Erich Puedo

Hermann, Hermann


Скачать книгу

und der Strand sind verschwunden. Nur noch diese Augen. Diese Augen... sie sind irritiert. Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen und fragen ’Warum spricht er nicht?’. Ja warum? Warum kann ich nicht antworten?

       »Holger?«

      Sie kennt meinen Namen. Und ich weiß ihren. Sie heißt Nina. Aber woher weiß ich das? Wer ist sie? Sie ist mir so vertraut. Wie kann das sein? Ich glaube, ich liebe sie.

       »Guapo? Schläfst du?«

      Was? Oh mein Gott! Ja. Nein! Ja, ich habe geschlafen. Ich habe geträumt. Ich konnte nicht sprechen. Nina stand vor mir, wie bei unserer ersten Begegnung, und ich konnte nicht sprechen.

       »Alles gut?«

      »Ja! Ja, alles bestens. Ich bin wohl kurz eingenickt. Ich habe geträumt.«

       »Du wirst mir noch zu einem richtigen Spanier. Siesta um halb vier Uhr nachmittags?«

      »Si claro! Por que no.«

       »Ja, warum eigentlich nicht? Und dieses akzentfreie Spanisch... und diese braune Haut. Ich könnte mich fast in dich verlieben.«

      »Fast?«

       »Na ja, du röchelst ein bisschen beim Siesta machen... um es nicht schnarchen zu nennen.«

      »Und das ist ein Grund, mich nicht mehr zu lieben?«

       »Nein, sicher nicht. Aber sexy ist anders, Guapilein. Was hast du geträumt?«

      Ich habe unsere Kinder am Strand spielen sehen. Es war mein Leben und meine Zukunft durch deine Augen. Es war schön. Ein wenig kitschig. Und ich konnte nicht sprechen. Ich hatte Angst, dich zu verlieren, weil ich nicht sprechen konnte.

      »Nichts. Ein Albtraum. Ein schöner Albtraum.«

      Hauptsache, ich mache ihr keine Angst mit meinen Träumen. Wir kennen uns seit zwei Monaten. Es waren die besten zwei Monate meines Lebens, keine Frage. Aber es ist ein bisschen früh, um ihr zu offenbaren, wie sehr mir Träume von einer Familie mit ihr gefallen.

       »Worum ging es?«

      »Ich weiß nicht genau... Ein wirrer Traum. Ein bisschen wie Kino durch die Augen eines anderen Menschen.«

       »Und was für ein Kinofilm? Du hast nämlich nicht wirklich geschnarcht. Es war mehr so... mehr so ein zufriedenes Grunzen.«

      »Ich grunze beim Schlafen?«

       »Grunzen hört sich nicht ganz richtig an. Mehr so ein Brummen-Grunzen-Schnurren. Wie ein Bär, der von Lachsen träumt... so stelle ich mir das auf jeden Fall vor. Bin mir auch nicht ganz sicher, ob Bären überhaupt träumen.«

      »Okay. Mit dem Bären-Image kann mein schlafendes Ego leben.«

       »Da bin ich beruhigt. Also, worum ging es?«

      »Mmmbbbrrr!«

       »Jetzt übertreib’ es mal nicht. Du brauchst nicht im Wachzustand zu brummen. Ich bin doch kein Lachs.«

      »Okay.«

       »Also, worum ging es?«

      »Du, es war echt ein wirrer Traum.«

      Und was kann ich dir davon schon erzählen?

      »Im Traum war ich auf jeden Fall der festen Überzeugung, dass ich ’Guapo’ heiße.«

       »Aber so heißt du doch auch.«

      »Na ja. Eigentlich...«

       »Ja, du hießt mal Holger. Ein langweiliger, unzufriedener, blasser Berliner Holger. Holger! Auch ein schöner Name. Aber jetzt! Jetzt bist du eben ein anderer. Du bist ein wunderschöner, braungebrannter, glücklicher, liebenswerter, spanischer Guapo. Und das beste daran, du bist mein Guapo.«

      »Das Argument kann ich gelten lassen, dann heiße ich gerne Guapo.«

       »Und was hat Guapilein nun gemacht in seinem Traum.«

      »Guapo oder Guapilein?«

       »Fast das gleiche, aber nicht ablenken. Was hast du gemacht?«

      »Ich? Im Traum? Ich habe eigentlich nicht viel gemacht. Du warst die Hauptperson, du hast die Zeit angehalten.«

       »Ah, verstehe. Einer dieser ganz realen Träume. So einer mit vielen Farben? So ein Hippie-LSD-Traum?«

      »Ja genau. Woher weißt du das? Hast du die auch manchmal?«

       »Leider viel zu selten. Aber die gefallen mir am besten. Bei mir machen sie auch meistens Sinn.«

      »Inwiefern?«

       »Na es stimmt meistens in irgendeiner Form. Irgendeine Wahrheit steckt da immer drin.«

      »Aha.«

       »Stimmt es denn bei dir? Möchtest du, dass ich die Zeit anhalte?«

      »Unbedingt!«

      Und über die zwei Kinder mit meinem Gesicht und meinem schiefen Zahn reden wir ein anderes Mal.

       »Unbedingt? Und warum?«

      »Na das ist doch logisch. Damit wir in dieser Traumwelt, in der wir gerade leben, für immer weiterleben können. Keine Pflichten. Keine Verantwortung. Keine Sorgen. Einfach nur wir beide und das Leben. Es soll für immer so bleiben. Die Zeit muss stehenbleiben, das ist die einzige Lösung.«

       »Sex?«

      Unbedingt!

       Hamburg

      Sie hat mein Leben zerstört. Einfach so. Einfach weggeworfen, alles was wir hatten. Als wäre es die einfachste Sache der Welt. Einfach weg. Nichts macht mehr Sinn. Warum soll ich mich anziehen? Warum aufstehen? Arbeiten gehen? Warum soll ich etwas essen? Wer sagt, dass ich überhaupt irgendetwas sollen soll? Es macht doch alles keinen Unterschied.

      Gibt es denn irgendetwas, worauf ich gerade Lust hätte? Irgendetwas? Etwas, was mir früher Spaß gemacht hätte? Sport? Mit Philips Hund spazieren gehen? Bier trinken? An der Börse spekulieren? Mein Geld zählen? Nichts! Es gibt nichts, worauf ich Lust hätte. Nichts, was mir auch nur ein bisschen Spaß machen könnte. Nichts macht Sinn ohne Nina. Einfach nichts! Bringen sich andere Menschen in solchen Momenten um? Ich habe keine Lust zu leben, aber ich habe auch keine Lust, mich umzubringen. Keine Wünsche, kein Antrieb, keine Lust, kein Nichts. Einfach nichts.

      Und ich habe noch nicht mal Lust, Nina wiederzusehen. Was soll es? Sie liebt mich nicht mehr. Sie hat es gesagt. Fertig. Was soll ich denn machen? Ich könnte betteln vielleicht? Bitte liebe mich wieder? Komm, wir probieren es noch einmal? Wir machen dieses Mal alles anders? Wir machen alles so, wie du es immer wolltest? Was willst du nur? Was wolltest du und hast mir nichts davon gesagt? Ich habe alles für dich getan! Und ich hätte auch noch viel mehr getan... und ich würde auch noch viel mehr tun. Du müsstest mich einfach nur wieder lieben. Das wäre das Einzige, was diesem Leben einen Sinn geben würde. Aber so macht das hier alles keinen Sinn mehr. Sie liebt mich nicht und ich will sie nicht mehr sehen. Nie. Wozu? Einfach nie.

       Tarifa

      »Ich liebe dich!«

       »Du liebst mich? Das sagst du doch nur, weil du gerade den Sex deines Lebens hattest.«

      »Nein! Also ja! Ich meine... Ja, den hatte ich! Aber den hatte ich auch gestern und vorgestern und letzte Woche. Und die Woche davor. Und sowieso immer. Der Sex jetzt gerade kann also nicht der Grund sein. Ich liebe dich!«

       »Das habe ich schon vermutet... Aber du sagst es gerade zum ersten Mal.«

      »Zum zweiten Mal. Ich liebe dich.