, den Moment zu genießen.

      Abends genoss ich es, frischgeduscht, in ein leichtes Sommerkleid und meinen Lieblingsduft gehüllt, mit Melissa zum Essen zu gehen. Bei Pedro, dem Hotelkellner, bestellten wir einen halben Liter weißen Hauswein – vino blanco de la casa. Dann stießen wir mit den kühlbeschlagenen Gläsern an. Zur Vorspeise gab es Brot mit Aioli und einen Salat mit Meeresfrüchten. Unter den anderen Gästen, waren Pärchen, Freundinnen so wie wir, Männergruppen, aber auch einige Familien. Da ertappte ich mich, wie ich immer wieder zu ihren Tischen hinüber schielte.

      Im Stillen dachte ich: Werde auch ich einmal verheiratet sein, Kinder haben und so wie diese hier Urlaub machen und glücklich sein? –

      Dabei wurde mir kurz bang ums Herz, schließlich war ich schon dreißig.

      Doch in den Ferien gab es kein langes Grübeln und beim zweiten Glas Wein und der köstlichen Hauptspeise verflog meine Melancholie schnell wieder. Lissa und ich stießen nochmal an und überlegten, was wir bis zum Discobesuch noch machen würden, denn richtig los ging hier alles erst um Mitternacht.

      Als wir später noch in der milden Abendluft auf der Restaurantterrasse saßen, erschien ein gutaussehender Typ in der Tür. Er war ungefähr unser Alter und hatte dunkle Locken. Er blickte sich kurz um und ging dann gezielt zu unserem Tisch.

      „Entschuldigung, wisst ihr, ob es hier noch etwas zu essen gibt?“ fragte er. „Ich bin gerade erst angekommen und hier ist die Küche wohl schon geschlossen.“

      Melissa schaute etwas verlegen in die dunkelbraunen Augen ihres Gegenübers und antwortete: “Ja, ab halb zehn ist Feierabend.“

      An diesem Abend sah sie richtig gut aus! Die Sonne hatte ihre blonden Haare schon um eine aparte Nuance aufgehellt und aus dem zartgebräunten Teint leuchteten ihre blauen Augen noch intensiver als ohnehin.

      „Wisst ihr denn, wo man noch was Gutes kriegt? Ich habe einen Bärenhunger. Ich heiße übrigens David“ fügte der fremde Deutsche hinzu.

      Nach einem kurzen Gespräch, entschlossen wir uns kurzfristig, ihn in eine der Snackbars an der Strandpromenade zu begleiten. Lissa und ich nahmen einen Drink und David bestellte sich eine Pizza und Bier. Wir erzählten durcheinander, lachten viel und scherzten.

      Der Blick auf die Hafenmole von Cala Ratjada war unvorstellbar schön. In der Ferne blinkte in regelmäßigen Abständen das Licht des Leuchtturms.

      Plötzlich zeigte David auf das Wasser und rief: „Schaut mal, da…“

      Wir blickten zum Horizont und sahen wie aus dem Meer ganz langsam der Mond aufging und bald als riesengroße orangerote Kugel am dunklen Nachthimmel stand. Wäre es nicht die wirkliche Natur gewesen, hätte man es als reinsten Kitsch bezeichnet. In der schwülwarmen Spätabendatmosphäre lag etwas Märchenhaftes, dessen Zauber sich keiner entziehen konnte. So etwas hatten wir noch nie gesehen.

      3

      Seit diesem Abend entwickelte sich der Urlaub allerdings etwas anders, als ich mir es vorgestellt hatte. Melissa war wie ausgewechselt. Eigentlich hatte ich es gleich gespürt. Schon im ersten Moment der Begegnung mit David hatte ich geahnt, dass Melissa sich verlieben würde und auch er hatte sein Interesse an meiner Freundin nicht verborgen. Er hatte wohl gerade eine Beziehung hinter sich und wollte mal eine Zeitlang ganz für sich sein wie er sagte. Er erzählte von seiner tollen Firma in Deutschland und dass er jahrelang keinen Urlaub mehr gemacht hätte – vor lauter Arbeit. Er machte einen interessanten Eindruck, aber irgendetwas störte mich an ihm. Ich fand ihn, glaube ich, zu angeberisch. Oder war ich etwa neidisch?

      Tja, das würden ja schöne Ferien werden. Ein verliebtes Paar und ich störend daneben, das berühmte fünfte Rad am Wagen. Andererseits gönnte ich Melissa ja auch ihr Abenteuer, hatte sie doch schon so lange kein Glück in der Liebe mehr gehabt. Aber dass ich jetzt einen Urlaub vor mir hätte, den ich mehr oder weniger mit mir selbst verbringen würde, störte mich doch sehr. Und so kam es auch. Am nächsten Morgen gestand meine Freundin mir, dass sie ein Date mit David hätte und zwar alleine. Ich glaube ich verzog mein Gesicht, als hätte ich gerade in eine Zitrone gebissen. Doch bevor ich anfing zu nörgeln, entschloss ich mich, keine Spielverderberin und nicht zickig zu sein. Ich nahm mir vor, die Insel auf eigene Faust zu erforschen.

      Ich holte unseren Mietwagen nun alleine ab und fuhr in Richtung Palma. Welch eine Stadt! Schon wenn man sich von der Peripherie dem Zentrum nähert, sieht man die prächtige Kathedrale „La Seu“ stolz in den wolkenlosen Mittelmeerhimmel emporragen. Dort wollte ich als erstes hin. Die stille ernste Größe, die das gotisch erbaute Gotteshaus schon von außen ausstrahlt, setzt sich im Inneren ehrfurchteinflößend fort. Von zahlreichen Säulen getragen baut sich das – wie ich las -110m lange Hauptschiff imposant vor einem auf. Und dann als Höhepunkt fiel mir die aus über tausend Glasteilen gefertigte Rosette in der Apsis ins Auge, die durch den Lichteinfall in den schönsten Farben erstrahlte. Ganz still war es hier, alles Laute und Hektische der Außenwelt war verklungen. Ich fühlte