Sabine von der Wellen

Die Narben aus der Vergangenheit


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Moinette“, sagt Carolin viel zu schnell und steht auf.

      „Vielen Dank“, raune ich, bin aber unzufrieden. Ich habe nicht das Gefühl, genug zu wissen, um klar erkennen zu können, was ich tun soll und welche Chancen wir haben.

      Die junge Frau erscheint hinter uns und begleitet uns in den vorderen Teil des Zeltes. Ich frage sie, meine Geldtasche zückend: „Was kostet das Gespräch? Der übliche Preis?“

      Sie schüttelt den Kopf und winkt ab. „Madame Moinette möchte diesmal keine Bezahlung.“ Sie schiebt uns zum Ausgang und ich sehe sie nur fassungslos an. Dass sie kein Geld wollen, verunsichert mich, weil ich nun das Gefühl habe, es war keine Vorhersage unserer Zukunft, sondern eine Erklärung und ein Wegweiser für arme, hoffnungslose Fälle, die der Frau da drinnen nur leidtun.

      Als uns die frische Luft umfängt, atme ich gierig die sauerstoffreiche Luft ein und uns umfangen sofort der Rummel und der Lärm wieder. In dem Zelt hatte ich nichts davon mitbekommen.

      Ich greife nach Carolins kalter Hand und ziehe sie mit mir fort, dem nächsten Ausgang entgegen. Ich will nach Hause, über alles nachdenken und Carolin und mich in unserer Wohnung einsperren, bis ich weiß, was ich tun soll. Vielleicht für immer. Dann kann uns nichts angreifen, nichts uns auflauern und nichts uns zerstören.

      Wir laufen nach Hause und sprechen unterwegs kein Wort. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Ich versuche die Worte der Hellseherin zu verstehen, zu durchleuchten und einen Weg zu finden, der mein und Carolins Schicksal zu einem Einzigen werden lässt, dass kein anderes, mächtiges, von der Welt angeblich gefordertes bedrohen kann.

      Erst als die Haustür hinter uns ins Schloss fällt und wir die Treppe zur Wohnung hochgehen, atme ich auf. Ich fühlte mich da draußen verletzlich und unsicher. Hier ist unsere Welt, in die nichts und niemand eindringen kann.

      Als ich die Wohnungstür hinter uns zuschließe, sehen wir uns unschlüssig an.

      Ich schüttele den Kopf und raune leise: „Ich habe die ganze Zeit versucht, dieses Durcheinander von Schicksalen auf die Reihe zu bekommen und ich komme gar nicht drauf klar, dass dich ein Schicksal mit gleich drei Männern verbindet.“

      Carolin sieht mir in die Augen und sagt entschieden: „Falsch! Ein Schicksal verbindet mich mit dir und das andere mit zwei anderen. Das hat Madame Moinette ganz klar so gesagt. Aber mich interessiert sowieso nur das Schicksal mit dir und ich werde persönlich dafür sorgen, dass nur das sich erfüllt.“

      Ihre Worte müssten mich trösten und aufbauen. Aber ich bin in einem Gefängnis aus Kälte und Unsicherheit gefangen und knurre nur, alles Schlechte auf den Tisch werfend: „Ein Kinderloses?“

      Ohne zu zögern antwortet Carolin: „Ja, ich wähle das Kinderlose. Das hat einen ganz wichtigen Grund. Wenn ich ein Kind in die Welt setze, weiß ich nicht, ob es nicht auch mit dem alten Vermächtnis des Alchemisten belastet wird und das möchte ich keinem Kind zumuten.“

      Die alte Geschichte aus ihrer Familie, die auch nichts ist, was mein Gehirn verstehen kann.

      Carolin sagt leise und niedergeschlagen: „Allerdings ist es schade, wenn du kein Kind bekommst. Du wärst bestimmt ein guter Vater. Vielleicht etwas zu übervorsichtig, aber total lieb. Und so ein kleines, blondes Lockenköpfchen mit braunen Augen … Aber wie gesagt, in meinem Leben sind Kinder keine gute Idee.“

      Sie geht an mir vorbei ins Wohnzimmer und ich sehe ihr nach. Es war unverkennbar etwas in ihrer Stimme, dass sie bedauert, dass es diesen kleinen Lockenkopf nicht geben wird. Sie ist wie alle Frauen. Irgendwann wird sie Kinder haben wollen und dann?

      Ich gehe zum Wohnzimmerfenster, während Carolin sich auf das Sofa fallen lässt. Mir eine Zigarette anzündend, sehe ich hinaus und ziehe den Zigarettenrauch tief in meine Lunge.

      „Hm, zumindest bin ich beruhigt, dass ich auch wirklich eine Rolle in deinem Leben spiele“, sage ich nach einiger Zeit und das ist wirklich das Einzige, das von den ganzen Ausführungen der Hellseherin klar zu sein scheint.

      „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das alles so mit diesen Schicksalen funktioniert“, meint Carolin nachdenklich. „Was ist mit all den anderen Menschen, die man mal kurz oder länger getroffen hat? Ist das auch alles im eigenen Schicksal integriert oder nur die wichtigen, großen Dinge? Also ich weiß nicht, ob das alles so stimmen kann … mit dieser Schicksalsgeschichte.“

      „Keine Ahnung. Ich steige da auch nicht durch. Vielleicht hätte man niemals zu ihr gehen sollen und wäre dann zwar nicht schlauer, aber auch nicht so durcheinander“, antworte ich ihr.

      Ich rauche meine Zigarette und sehe auf die Stadt hinaus, die sich vor unserem Fenster ausbreitet, höre die Autos brummen und das Heulen von Sirenen. Aber in meinem Kopf laufen so viele Fragen ab, dass sie alles übertönen. War es mir von Anfang an bestimmt gewesen, diese Daniela als Kindermädchen zu bekommen und war es ihre Bestimmung, sich mir gegenüber so zu verhalten und mich so zu verletzen, um dann für Jahre dafür ins Gefängnis zu gehen? Oder war das ein Punkt gewesen, wo sie die Möglichkeit gehabt hatte, einen besseren Weg einzuschlagen und versagte? Und was war mit den vielen Frauen, die ich verletzte, um mich letztendlich für die Tat von Daniela zu rächen? War das das Ergebnis des Resonanzprinzips oder sollte jeder Frau eine Möglichkeit geboten werden, meine Rachegedanken niederzuringen, was jedoch keiner gelang? Dazu musste erst Carolin kommen.

      Carolin ist mein Schicksal. Mit ihr musste es anders laufen, denke ich energisch. Sie ist kein Zufall, bei dem ich zufällig anders tickte. Sie ist meine Bestimmung … und dass zwei anderer Typen.

      Hinter mir springt Carolin vom Sofa auf und rennt aus dem Wohnzimmer.

      Ich drehe mich erschrocken um und werfe den Zigarettenrest aus dem Fenster. Dass sie plötzlich aus dem Zimmer stürmte, verunsichert mich.

      Ich laufe zum Badezimmer und höre sie sich über der Toilette übergeben. Sie kniet auf dem Fußboden, am ganzen Körper zitternd.

      „Carolin, oh Mann, was ist denn los?“

      Ihr Zustand, der plötzlich so umschwenkte, erschreckt mich zutiefst.

      Sie lässt sich an die Wand neben der Toilette gleiten und zieht etwas Toilettenpapier von der Rolle, um sich den Mund abzuputzen.

      Ich spüle und ziehe sie auf die Beine. Besorgt frage ich sie: „Hast du dir den Magen verdorben?“

      Sie schüttelt nur den Kopf und haucht leise und zittrig. „Geht schon wieder.“ Aber in ihrem Blick liegt Verzweiflung und ich wüsste zu gerne, was der Auslöser ist. Aber ich ahne, sie wird es mir nicht verraten. Wie sie mir nichts verrät.

      Ich bringe sie zum Sofa zurück, auf das sie sich fallen lässt und murmelt: „Das ist nur die ganze Aufregung und mein empfindlicher Magen.“

      Ich ziehe sie an meine Brust und wünsche mir erneut, ihre Gedanken lesen zu können. Sie hatte mir nichts davon gesagt, dass ihr zweites Schicksal viel stärker als unseres sein soll und sogar andere es erfüllt wissen wollen, um, wie hatte die Hellseherin gesagt, Kapital daraus zu schlagen. Sie wusste davon und hatte mir nichts gesagt. Was weiß sie noch, was sie mir verschweigt? Mir hatte Madame Moinette gesagt, dass Carolin ein dunkles Geheimnis in sich birgt.

      Aber um sie hier und jetzt zu beruhigen, antworte ich leise: „Ich bin auch ziemlich durcheinander und fühle mich auch nicht besonders gut“, und küsse sie auf ihre verschwitzte Stirn. „Das ist auch alles nicht leicht zu verkraften. Komm, ich bringe dich ins Bett. Ruhe dich einfach aus und ich gehe eben nach Daniel sehen, ob er schon wieder da ist.“ Ich sprach es aus, ohne selbst über die Bedeutung nachgedacht zu haben. Es war ein eigenständiges Handeln meines Körpers und Kopfes und ich bin verwirrt, während ich sie aus meinen Armen schiebe.

      Mir wird klar, ich brauche etwas und deshalb zieht es mich zu Daniels Wohnung. Ich komme sonst nicht mehr klar.

      Carolin sieht mich an. Ich fühle fast ihr stummes Entsetzen und sehe zu Boden. Auch sie weiß, was ich damit ausdrücke und was ich damit meine.

      Langsam erhebt sie sich, als müsse sie das ganze Dach erst hochheben, um stehen zu können und raunt: