Erich Puedo

Hermann, Hermann


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passt. Es passt jeder Satz zum anderen, es passt jeder Wunsch und jedes Bedürfnis zum anderen, es passt jede Bewegung und jedes Körperteil zueinander. Unsere Körper... die lieben sich auf ihre ganz eigene Art und Weise. Wie losgelöst von uns. Unsere Körper sind süchtig nach einander. Sie spüren die Anwesenheit des anderen und sie können nicht anders. Als wären sie nur dafür gemacht worden. Und zwar immer und immer wieder. Es hört nicht auf. Es passt.

      Und als wäre das nicht genug, passen auch unsere Leben, unsere Hirne, unsere Pläne, unsere Sicht auf die Welt. Dieser Ort! Tarifa. Seine schroffe Schönheit, sein selbstverständliches Lebensgefühl, seine Ruhe und seine Wildheit, das Kitesurfen und der dauernde Wind, die Wellen und die Sonnenuntergänge, die jeden Abend anders sind. Die Sonne geht hier unter, als wäre der südlichste Zipfel Spaniens in Wirklichkeit das Ende der zivilisierten Welt. Und irgendwie ist es das auch. Zumindest das Ende der Welt, so wie ich sie bisher kannte. Wir sind neu hier, aber wir sind ein Teil dieser Stimmung, ein Teil dieser Welt. Wir arbeiten nicht und werden wohl in ein paar Monaten kein Geld mehr haben. Aber trotzdem. Es ist irgendwie nicht wichtig, denn es könnte sich nicht richtiger anfühlen, unser „hier sein“. Alles, was einmal lieb und wichtig war in unserer alten Heimat in Deutschland, es ist nicht viel mehr, als eine Erinnerung. Eine Erinnerung, die hier fast nichts zählt, außer dass diese Erinnerungen uns hierher gebracht haben.

      Und nichts davon war geplant, wir wollten beide nur mal kurz Luft holen. Und aus zwei Urlauben von zwei Fremden wurde ein Leben. Sie stand vor mir und wollte den Stuhl neben mir im Café. ’Is this free?’. Und er war frei. Zwei Monate später... Zwei Monate, die sich nicht anfühlen wie zwei Monate. Es ist, als würde die Zeit stillstehen. Wie in meinem Traum? Nein, es ist nicht nur ein Traum. Wie ein Augenblick, der gleichzeitig ein ganzes Leben ist? Ich weiß es nicht, auf jeden Fall einfach viel mehr, als einfach nur zwei Monate... Auf jeden Fall leben wir seit fast sechzig Tagen und Nächten in diesem Einzimmerhaus, einsam auf einem Hügel mit Blick auf eine Hängematte, Afrika und den schönsten Kitesurfstrand der Welt. Wir reden und reden und reden. Ich habe das Gefühl, ich weiß alles von ihr, und trotzdem hört es nicht auf. Wir reden und reden. Selbst in den wenigen Momenten, in denen wir nicht reden können, kommunizieren wir irgendwie. Nachts lassen unsere schlafenden Körper nicht die Finger voneinander und wenn wir kitesurfen, reden unsere Blicke miteinander. Nur zwei Monate. Aber so intensiv, so voller Leben. Und jetzt liegt sie neben mir, als wäre es nie anders gewesen. Ein weißer Strich auf ihrem Rücken, wo einmal ihr Bikini gewesen ist. Ich kann ihren Hintern durch das weiße Laken erahnen und obwohl es erst ein paar Minuten her ist, will ich ihn wieder berühren, ich muss es fast. Aber die Ruhe in ihrem regelmäßigen Atmen, dazu der Wind in den Bäumen vor unserem Haus. Neben ihr zu sitzen, sie zu hören, sie zu riechen, uns zu riechen... es ist fast so schön, wie mit ihr zu schl... Nein, das geht zu weit. Nichts kommt an unseren Sex heran. Da kann sie noch so sexy atmen und dabei diese Lichtspiele mit ihren feinen blonden Haaren auf ihrer braunen Haut veranstalten. Nichts kann es mit diesem Sex aufnehmen. Wann wacht sie nur endlich auf?

       HAMBURG

      Wozu aufwachen? Wozu schlafen? Wozu aufstehen? Sie hat den Sinn aus meinem Leben genommen. Für mich gibt es keine wirkliche Zukunft mehr. Die Zeit ist stehen geblieben und ich vegetiere in diesem armseligen, traurigen Moment. Das Morgen macht keinen Sinn mehr. Morgen ist einfach nur noch ein Etwas. Obwohl, irgendetwas war doch morgen. Ja, morgen muss ich mich mit Frank treffen. Wie sinnlos. Er hat mir gedroht, dass ich meinen Job verliere, wenn ich nicht bald erzähle, was los ist. Und wenn schon? Es ist mir egal. Es ist mir völlig egal.

      Was ist heute eigentlich für ein Tag? Die Zeit geht weiter, aber eben auch nicht. Ich sitze seit über sechs Wochen in dieser Wohnung. Die Welt dreht sich. Sie dreht sich in winzig kleinen Kreisen um diese armselige Wohnung. Unsere Wohnung. Ninas Zuhause...

      Vielleicht bringt mich Frank ja auf andere Gedanken. Aber das ist ziemlich unwahrscheinlich. Vielleicht lasse ich mich auch einfach vernünftig volllaufen. Das geht sicher besser in Gesellschaft, denn alleine Saufen habe ich zur Genüge probiert in den letzten Wochen. Es macht es nicht besser. Überhaupt nicht besser.

      Das Problem ist nur, ich habe keine Lust, einfach keine Lust. Ich will niemanden sehen. Ich brauche kein Mitleid und es gibt auch keine Hilfe! Soll Frank doch allein sein Bier trinken. Ich glaube, ich bleibe einfach hier sitzen. Hier ist es doch eigentlich ganz okay. Niemand stört mich, niemand will etwas von mir, niemand will mir helfen, niemand bemitleidet mich. Hier gibt es keine weiteren Demütigungen. Ich bleibe hier. Genau hier auf diesem Sofa.

       TARIFA

      Wo ist sie? Da! Nackt vor dem Riesenfenster unseres Minihauses und sie schaut auf unseren Strand. Ihre hellbraunen Haare sind ein wenig blonder und die wenigen Sommersprossen auf ihrem Rücken sind nach acht Wochen Sommer nur noch zu erahnen. Apfelform sagt man wohl zu diesem... zu diesem... was ist das? Sicher kein vulgärer Arsch. Und sicher nicht nur ein Hintern. Er ist so viel besser als ein einfacher Hintern. Und ein Apfel ist er erst recht nicht. Vielleicht eine Kirsche? Auf jeden Fall gehört er mir. Oder sie oder es gehört mir?

      Die Muskeln ihrer Waden machen Lichtspiele auf ihrer Haut. Sie wippt auf ihren Zehen. Was macht sie? Kitesurft sie in Gedanken? Tanzt sie? Sie dreht sich zu mir! Sie funkelt. Sie lacht mich an. Ihre Augen lachen. Ihre Augen funkeln. Aber sie funkeln irgendwie von innen. Sie tanzt. Sie funkelt und sie tanzt. Sie tanzt wie Julie Delpie in ’Before sunset’... und das ohne Musik. Dieses Funkeln kommt aus ihr. Die Musik ist in ihr. Es ist... Es ist vielleicht einer dieser Momente. Ein Funkeln, das immer bleiben wird. Es muss so sein, es ist einer dieser Momente. Ein Moment, der gerade passiert und von dem ich jetzt schon sicher weiß, dass ich ihn nie vergessen werde. Einer dieser Momente. Einer dieser wenigen Momente.

       »Guapilein! Ausgeschlafen?«

      »Ich war eigentlich gar nicht müde, aber ich bin wohl noch mal eingeschlafen.«

       »Was ist mit deinen Augen?«

      »Mit meinen Augen?«

       »Ja. Weinst du?«

      »Sicher nicht!«

      Na hoffentlich nicht.

       »Sicher nicht? Alles in Ordnung?«

      »Es könnte nicht besser sein.«

       »Wunderbar. Denn ich könnte gerade nicht glücklicher sein. Es sei denn, mein Guapilein wäre traurig.«

      »Dein Guapilein ist nicht traurig. Es ist glücklich, dein Guapilein. Mehr als das! Vielleicht ein bisschen zu viel Sonnenstrahlen in meinen Augen.«

       »Sehr gut. Sehr, sehr gut.«

      Junge, Junge. Kein Grund für Tränen! Oder doch? Eine kleine Freudenträne? Nix da. Ich bin hier der Mann!

      Sie tanzt. Sie funkelt. Sie tanzt. Sie macht es einfach.

      »Hast du das manchmal auch? Du siehst etwas oder erlebst etwas und du weißt in genau diesem Moment, dass du es nie, wirklich nie, vergessen wirst?«

       »Wie meinst du genau?«

      »Ich hatte gerade so einen Moment. Dieses musiklose Tänzchen von dir. Es war mehr als ein Moment. Es war einer dieser Momente, die bleiben. Ich werde dieses Bild von dir - nackt, tanzend, in unserem kleinen Aussteigerparadies - ich werde dieses Bild auf meiner Großhirnrindenfestplatte noch gestochen scharf vor mir sehen, wenn ich mit fünfundneunzig in meinem Altersheim aus dem Fenster starre.«

       »Du kleiner Romantiker! Darf ich dir dann noch deinen Brei bringen oder willst du dann lieber eine junge, knackige Krankenschwester?«

      »Nein! Tu es nicht! Du hast gerade das Bild zerstört. Jetzt tanzt du gerade nackt, als... Wie alt bist du dann? Einundneunzig. Eine nackte Einundneunzigjährige tanzt vor meinem inneren Auge. Hoffentlich bleibt das Bild nicht in Erinnerung. Das Originalbild war gerade sooo schön.«

       »Vielleicht tanze ich morgen noch einmal für dich. Vielleicht. Aber nur wenn du nachher brav deinen Brei aufisst!«

      »Hör auf!!! Ich bin