Miriam Lanz

Unter Piraten


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brauch´ jemanden, der meine Kabine ordentlich hält!“, erklärte Blackbeard, wobei er auf die Tischplatte gestützt kaum in der Lage war, sich auf den Beinen zu halten.

      Gwyn sah ihn ungläubig an. Das war das Lächerlichste, was sie je gehört hatte.

      „Los, fang an! Wenn ich wieder komme, ist diese Kabine wieder in einem ordentlichen Zustand!“, säuselte er und wankte langsam zur Tür.

      ‚Dazu müsste ich ein Wunder geschehen lassen.’

      Gwyn sah sich in dem Raum um. Die Wände waren gesäumt von den rötlich-braunen Überresten von Rum - zumindest hoffte Gwyn, dass es sich um Rum handelte.

      Überall lagen leere Flaschen herum, ungeladene Waffen und zu Gwyns Überraschung waren auch alte Bücher und lose Blätter auf dem Boden verteilt.

       'Blackbeard kann lesen?'

      Nach seiner Ausdrucksweise zu urteilen, hätte Gwyn schwören können, dass er ein Analphabet war, so wie der Rest der Besatzung.

      Der Piratenkapitän schien im Suff das hohe Regal leergeräumt zu haben. Aber wenn man die Unordnung vernachlässigte, war die Einrichtung des Raumes, im Vergleich zum Rest des Schiffes, sehr komfortabel. In der Kabine war ein richtiges Bett in die Wand eingelassen und der schmucklose Schreibtisch bestand aus massivem Holz.

      Langsam kniete sich Gwyn auf den Boden. Sie hatte nicht die Absicht, das Hausmädchen für Blackbeard zu spielen, aber sie wollte wissen, welche Bücher der Pirat besaß. Vorsichtig, so wie sie es gewohnt war, hob sie eines auf.

      ‚Die sieben Meere’ stand auf der Vorderseite, doch der Autor war nicht angegeben. Gwyn schlug das Buch auf. Auch auf der Innenseite war kein Schriftsteller verzeichnet. Das Mädchen blätterte durch die Seiten. Sie waren von Hand beschrieben. An einigen Stellen, waren Zeichnungen von Schiffen und Windrichtungen. In diesem Buch waren die Grundlagen der Navigation erklärt.

      Gwyn bemerkte nicht, wie die Zeit verging, während sie über die Orientierung bei Nacht an Hand der Sterne und die Bestimmung von Kursen las. Sie war so in die Lektüre vertieft, dass sie nicht hörte, wie die Tür geöffnet wurde.

      „Was zum Teufel machst du da, du faules Schwein?“ Gwyn zuckte zusammen. Blackbeard stand hinter ihr.

      „Du sollst hier aufräumen, hab ich gesagt!“ Der Pirat zog Gwyn am Kragen auf die Beine. Das Mädchen ließ das Buch fallen und wand sich unter dem Griff des Mannes.

      „Dieses Zimmer wird so sauber sein wie ein Ballsaal, hast du mich verstanden, Junge“, zischte der Pirat und schüttelte Gwyn bei jedem Wort. Sie nickte heftig und hoffte inständig, dass er sie wieder los lassen würde.

      Mit einem Mal löste sich der Griff und Blackbeard taumelte nach hinten. Er hatte beide Hände um seinen Hals gelegt und röchelte. Gwyn sah ihn erschocken an. Sie spürte, wie ihr Herz gegen ihre Brust schlug.

       'Die Leute haben Recht, wenn sie Blackbeard einen ‚Teufel in Menschengestalt` nennen! Er muss vom Teufel besessen sein!

      Er schleppte sich zu seinem Schreibtisch und ließ sich schwer in den Stuhl fallen. Zwar rang er immer noch nach Luft, aber er schien sich wieder zu erholen.

      Gwyn war gewiss kein abergläubischer Mensch, doch nach diesem Vorfall wusste sie, dass es so etwas wie einen Satan gab - und dieser saß ihr direkt gegenüber.

      Gwyn wollte ihrem ersten Instinkt folgen und weglaufen, aber sie zweifelte keine Sekunde daran, dass Blackbeard sie dafür töten würde.

      Sie sah sich um und seufzte. Gwyn begann die Bücher zurück in die Regale zu stellen; erst als sie das erste Buch in ihren Händen hielt, fiel ihr auf, dass sie unkontrolliert zitterte.

      Sie behielt den inzwischen schlafenden Piraten die ganze Zeit im Auge und musste bei jedem Laut, den er von sich gab, den Wunsch unterdrücken, aus der Kabine zu flüchten.

      Nachdem sie die leeren Flaschen zusammengetragen hatte, versuchte sie ihre Gedanken wandern zu lassen.

       'Wie kann es Mary nur Tag ein Tag aus ertragen, sich um das Haus zu kümmern?'

      Gwyn hatte dem Hausmädchen einige Male geholfen, ihr Zimmer aufzuräumen, ohne dass sie es bemerkt hatte. Mary hatte ihr erzählt, dass ihre Puppen müde wären und ins Bett wollten und das Mädchen hatte jede einzelne aufgeräumt.

      Gwyn sah sich zufrieden in der Kajüte um. Nur noch das Bett war zu machen. Als sie das Kissen aufschüttelte, fiel ein zusammengefaltetes Blatt auf den Boden. Neugierig griff das Mädchen danach und drehte es in ihrer Hand. Es war ein versiegelter Brief.

      Das Wachssiegel war bereits aufgebrochen worden.

      Ein dumpfes Geräusch ließ Gwyn zusammenfahren. Blackbeard war von seinem Stuhl gefallen. Als er auf den Boden auftraf, stöhnte er und rappelte sich mühsam auf. Gwyn war herumgewirbelt und hatte den Umschlag unter ihr Hemd gesteckt. Blackbeard starrte sie verwirrt an. Hektisch strich das Mädchen die Decke glatt. Noch bevor der Pirat richtig zu sich gekommen war, war sie aus der Tür geschlüpft und in die Mannschaftsunterkunft geeilt.

      Als sie sich in Sicherheit wusste, zog sie den Brief hervor. Vorsichtig öffnete sie ihn.

      ‚ Freitag, der 23. November 1711

      In diesem Schreiben übertrage ich, Benjamin Hornigold, Edward Teach, allgemein bekannt als Quartenmeister Teach oder Blackbeard, alle Rechte auf die ‚ Adventure` und die Mannschaft, sofern er nicht gegen mich rebelliert, oder mich in irgendeiner Weise übergeht.

      E. Teach ist verpflichtet, am Ende jeden Jahres die Summe von 100 Pfund zu zahlen, unabhängig des jährlichen Einkommens. Sollte dies nicht der Fall sein, tritt der Vertrag außer Kraft.

      Des Weiteren verpflichtet sich E. Teach, bei drohender Gefahr mir bedingungslos und umgehend zu Hilfe zu kommen.

      Vertragsbruch droht ebenfalls, sollte der Quartenmaster die Hilfeleistung unterlassen.

      Benjamin Hornigold ’

      Gwyn las den Brief wieder und wieder. Blackbeards Name war also Edward Teach und er handelte auch nicht so willkürlich, wie sich vermuten ließ. Teach musste also seinem Kapitän, der die ‚Adventure’ nur in seine Obhut gegeben hatte, zu Hilfe kommen, wenn Gefahr drohte. Diese Gefahr war die Royal Navy. Ein beklemmendes Gefühl breitet sich in ihr aus.

      „Geht´s dir gut?“ Gwyn hatte nicht gehört, dass Ben gekommen war. Sie sah ihn verwirrt an. Nach einer Weile nickte sie.

      „Hast du gewusst, dass Blackbeard eigentlich Edward Teach heißt?“

      Ben schüttelte den Kopf und setzte sich neben sie auf den Boden.

      „Das hab´ ich in seiner Kajüte gefunden.“ Sie hielt Ben den Brief entgegen.

      „Bis´ du völlig verrückt geworden? Du kannst dem doch nichts stehlen. Der bringt dich um!“, stieß Ben entsetzt aus. Gwyn ging nicht weiter auf ihn ein.

      „Er is´ gar kein freier Pirat, oder zumindest kein unabhängiger. Er dient einem gewissen Benjamin Hornigold.“

      Ben sah sie ungläubig an.

      „Ich glaub´ ich hab den Namen schon mal gehört. Dieser Hornigold war mal Kaper im Krieg der Königin. Aber es wurde gemunkelt, dass er zur Piraterie übergelaufen sei. Als ich noch bei der Handelsmarine war, haben sie ständig darüber gesprochen“, erklärte Ben.

      Gwyn nickte nur, wobei sie versuchte, die neuen Informationen zu verarbeiten. Beim letzten Abendessen auf der ‚Ventus’ hatten ihr Onkel und Kapitän Wilde über die Piraterie gesprochen. Wilde hatte sich über die steigende Zahl der Piraten aufgeregt und ihrem Onkel erzählt, dass die Royal Navy nun immer konsequenter gegen diesen ‚Abschaum’ - wie Wilde die Piraten nannte- vorgehen werde, um sie zu vernichten.

      „Das is´ gar nich´ gut“, stammelte Ben, als Gwyn mit ihrem Bericht geendet hatte.

      „Das kannst du laut sagen. Hoffen