Sabine von der Wellen

Die Narben aus der Vergangenheit


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sehe, wie sich ihre Stirn runzelt, bevor sie fortfährt: „Du bist nicht mehr allein. Ich sehe, es gibt eine Frau an deiner Seite. Ihr Schicksal und deins sind untrennbar durch die gleichen Schrecken in der Vergangenheit, starken Gefühlen und einer gegenseitigen Abhängigkeit verbunden. Was ich sehe ist aber nicht nur gut. Diese Frau birgt ein dunkles Geheimnis, das ich nicht erkennen kann. Etwas zieht sie von dir weg. Es wird schwer sein, sie an dich zu binden, obwohl du sie brauchst. Aber sie entscheidet letztendlich, was mit euch geschieht.“

      Die Worte der Hellseherin nehmen mir den Atem. Wo sie anfangs noch ertragbar klangen, bin ich nun erschrocken und verunsichert. Das, was sie über Carolin sagt, beunruhigt mich.

      „Aber werden wir zusammenbleiben können, wenn sie es zulässt?“, frage ich atemlos.

      Es dauert, bis Madame Moinette antwortet: „Da ist etwas, das sie zwingen will sich gegen dich zu stellen. Aber wenn sie dem widersteht, wirst du ihre Liebe behalten. Ihr werdet auch glücklich werden können, aber …“ Ihre geschlossenen Augenlider flackern. „Erik, in deinem Leben sehe ich keine Kinder.“

      Ich bin etwas verwirrt. Was interessiert mich, ob ich Kinder haben werde?

      Ihre Hand löst sich aus meiner und ich will nach ihr greifen. Das alles ist viel zu verwirrend. Ich brauche genaueres. Aber sie setzt sich zurück und sieht mich nur an.

      „Mehr kann ich dir im Moment nicht sagen. Da ist etwas, das dein Schicksal seltsam verschleiert und ich weiß nicht genau, warum sich das mit deiner Kinderlosigkeit so in den Vordergrund drängt. Möchtest du Kinder haben? Unbedingt?“

      „Nein!“, antworte ich wie aus der Pistole geschossen. „Ich habe mir darüber auch noch nie Gedanken gemacht.“

      Madame Moinette steht auf und ihre Gehilfin tritt ein, um mich hinauszubegleiten.

      Ich bin noch gar nicht bereit zu gehen. Aber ich weiß, mehr wird sie mir nicht sagen. Dennoch wende ich mich noch einmal um: „Bitte, Frau Moinette, kann ich Ihnen eben jemanden schicken, in deren Zukunft Sie bitte auch sehen? Es ist mir wichtig.“

      Sie nickt nur, überhaupt nicht überrascht und winkt ihrer Gehilfin zu, die mich hinausbegleitet. Ich zahle ihr zwei Sitzungen und raune: „Ich schicke sie sofort herein. Bitte warten Sie!“

      Ihr Lächeln sagt mir, dass sie natürlich nichts anderes tun wird und ich komme mir blöd vor.

      Vor dem Zelt sehen mich Ellen, Carolin und Daniel fragend an.

      „Nah, biste jetzt schlauer?“, fragt Ellen ironisch.

      Statt auf ihre Frage zu antworten, sage ich zu Carolin: „Und nun du. Sie wartet! Wenn du nicht allein gehen willst, kann ich mitkommen … oder Ellen.“

      „Was ist mit mir?“, brummt Daniel gespielt aufgebracht. „Vielleicht möchte sie lieber mich mitnehmen?“

      Carolin wird blass und sieht mich ungläubig an. „Bitte, ich möchte wirklich nicht.“

      „Aber ich habe bezahlt und sie wartet“, brumme ich und will sie unbedingt in dieses Zelt kriegen. „Komm, die ist wirklich gut!“, versichere ich ihr.

      „Bitte Erik …“, versucht Carolin dem Unvermeidlichen zu entgehen.

      „Abgelehnt“, raune ich und lasse keine Widerrede zu.

      „Ellen!“, ruft sie entsetzt und hält ihr mit flehendem Blick die Hand hin.

      „Ich darf mit?“, kreischt Ellen aufgeregt.

      „Alleine gehe ich da bestimmt nicht rein“, mault Carolin aufgebracht, weil ich sie zu so etwas zwinge. Aber ich sehe das als Notwendigkeit an. Für mich und für sie.

      Ellen greift energisch ihre Hand und geht sogar vor.

      Ich sehe den beiden hinterher und ziehe nervös eine Zigarette aus meiner Zigarettenschachtel.

      Daniel sieht mich mit einem seltsamen Blick an und murmelt: „Und, gut oder schlecht?“

      Ich kann nur die Schultern hochziehen und äußere mich nicht weiter. Daniels Blick wandert besorgt zu dem Zelteingang, hinter dem Ellen und Carolin verschwunden sind. Dann sieht er mich wieder an. Er tritt dicht an mich heran und raunt leise und mit ernstem Gesicht: „Ich glaube, es ist Ansichtssache, ob man solchen Hellsehern glaubt oder nicht. Wenn sie nichts Gutes zu sagen hatte, dann hoffe ich, dass du dich davon nicht runterziehen lässt.“

      Ich weiß nicht, was ich ihm antworten soll. Aber ich ahne, dass er einfach nicht möchte, dass es in meinem Leben nicht gut läuft, denn er ist untrennbar damit verbunden. Schon durch Ellen. Und in der Vergangenheit waren ich und meine Schwester nicht leicht für ihn zu ertragen gewesen. Das ist mir mittlerweile, ohne das großkotzige Gefühl durch die Drogen, die alles verwischen, klar. Ich war oft genug ein unausstehliches Arschloch, auch ihm gegenüber.

      Endlich kommt nach zwei Zigarettenlängen Ellen aus dem Zelt. Sie ist verwirrt und verunsichert und sieht zum Zelteingang zurück.

      Auch ich werde nervös. Wo ist Carolin?

      „Die Tussi hat mich einfach rausgeholt. Mittendrin. Frag mich nicht, warum. Ich würde die Aura stören“, brummt Ellen aufgebracht.

      Ich will zum Zelteingang stürzen, als Ellen ihre Hand um meinen Oberarm legt und mich aufhält. „Wir sollen dieser Moinette einige Minuten geben, hat die Tussi gesagt.“

      Ich bleibe stehen und gebe in Gedanken der ganzen Sache fünf Minuten, dann nehme ich den Laden auseinander.

      Aufgebracht greife ich nach meinen Zigaretten und nehme mit fahriger Bewegung eine dritte. „Eine Zigarettenlänge“, brumme ich und zünde sie an. Viel zu schnell rauche ich sie auf und will erneut losstürmen, als Carolin aus dem Zelt tritt, blass und nach Luft schnappend.

      „Puh, was hat sie noch von dir gewollt? Mich hat die eine Tussi schon rausgeholt“, erklärt Ellen ihr, weil Carolin verwirrt ist, dass sie draußen wartet.

      Carolin schüttelt unwillig den Kopf und kommt direkt auf mich zu. Ohne ein Wort schiebt sie sich in meinen Arm und ich lege meine Arme um sie.

      Verdammt, was ist da drinnen passiert?

      Ich hauche ihr einen unsicheren Kuss auf die Stirn und frage mit belegter Stimme: „Alles in Ordnung?“

      „Ja, alles okay“, raunt sie nur.

      Ellen meint: „Gruselig. Und was für ein blödsinniger Kauderwelsch. Ich habe nichts von dem verstanden, was die gebrabbelt hat … außer das mit den Kindern. Naja, Kinder kriegt jeder“, murrt sie.

      Carolin sieht mich an und ich sie. In mir zieht sich alles zusammen. Was ist mit Kindern? Hat Madame Moinette ihr gesagt, dass sie welche bekommt?

      In mir spannt sich alles wie eine Gitarrenseite und ich habe das Gefühl, etwas könnte jeden Moment in mir zerreißen.

      Ich schlucke und versuche in Carolins Blick eine Antwort darauf zu finden. Aber ich werde warten müssen, bis ich sie fragen kann. Und ob sie mir eine Antwort geben wird ist fraglich.

      Es ist schwer, wieder in die Atmosphäre des Jahrmarktes einzutauchen. Ich möchte Carolin wegbringen und mit ihr über alles reden. Aber ich weiß auch, dass es ihre Entscheidung ist, ob sie mir sagen wird was die Hellseherin ihr gesagt hat. Genauso wie es ihre Entscheidung ist, ob wir zusammenbleiben. Das hat Madame Moinette zumindest zu mir gesagt.

      Wir kehren dem Zelt den Rücken zu und stürzen uns wieder in die Kirmeswelt. Ich drücke Carolins Hand und sie sieht mich an. Sie wirkt genauso bedrückt und verwirrt, wie ich mich fühle. Vielleicht hätte ich sie nicht zwingen sollen zu Madame Moinette zu gehen?

      Von hinten bekommt Carolin einen Schubs und ich kann sie gerade noch davor bewahren, nach vorne zu stürzen. Es ist das Trampel Susanne, die Lesbe, die sie von hinten in einem Anfall von Freude anfiel. Ich muss mich zurückhalten, um sie nicht zusammenzufalten. Aber auch Carolins andere Freundinnen sind da und freuen sich darüber, uns gefunden zu haben.

      Ich freue mich gar nicht. Und noch weniger, als ich Julian und Michaela