Miriam Lanz

Unter Piraten


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       'Das kann nur ein Scherz sein! Es ist unmöglich, die Piraterie so weit einzudämmen! Absolut unmöglich!'

      Es bedurfte Wildes ganzer Selbstbeherrschung, seine Überraschung zu verbergen. So als hätte der Commodore die Gedanken des jungen Mannes gelesen, fuhr er fort, wobei Hohn und Verachtung in seiner Stimme nicht zu überhören waren.

      "Seht es als eine Art Herausforderung. Solltet Ihr es schaffen, werdet Ihr der Pompeius der modernen Welt! Und sicher liegt es auch in Eurem Interesse, dem Namen, der Euch vorauseilt, gerecht zu werden.“

      Bei seinen Worten leerte Wilde sein Glas, das er bisher nur in einer abgehakten Bewegung geschwenkt hatte, in einem Zug.

      'Widerwärtiger Drecksack!'

      „Die ‚Princeps’ ist das beste Schiff für ein solches Unterfangen und selbstverständlich werdet Ihr auch noch über zwei weitere Schiffe, die 'Pride' und die 'Emperor', verfügen“, erklärte Lord Hamilton. Ihm schien Cartwells Verachtung offensichtlich entgangen zu sein.

      „William Hard, Leutnant der 'Princeps', wird Euch Eure Fregatte zeigen und Euch mit den Offizieren bekannt machen, die unter Eurem Kommando segeln werden.” Wilde sah zu dem Leutnant, der vorgetreten war und sich tief vor dem Kapitän verbeugte.

      „Stehe zu Euren Diensten, Sir!“

      „Wann beginnt der Auftrag?“, fragte Wilde und ging nicht weiter auf den Leutnant ein.

      „Er begann mit diesem Gespräch, Kapitän Wilde."

      Der junge Mann nickte nur und erhob sich, um sich flüchtig vor Hamilton zu verbeugen, bevor der Commodore und der Gouverneur das Amtszimmer verließen.

      Wilde seufzte innerlich vor Erleichterung auf und schenkte sich ein neues Glas Brandy ein. Noch immer stand Hard an der Tür.

      „Darf ich Euch ein Glas Brandy anbieten, Leutnant Hard?“, fragte der junge Mann, wobei er bereits die goldfarbene Flüssigkeit in ein zweites Glas goss.

      Hard wirkte überrascht, nickte aber.

      “Sehr gerne, Sir!“ Er nahm das Glas von Wilde entgegen.

      Der Kapitän setzte sich wieder und wies mit einer knappen Handbewegung zu einem zweiten Sessel. "Nehmt Platz, Leutnant!“ Hard gehorchte.

      Wilde senkte seinen Blick, wobei die Belustigung ob des Verhaltens des Mannes seine Mundwinkel kurz zucken ließ.

      ‚Dieser Leutnant hat verblüffende Ähnlichkeiten mit einer Marionette.’

      Nach einer kurzen Weile, in der sich Schweigen über das große Amtszimmer gelegt hatte, ergriff der junge Mann schließlich wieder das Wort.

      "Wäre es wohl möglich, noch heute die 'Princeps' zu besichtigen und die übrigen Offiziere kennenzulernen, damit wir am Ende dieser Woche auslaufen können."

      "Selbstverständlich, Sir!" William Hard leerte sein Glas, an dem er bisher beinahe zögerlich genippt hatte, und erhob sich, wobei er Wilde einen fast unsicheren Blick zuwarf.

      Nachdem der junge Kapitän sein Glas auf die verglaste Tischplatte gestellt hatte, verließen die beiden Herren das Amtszimmer.

      ---

      Dr. Steward saß in der Bibliothek seiner neuen Villa. Ein Feuer prasselte im Kamin.

      Neben ihm stand ein Glas Brandy auf einem kleinen Tisch.

      Nur das Knacken des Feuerholzes durchbrach die Stille, die sich wie ein Vorhang über das Haus gelegt hatte.

      Der Arzt saß in einem bequemen Sessel; die Wärme des Feuers umhüllte ihn und doch befiel ihn ein sonderbares Unbehagen. Die Stille schien ihn langsam zu erdrücken.

      Dr. Steward fürchtete die Einsamkeit mehr als alles andere. Sie war die unabwendbarste Bestätigung dafür, dass ihm alle Menschen genommen worden waren, die er liebte...

      Der Blick des Mannes war auf das rotglühende Holz hinter dem eisernen Gitter gerichtet, als die Stille plötzlich durchbrochen wurde.

      Steward sah zur Tür in der Erwartung seine Nichte in den Raum stürmen zu sehen. In Erwartung, dass ihr fröhliches Lachen den ganzen Raum erfüllte. Dass sie auf seinen Schoß klettern würde und ihn darum bat, ihr etwas zu erzählen oder vorzulesen.

      „Verzeiht Sir, ich wollte mich nur vergewissern, ob Ihr einen Wunsch habt.“ Das jamaikanische Hausmädchen- sie hieß Cara- stand im Schatten neben der Tür.

      „Nein! Nein ich brauche nichts!“, sagte der Arzt matt. Seine Stimme klang erstickt und er wandte sich von der Jamaikanerin ab. Cara verbeugte sich tief. „Eine angenehme Nacht wünsche ich“, sagte sie und verließ leise das Zimmer.

      Dr. Steward hatte seinen Blick wieder starr auf das Feuer gerichtet. Er seufzte und kämpfte vergeblich gegen die Tränen, die ihm in die Augen getreten waren.

      Als er seinen Kopf gegen die hohe Lehne des Sessels lehnte und die Augen für einen Moment schloss, drängte sich ihm mit einem Mal der unförmige Gegenstand in der Tasche seines Justaucorps auf. Langsam griff er in die Rocktasche. Seine Finger umschlossen das kleine Fläschchen und zogen es heraus. Der Arzt strich mit dem Daumen vorsichtig über das Etikett. Er wollte dieser Einsamkeit entfliehen und in seiner Hand hielt er den Schlüssel dazu.

      Er wusste, es wäre keine dauerhafte Flucht, doch ihm genügten auch schon einige Stunden. Aber sollte er den Schlafmohn wirklich nehmen? Hatte er nicht damals, kurz nachdem Gwyn zu ihm gekommen war, diesem Mittel abgeschworen?

       'Es hat mir stets die schönsten Träume bereitet.'

      Es war ein traumhaft schöner Zufluchtsort gewesen, so schön, dass er ihn jeden Tag besuchte, ja schließlich besuchen musste. Doch als Gwyn zu ihm kam, ihm zeigte, dass das Leben weiterging, dass es im Leben auch wunderbare Orte gab, hatte er sich nicht auf ewig der teuflisch schönen Wirkung dieses Mittels entsagt?

      Allerdings war Gwyn nicht mehr hier. Es gab niemanden mehr, der ihm noch wichtig war. Sie alle waren fort und der Arzt war vollkommen allein.

      Die Flüssigkeit leuchtete verführerisch im Schein des Feuers. Was sprach dagegen den Mohn einzunehmen, nur um ein paar Stunden vergessen zu können?

      Entschlossen griff er nach dem Glas Brandy. Mit ruhiger Hand träufelte er ein paar Tropfen des milchigen Saftes in sein Glas.

      Die trübe Flüssigkeit barst bei jedem Tropfen, der mit dem goldbraunen Brandy in Berührung kam, auseinander, wirbelte auf der ruhigen Oberfläche des Alkohols herum und verschwand schließlich, um dem nächsten Platz zu machen.

      Dr. Steward verkorkte die Flasche wieder und schwenkte das Brandyglas in seiner Hand, wobei dessen Inhalt gegen die dünne Glaswand schlug. Dann leerte er es in zwei Zügen.

      Obgleich der Geschmack des Brandys deutlich überwog, lag Steward der vertraute bittere Nachgeschmack auf der Zunge.

      Er starrte wieder in das prasselnde Feuer, während er auf die wohlbekannte Wirkung des Schlafmohns wartete.

      Die Feuerzungen umhüllten ihn wie eine warme Decke. Plötzlich verwandelten sie sich zu langen Fingern, die ihn heranwinkten und schließlich nach ihm griffen. Sie trugen ihn in das Feuer.

      Im nächsten Moment stand er auf einer durch und durch goldenen Brücke. Die Geländer waren mit funkelnden Diamanten versehen. Steward sah über das Geländer. Ein Fluss durchzog die goldene Landschaft. An seinen Ufern standen unzählig viele Linden, deren Blätter durch die Luft wirbelten.

      Steward lief über die Brücke. Vor seinen Augen erhob sich eine Stadt aus dem Erdboden, wie Knospen, die sich aus unendlichen Stängeln entfalteten, ganz in Gold und Weiß.

      Auch an diesem Ort herrschte Stille; aber sie war nicht bedrückend, sondern strahlte Harmonie und Frieden aus.

      Auf einmal wurde die Stille dieses friedlichen Ortes durch eine helle Kinderstimme unterbrochen. Gwyn rannte ihm, in einem ganz und gar weißen Kleid, entgegen und fiel ihm in die Arme. Sie lachte,