Sabine von der Wellen

Die Narben aus der Vergangenheit


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meldet sich mein Handy und ich entlasse Carolin verunsichert aus meiner Umarmung, um es aus meiner Tasche zu ziehen.

      „Hallo Daniel“, sage ich nach einem Blick auf das Display.

      Daniel ist gut gelaunt und aufgedreht und fragt, wo wir stecken und ob wir noch mit ins Alando kommen.

      „Ne, wir sind schon zu Hause. Geht man alleine und viel Spaß noch“, raune ich resigniert.

      „Ey, die sind alle echt gut drauf. Komm, sei kein Spielverderber. Die machen wegen euch schon blöde Sprüche“, ruft Daniel viel zu überdreht ins Telefon und ich knurre aufgebracht: „Ist mir egal. Wir hatten keine Lust mehr und nachdem Julian es doch noch geschafft hat, Carolin zu bedrohen, sowieso nicht mehr.“ Ich drücke erbost das Gespräch weg und knurre: „Die wollten, dass wir noch ins Alando kommen.“

      Carolin betätigt erneut den Lichtschalter, um die Treppe zu beleuchten und geht vor mir hoch zu unserer Wohnung. Oben schließt sie auf und ich lasse die Tür hinter mir wieder ins Schloss fallen und schließe zu. Für heute ist Schluss.

      Wir ziehen unsere Schuhe aus und hängen die Jacken auf.

      „Magst du auch noch einen Cappuccino oder Tee?“, frage ich und gehe in die Küche. Carolin folgt mir nicht, aber ich setze trotzdem Wasser auf. Als sie wenig später doch erscheint, stehen schon zwei Tassen auf dem Tisch und in ihrer liegt ein Teebeutel und neben meiner stehen das Cappuccinopulver und der Zucker. Aber ich fühle mich von meinen Gedanken erschlagen, die mich alles noch einmal Revue passieren lassen. Der Schreck, als Julian hinter ihr stand und ich in diesem Karussell festsaß, ihre Worte, dass er mich in den Knast bringen will, wohl um sie alleine und ohne meinen Schutz angehen zu können, die Ungewissheit, was er dann mit ihr vorhat und zu guter Letzt die Worte der Hellseherin, das Carolins und meine Zukunft ungewiss ist, weil sie ein dunkles Geheimnis hütet ...

      Carolin kommt mit dem heißen Wasser an den Tisch und gießt es in unsere Tassen. Ich registriere das, bin aber wie gelähmt. Mir wird klar, wie hoffnungslos und schwierig unsere Situation ist.

      „Was kann ich nur tun?“, frage ich fast stimmlos. „Wegen Julian!“

      Carolin setzt sich zu mir und antwortet ziemlich brüsk: „Nichts. Lass ihn einfach in Ruhe. Ich regele das. Wenn er etwas Schwesterngetue von mir verlangt, dann soll er das haben. Hauptsache er lässt dich in Ruhe. Und du schaust, dass er dich und Daniel wirklich mit nichts belasten kann.“ Ihre Stimme hat einen erschreckend rüden Unterton und klingt wütend.

      Sie steht auf und geht ins Wohnzimmer zurück. Ich sehe ihr nach, immer noch wie gelähmt. Sie kommt mit ihrem Handy zurück und setzt sich auf ihren Platz.

      Ich werfe ihr einen beunruhigten Blick zu.

      „Den Zucker musst du selbst nehmen“, sagt sie und zeigt auf meine Tasse, während sie eine SMS eintippt.

      Ich kann nur resigniert den Kopf schütteln, als sie sie mir zu lesen gibt. „Julian, du sollst dein Schwesterngetue haben. Aber Erik und Daniel lässt du ganz in Ruhe. Haben die auch nur einmal Schwierigkeiten, dann ist es für immer mit der Geschwisterliebe vorbei. Carolin.“

      Dass sie Julian das schrieb, macht mich völlig fertig. Aber ich weiß auch, dass Julian am längeren Hebel sitzt und mir nichts anderes übrigbleibt, als die Lage zu akzeptieren wie sie ist.

      Niedergeschlagen raune ich: „Ich habe wirklich gedacht, dass nie wieder jemand so etwas mit mir machen kann.“

      Carolin beugt sich vor und während sie mir sanft meine Locken über der Stirn zurückstreicht, sagt sie: „Es ist nicht so schlimm für mich, wie du denkst. Ich komme schon klar, wenn wir beide einfach nur zusammen sein können.“

      Sie gibt den immer noch fehlenden Zucker in meine Tasse und rührt um. „Komm Schatz, wir schaffen das! Julian hat mir versichert, er will mir nichts Böses mehr. Und ich glaube ihm das.“

      Will sie mich beruhigen?

      Wir nippen an unseren Tassen und hängen unseren Gedanken nach. Es gibt nichts mehr darüber zu sagen. Sie hat sich für mich geopfert und ihrem Bruder geschrieben, dass sie bereit ist, ihn wieder in ihr Leben zu lassen, wenn er mich und Daniel dafür in Ruhe lässt. Sollte er ihr aber doch dumm kommen, bringe ich ihn um.

      Carolin geht schon bald ins Bett und ich rauche noch eine Zigarette, bevor ich ihr folge. In meinem Kopf schreit alles nach einer Prise Weiß, um das hier ertragen zu können. Aber selbst das kontrolliert Julian jetzt. Einmal und er kann mich schon hochnehmen, egal was er Carolin für ihren Einsatz verspricht.

      Die erwartet mich tief unter ihre Decke versteckt und ich sehe ihr an, wie sehr sie das alles wieder mitnimmt.

      Ich ziehe mich aus und schiebe mich zu ihr unter die warme Decke. Sie zieht mich an sich und legt ihre Arme um mich. Offenbar ist mir nicht mal böse, dass ich einfach nicht in der Lage bin, sie zu beschützen und mein Leben sie zu Dingen zwingt, zu denen sie niemals gezwungen werden sollte. Es wäre so, als müsste ich Freundschaft mit Daniela, dem Kindermädchen von damals, schließen, dass mich als fünfjährigen entführte und mir die Brust zerfetzte. Undenkbar.

      Ich seufze leise und verdränge den Gedanken.

      Sofort schiebt sich Madame Moinette in meinen Kopf und was sie mir sagte. Carolin wird entscheiden, ob wir zusammenbleiben und etwas versucht sie dazu zu bringen, dass sie mich verlässt.

      Mir schießt sofort Julian in den Kopf.

      Außerdem werde ich nie Kinder bekommen. Madame Moinette war selbst überrascht, warum das so deutlich hervorstach.

      Für mich hat das keine Wichtigkeit. Überhaupt keine.

      Ich liege auf Carolins Brust und horche auf ihren Herzschlag. Ellen schiebt sich in meinen Kopf, wütend und aufgebracht aus dem Zelt der Hellseherin stampfend und brummend: „Was für ein blödsinniger Kauderwelsch. Ich habe nichts von dem verstanden, was sie gebrabbelt hat … außer das mit den Kindern.“

      Mir stockt der Atem, und ich erstarre innerlich. Plötzlich wird mir eiskalt.

      Carolin streicht mir durch das Haar und ich sehe auf. Der seichte Schein der kleinen Nachttischlampe lässt ihre Augen funkeln und sie erwidert meinen Blick.

      „Carolin?“, frage ich und mir stockt jetzt schon der Atem.

      „Ja?“

      „Sagst du mir, was die Hellseherin dir gesagt hat?“, flüstere ich.

      Carolin zögert und raunt dann vorsichtig: „Ich glaube, das sollten wir besser nicht.“

      Ich schiebe mich noch dichter an sie heran und frage: „War es so schlimm?“

      „Ich weiß nicht! Ich habe nicht viel von dem verstanden, was sie sagte“, antwortet sie zurückhaltend.

      Ich sehe wieder auf. „Beantwortest du mir wenigstens eine Frage … ganz ehrlich?“ Ich kann es einfach nicht dabei belassen.

      Sie sieht mich an und nickt unschlüssig.

      „Hat sie etwas über Kinder gesagt? Ob du mal welche bekommst, meine ich“, frage ich, und meine Stimme klingt wie ein verstimmtes Klavier.

      Sie antwortet nicht und ich schiebe mich auf meine Ellenbogen, um sie ansehen zu können. Ich überfliege ihr Gesicht nach einer Regung, die mir eine Antwort gibt.

      „Zwei“, sagt sie plötzlich und unerwartet.

      Ich lasse mich auf den Rücken fallen und schließe betroffen die Augen. Jetzt weiß ich, warum das mit meiner Kinderlosigkeit so wichtig ist. Die Einsicht nimmt mir den Atem, raubt mir meine Energie und den Verstand. „Verdammt!“

      „Warum?“, fragt Carolin und ist sichtlich erschrocken über meine Reaktion.

      „Keine Kinder“, antworte ich nur, als hätte sie mir die gleiche Frage gestellt.

      An ihrem Gesicht sehe ich, dass ihr gerade klar wird, was das heißt. Wir haben keine gemeinsame Zukunft. Unsere Liebe ist zu Ende, bevor sie richtig beginnt.

      Ich