Erich Puedo

Hermann, Hermann


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      »Allerdings! Ich liebe dich!«

       »Ich... Vielleicht ist es ein Zufall, aber ich habe über genau diesen Satz nachgedacht in den letzten Tagen. Ich liebe dich. Der Satz ist schön. Aber auch unglaublich gefährlich, wenn man nicht aufpasst. Er hört sich romantisch an, im ersten Moment. Es ist wahrscheinlich der Satz überhaupt. Vielleicht wurde er zu oft gesagt. Oder er ist mit zu vielen verschiedenen Dingen besetzt. Diese drei Worte machen... sie machen unsicher... sie tragen eine Last mit sich, sie... Warte. Warte ich probiere es anders.

       Ich glaube, viele Menschen, die ich kenne - mich eingeschlossen, dich wahrscheinlich auch eingeschlossen - viele Menschen haben ein Problem damit, ihrem Liebsten in die Augen zu schauen und diesen Satz zu sagen und dabei nicht ein kleines unterschwelliges Gefühl von Unsicherheit in sich zu haben. Mir geht es so. Und ich mag diese Unsicherheit nicht. Denn du bist das Beste, was mir passieren konnte, und der Beste, der mir je passiert ist. Und trotzdem. ’Ich liebe dich’ kommt irgendwie nur gezwungen über meine Lippen. Obwohl kein Zweifel daran besteht, dass es so ist. Es ist irgendwie absurd! Aber ich weiß jetzt auch warum. Ich habe sogar zwei gute Gründe.«

      »Ich bin gespannt.«

       »Dieser Satz wurde uns nämlich versaut. Und schuld daran sind all die Julia Roberts’, Keira Knightleys, Scarlett Johanssons, Reese Witherspoons, all die Brad Pitts und all die Johnny Depps. Schuld ist Hollywood. Die machen uns etwas vor. Nein, viel schlimmer! Sie setzen zwei Dinge gleich, die eigentlich nicht zusammengehören. Das, was wir hier gerade haben, dieses Wunder, dieses Kribbeln, dieser alles andere verdrängende Zustand, dieses Glück, dieses völlig selbstverständliche und doch so versaute Kribbeln in meinen Oberschenkeln, wenn ich dich berühre, dieses... wir... Wir! Einfach wir. Das ist Liebe. Das ist der Moment, in dem der Film in Hollywood aufhört. Der Moment in dem Hollywood uns denken lässt, das geht für immer so weiter, dieser Zustand hört nie auf. Brad hat seine Angelina gerade zum ersten Mal geküsst und es ist selbstverständlich, dass sie für den Rest ihres Lebens zusammenbleiben werden. Und auf einmal ist das ’Ich liebe dich’ mehr als nur Ausdruck eines Gefühls. Er wird zu einem Versprechen. Ein Versprechen, das fast eine Drohung ist. ’Ich liebe dich’ am Ende vom Hollywoodfilm heißt: Für immer. Ich werde dich nie mehr verlassen. Ich werde Kinder mit dir haben. Ich werde mit dir alt. Und im wahren Leben fragt man sich vielleicht, möchte ich das denn jetzt gerade entscheiden? Jetzt? Und wirklich für immer? Kann ich das denn sagen? Muss ich das jetzt sagen? Und diese Gedanken nehmen dem Satz seinen Zauber. Sie machen diesen Satz schwer.«

      »Aber...«

       »Warte kurz! Der zweite Teil ist noch viel wichtiger. Danach kannst du ’aber’ sagen. Also... Brad wird seine Angelina also nach dem ersten Kuss heiraten. Wir beide, wir fühlen genau wie die beiden in Hollywood. Genau gleich... Also nur mit dem kleinen Unterschied, dass es bei uns echt ist und kein Film. Aber wenn wir, so wie Hollywood das suggeriert, nach dem ersten Kuss geheiratet hätten, hätte uns unsere ganze Welt, unsere Freunde, unsere Familie, alle hätten uns für verrückt erklärt. Und zwar, weil man das eben nur in Hollywood macht und nicht im richtigen Leben. Im richtigen Leben wartet man nämlich ein paar Jahre. Man muss sich doch erstmal richtig kennen lernen bevor man so eine große Entscheidung trifft. Sagt man doch so. Also macht man das auch so und man wartet ein paar Jahre. In diesen Jahren geht aber mal ein größerer und mal ein kleinerer Teil dieser animalischen Anziehung, dieses Alternativlosen, dieses Selbstverständlichen, dieses Einzigartigen, es geht ein wenig verloren, es schwächt sich einfach ein bisschen ab. Ganz normal. Aber dann steht der Tag der geplanten Hochzeit bevor. Und plötzlich... plötzlich ist zwar offiziell ausreichend Zeit vergangen, um sagen zu können, dass man den Rest des Lebens miteinander verbringen möchte, aber dafür fühlen sich die beiden plötzlich nicht mehr ganz so wie Brad und Angelina am Ende vom Hollywood-Film. ’Ich liebe dich’. Ja, für die Zukunft haben sie sich jetzt entschieden, aber sind die Gefühle noch so stark wie am Anfang ihrer Beziehung? Hat sie noch dieses Brennen an der Innenseite ihrer Oberschenkel, wenn sie nur an ihn denkt oder er sie nur zufällig berührt? Hat er nicht gestern einer anderen schönen Frau hinterher geschaut? Einer Frau, die er am Anfang der Beziehung nicht einmal wahrgenommen hätte? Sind ihre Gefühle noch stark genug? Ist es überhaupt noch Liebe? Oder ist es nur noch ein Versprechen für die Ewigkeit?

      ’Ich liebe dich’. Dieser Satz, so wie er von Hollywood und vom Rest unserer Gesellschaft geprägt wurde, dieser Satz ist am Anfang der Beziehung zu früh und nur ein paar Monate oder Jahre später ist es schon zu spät für ihn. Der Satz ist eigentlich scheiße. Denn alle Emotionen die in unseren Hirnen mit diesem Satz verknüpft sind, die überfordern ein wenig... die machen ein bisschen unsicher. Und vielleicht... ganz vielleicht ist das der Grund, warum so viele Menschen ein kleineres oder größeres Problem haben, diesen Satz auszusprechen.«

      »Ich glaube... Ich glaube du hast einfach recht!«

       »Ich habe recht? Einfach so? Und warum strahlst du so? Hollywood macht diesen wunderschönen Satz kaputt. Liebende haben Angst, ihn auszusprechen. Das ist doch Mist! Warum lachst du mich an? Warum siehst du so glücklich aus?«

      »Weil ich es bin. Weil ich es kann! Ich liebe dich!«

       »Du kannst es also?«

      »Ich kann es. Die Innenseiten meiner Oberschenkel brennen zwar nicht, wenn ich dich anschaue, aber dieser Druck in meinem... also... der ist da... wie beim ersten Mal. Wie beim ersten Mal, als ich dir nah genug war, um dich riechen zu können. Er ist jetzt da. Und was die Zukunft angeht... Wenn dieser Tisch hier ein Altar wäre, ich würde ’Ja’ sagen. Ich habe keine Zweifel. Ich liebe dich.«

       »Du kannst es... Vielleicht... Vielleicht... Ich glaube, ich könnte es auch... Ja... Ich kann! Ich kann, vielleicht, weil wir genau an der richtigen Stelle sind. Wir sind im richtigen Zeitfenster zwischen animalischer Anziehung und Alltag. Zwischen noch zu früh und fast zu spät für die Zukunft. Vielleicht. Oder vielleicht ist es einfach richtig... es ist einfach so... Guapo, ich liebe dich.«

      »Schlaf mit mir!«

       »Aber wir haben doch erst... Überzeugt!«

       Hamburg

      Schon an ihrem Geburtstag am Telefon war sie mir fremd. Ich dachte, das Kühle zwischen uns käme durch die Entfernung oder ihre Enttäuschung, dass ich an ihrem Geburtstag nicht bei ihr sein konnte. Dieses sinnlose Projekt am Arsch der Welt. Und ich dachte noch, ich spreche mit meiner Nina. Aber meine Nina war schon bei ihm. Ich dachte, ein bisschen komisch die Stimmung, aber eigentlich alles wie immer. Kein anderer Mann, keine Beziehungsprobleme. Meine Welt war schon untergegangen und ich dachte, es liegt wahrscheinlich nur an diesem beschissenen Videobild auf Skype. Ich dachte, dass es eben schwer ist, sich wirklich nah zu sein, wenn der andere nur ein Gesicht in einem Computer ist. Aber das war eben nicht das einzige Problem. Sie war schon weg. Sie war schon bei ihm. Ich war so dumm, so blind.

      Zwei Tage später ruft sie mich an und macht mit mir Schluss. Nach all der Zeit. Und plötzlich kannte ich diesen Menschen nicht mehr. Ich habe in dieses zweidimensionale Videobild geschaut und ich wusste nicht mehr, wer sie wirklich ist. Sie war einfach ein digitales Etwas mit einem wunderschönen Gesicht. Sie sagte Dinge, die ich nicht verstand. Dieses Gesicht war niemals meine Nina. Nicht das Wichtigste, was es je in meinem Leben gegeben hat. Nicht die Frau, mit der ich für immer zusammen sein wollte. Sie war einfach ein Gesicht in einem Computer und dieses Gesicht wollte nicht mehr mir gehören. Sie wollte mich nicht mehr in ihrem Leben. Und mir war es recht. Ich wollte auch nichts mit diesem Gesicht zu tun haben. Dieses Gesicht tat mir weh. Sollte dieses Computergesicht doch machen, was es wollte. Mit meiner Nina hatte es nichts zu tun.

      Bailando - Enrique Iglesias

       TARIFA

      Sie schläft. Nach dem zweiten Nachmittagssex einfach eingeschlafen. Das wäre ja eigentlich die Aufgabe des Mannes. Oder macht sie auch einfach eine ganz normale spanische Siesta? Ist sie nach zwei Monaten Aussteigerleben in Spanien schon wirklich angekommen? Ist das überhaupt möglich