Miriam Lanz

Unter Piraten


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Eltern auf dem Gewissen!'

      Zwar war ihr dies nicht unbekannt, aber noch nie war ihr das ganze Ausmaß dieser Tatsache so bewusst gewesen, wie in diesem Moment.

      Dreckige, wertlose Piraten, die keinerlei Respekt oder Wertschätzung vor dem Leben anderer besaßen, hatten ihre Eltern geschlachtet!

      Als sich diese Erkenntnis mit den Bilder der beiden Blutbäder, die sich auf Ewig in ihr Gedächtnis gebrannt hatten, vereinte, loderte glühender Hass in ihr auf, durchflutete jede Faser ihres Körpers und verlieh ihr schließlich wieder neue Kraft.

       'Ich werde meine Eltern rächen! Bei Gott, ich werde jeden verdammten Piraten beseitigen, den ich in die Finger bekomme!'

       10. Juni im Jahre des Herrn 1713:

      Kapitän Wilde stand neben dem Steuerrad der ‚Princeps’ und beobachtete das rege Treiben auf dem tiefergelegenem Deck. Die Besatzung war bester Laune und die Wortfetzen, die von den beiden anderen Schiffen zu ihm drangen, verrieten, dass auch die Mannschaft der 'Pride' und der 'Emperor' zufrieden waren.

      Vor wenigen Stunden hatte Andrew Wilde mit Erfolg das erste Piratenschiff außer Gefecht gesetzt. Es handelte sich um eine einmastige Sloop. Wilde hatte das Schiff von achtern her angreifen lassen und die Piraten überrascht. Kampflos hatten sie kapituliert. Als die Piraten in Eisen vor ihm standen und der Royal Navy Ihrer Majestät keinerlei Respekt zollten, ließ er das Schiff versenken. Erst vor wenigen Augenblicken war die Sloop in der Tiefe verschwunden und die Piraten in die Brigg, dem Schiffsgefängnis, gesperrt worden.

      Piraten! Wie er sie verachtete. Diese gesetzlosen, undisziplinierten, faulen Gauner, die von der Ausbeutung anderer, meist Schwächerer, lebten. Wilde konnte nicht in Worte fassen, wie sehr er ein solches Verhalten missbilligte.

      Dachte er darüber nach, schien der Piratenhass die einzige Gemeinsamkeit mit seinem strengen, kalten Vater zu sein. Auch sein Vater, Admiral Daniel Wilde, war gegen die Piraterie vorgegangen - allerdings ohne nennenswerten Erfolg.

      Andrew hoffte sehr, dass er seinen Vater wenigsten dieses Mal übertreffen könnte, um nicht nur auf Grund seines Namens und natürlich dem Ruf seines Vaters für Aufmerksamkeit zu sorgen, sondern ob seines Erfolgs.

      Der junge Mann litt von je her unter seinem Vater. Nie konnte er sich sicher sein, ob er die hervorragenden Bewertungen während seiner Ausbildung, die schnellen Beförderungen, die Aufträge besonderer Art, wie es der Jetzige war, wegen seinem Vater erhielt, oder, weil er sie ehrlich verdient hatte. Wilde vermutete in den meisten Fällen ersteres.

      Bisher hatte er persönlich zwar nur davon profitiert, doch auch die Zahl seiner Feinde wuchs stetig. Dieser Cartwell war lediglich einer von vielen. Hinzu kam, dass Andrew sich ständig Vergleichen mit seinem Vater ausgesetzt sah und stets im Schatten des Admirals stand.

      Der Admiral hatte zunächst all seine Hoffnungen auf Andrews älteren Bruder Edward gesetzt, doch der ältere Wildesohn entschied sich für ein Jurastudium - selbstverständlich an der Oxforduniversität. Seit diesem Zeitpunkt übernahm Daniel Wilde die Erziehung seines jüngeren Sohnes, der damals erst sechs Jahre alt war und in der äußerst liebevollen Obhut seiner Mutter gestanden hatte. Eine Soldatenerziehung, die fortan Andrew Wildes Leben prägte und auf die er liebend gerne verzichtet hätte.

      Sein Vater scheute nicht vor Schlägen zurück und behandelte ihn schlechter als jeden anderen jungen Matrosen. Jeden Morgen wurde er noch vor Sonnenaufgang geweckt, um Französisch und Spanisch, sowie Mathematik zu lernen. Bei dem kleinsten Protest bekam der Junge die kräftige Hand seines Vaters zu spüren. Der blinde Gehorsam und das sofortige Ausführen von Befehlen wurden Andrew im wahrsten Sinne des Wortes eingeprügelt und gingen dem jungen Mann in Fleisch und Blut über.

      Tatsächlich trat er wenige Tage nach seinem sechszehnten Geburtstag der Navy bei; in erster Linie um seinem Vater zu imponieren. Damals hegte Andrew noch die Hoffung, damit den Stolz und die Anerkennung seines Vaters zu erhalten. Allerdings war dies nie eingetreten. Seit seinem Navyeintritt hatte der junge Mann auf eine Gelegenheit gehofft, seinen Vater zu übertreffen und nun schien diese Gelegenheit gekommen zu sein - mit dem Auslöschen der Piraterie; mit dem Vernichten unwürdiger, schmieriger Piraten, die es nicht verdient hatten, am Leben zu sein.

      Wilde konnte nicht nachvollziehen, wie man sich freiwillig dazu entscheiden konnte, ein solches Leben zu führen. Es verstieß völlig gegen seine Wertvorstellung, von Moral und Ehre, zum Schaden der Krone zu handeln und doch wechselten immer mehr brave Seefahrer über zur Piraterie.

      „Sir?“, William Hard war auf dem Achterdeck erschienen. „Der Nachmittagstee ist aufgetragen und die übrigen Offiziere sind bereits versammelt.“

      Andrew nickte nur und folgte dem Leutnant in die große Kabine. Hard öffnete ihm die verglaste Tür zur Achterkajüte und trat mit Verbeugung einen Schritt zurück. Wilde presste seine Lippen zusammen, um nicht zu schmunzeln. Das Verhalten des Leutnants war wirklich vorbildlich, um nicht zu sagen, erstaunlich.

      Als der Kapitän eintrat, erhoben sich die Kommandanten der 'Pride' und der 'Emperor', Offizier Murdoch und Offizier Jessop, sowie Leutnant John Potter, ein ausgesprochen junger, sehr gradliniger, fähiger und impulsiver Mann, wie Wilde schnell festgestellt hatte.

      "Gentlemen", meinte er mit einem knappen Nicken und ließ sich am Kopf des großen Tisches nieder. Auch die übrigen Männer nahmen Platz.

      "Im Namen aller Anwesenden möchte ich Euch zu der erfolgreichen Auslöschung des ersten Piratenschiffes gratulieren", meinte Murdoch, wobei seine hellen, ausdruckslosen Augen auf seinen Kapitän gerichtet waren.

      "Nun, Sir, dies war nicht allein mein Verdienst, sondern vielmehr das der gesamten Flotte. Daher halte ich Eure Gratulation für überflüssig", erklärte Andrew langsam und nahm einen Schluck Tee. Das empörte, beinahe verachtende Aufblitzen in den Augen des um Jahre Älteren war ihm nicht entgangen. Ebenso wenig, wie das amüsierte Lächeln Potters.

      Nach wenigen Minuten des Schweigens, zog er schließlich einige Seekarten heran und die Offiziere begannen, mögliche Routen zu kalkulieren, bei denen die Wahrscheinlichkeit auf Piraten zu treffen hoch war.

      Am späten Nachmittag verkündete Hard, dass ein weiteres flaggenloses Schiff in Sicht gekommen war.

      ---

      Kate Wickfort kniete neben dem Bett ihrer jüngsten Tochter und streichelte ihr sanft über die Augenbrauen. Das Kind starrte Dr. Steward wimmernd an, aber seine ruhige Stimme und seine überlegten Bewegungen schienen sie zu beruhigen.

      „Anne, ich werde dir jetzt etwas zu trinken geben. Danach wirst du müde und wenn du wieder aufwachst, wirst du dich viel besser fühlen“, erklärte der Arzt. Es war Anne unmöglich, ihm nicht zu glauben.

      „Mrs. Wickfort, wenn Ihr Eurer Tochter helfen würdet?", fragte er Annes Mutter, wobei er der Frau einen Becher reichte.

      Während der Arzt seine Arzneien in seiner Tasche zu verstauen begann, nahm Kate Wickfort Anne auf den Schoß und führte ihr den Becher an die Lippen. Das Mädchen verzog angewidert das Gesicht, als sie die bittere Flüssigkeit hinunterwürgte.

      Steward hielt in seiner Bewegung inne. Seine blauen Augen ruhten auf dem Mädchen. Für einen flüchtigen Augenblick glaubte der Arzt, seine Nichte in dem Bett zu sehen. Auch Gwyn hatte bittere Medizin gehasst. Steward musste die Tränke stets mit Honig versüßen, da sich seine Nichte vehement geweigert hatte, sie unversüßt zu sich zu nehmen. Bei dem Gedanken an seine quengelnde Nichte, lächelte der Arzt traurig.

      „Sir?“ Kate Wickfort musterte ihn besorgt. “Sir, ist alles in Ordnung?“

      „Mrs. Wickfort wenn ich Euch wohl kurz sprechen könnte?“, fragte Steward, ohne weiter auf die Frage einzugehen.

      „Selbstverständlich, Sir". Mrs. Wickfort öffnete die Tür und bedeutete dem Arzt ihr zu folgen.

      „Wo gehst du hin, Mami?“, piepste Anne schläfrig.

      „Ich möchte ganz kurz etwas mit deiner Mutter bereden und