Sabine von der Wellen

Die Narben aus der Vergangenheit


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hatte ich ihr eine Erwiderung auf das gegeben, was sie mir am Samstag in der Küche gesagt hatte. Als wir fest umschlungen uns noch einige Minuten in unserem Bett gönnten, sagte ich ihr, dass sie meine Droge ist und ich keine andere brauche, solange sie bei mir ist. Sie hatte mir daraufhin geantwortet, dass sie aber nicht ständig bei mir sein kann. Das ist mir natürlich klar, aber ich hatte nur in meiner alten, grimmigen Erikmanier geknurrt: „Ich weiß!“ und fühlte mich wie ein störrisches Kind. Ginge es nach mir, würde ich das ändern.

      Nun stehen wir eng umschlungen zusammen im Flur und ihre Augen strahlen in meine. „Hier ist unser Treffpunkt! Hier findest du mich! Und ich habe mein Handy an und wir telefonieren heute Mittag, wenn ich zur Arbeit laufe, okay?“, sagt sie mit diesem Blick, der mir einen wohligen Schauer über den Körper treibt. Doch er kann mir nicht das ungute Gefühl nehmen, gleich ohne sie zu sein.

      Ich nicke unzufrieden und mein Blick bleibt grimmig. „Und du passt auf dich auf. Jede Minute des Tages!“, zische ich und küsse sie noch einmal.

      An der Wohnungstür klopft es schon ungeduldig und ich weiß, Ellen will sie mitnehmen.

      „Natürlich!“, antwortet Carolin lächelnd, greift hinter sich zur Türklinke und öffnet Ellen die Tür.

      „Guten Morgen!“, ruft die uns gut gelaunt zu. Aber dann legt sich sofort ein genervter Ausdruck über ihr Gesicht. „Mein Gott, ihr tut ja so, als müsstet ihr euch für Wochen trennen. Komm Erik, lass Carolin los. Es wird Zeit.“

      Ich löse meine Umarmung und Carolin gibt mir noch einen schnellen Abschiedskuss. „Bis heute Abend, Schatz“, sagt sie und streicht mir noch einmal über meine Wange.

      „Ich hole dich ab“, brumme ich, und Ellen verdreht die Augen.

      Ihr geht das alles wieder einmal viel zu langsam und sie zerrt Carolin am Arm von mir weg. „Was ist los? Können wir jetzt endlich?“, brummt sie.

      Auf der Treppe geht Daniel an ihnen vorbei. Wir wollen noch schnell einen Kaffee trinken, bevor wir losfahren.

      „Hallo Daniel“, begrüßt Carolin ihn.

      Er nickt ihr nur zu und kommt zu mir. Ich halte ihm die Tür auf und er brummt ein: „Hey Alter, alles klar?“ und begrüßt mich mit unserem alten Handschlag.

      „Sicher“, murmele ich, und gehe ihm voraus in die Küche, um uns einen Kaffee zu kochen.

      Schwerfällig lässt Daniel sich auf einen Stuhl sinken und murrt: „Was für ein Wochenende. Echt ätzend langweilig und dazu noch so ein scheiß Wetter. Und die Zeitumstellung gibt einem den Rest.“

      Ich drehe mich nicht zu ihm um und lasse die zweite Tasse Kaffee durchlaufen. Mein Wochenende war, trotz dem schlimmen Beginn am Freitagabend, wirklich nicht langweilig und schon gar nicht ätzend und das schlechte Wetter hatte ich nur am Rande registriert.

      „Nah, Carolin hat wenigstens das mit Julian gut weggesteckt, wie es scheint“, brummt er, als ich nicht antworte.

      Ich stelle die Kaffeetassen auf den Tisch und hole Milch und Zucker. „Ja, hat sie. Sie ist wirklich ein Stehaufmännchen, wie du schon sagtest.“

      Daniel schüttelt den Kopf. „Dass dieser Typ ihr Bruder ist!“

      „Ja, unglaublich. Sie ist so hell und er so dunkel. Aber er ist ja auch nur ihr Halbbruder. Er muss wohl schwer nach dem Vater gehen … wie Tim“, antworte ich und lasse Zucker in meine Tasse rieseln.

      „Geht Carolin denn nach ihrem Vater?“, fragt Daniel mich und ich hebe nur unwissend die Schulter. Ich kenne ihre Mutter nicht und weiß nicht, wem sie wirklich ähnelt.

      Wir trinken schweigend unseren Kaffee und machen uns dann auf den Weg zur Uni. Ich ertappe mich dabei wie ich immer wieder nach Julian Ausschau halte, sehe ihn aber nirgends. So ein Enrique Iglesias Verschnitt fällt hier sofort auf.

      In einer kurzen Pause vor der letzten Lesung rufe ich Carolin an. Ihr geht es gut und Ellen bringt sie zum Cafe. Die ruft zur Bestätigung ein: „Hallo! Nerv nicht rum!“ ins Handy.

      Ich erinnere Carolin daran, dass ich sie am Abend abhole und sie auf alle Fälle auf mich warten soll. Dass Julian ihr am Freitag so auf die Pelle rückte, beunruhigt mich. Ich kann einfach nicht einschätzen, wie weit er gehen wird, um erneut an Carolin heranzukommen.

      Als ich abends das Cafe betrete, räumt Carolin gerade das letzte Geschirr in die Spülmaschine. Ich setze mich auf meinen Platz und sie kommt wenig später mit einem Cappuccino mit einem Schaumherz, dass sie mir stolz präsentiert, zu mir.

      Ich ziehe sie an mich und küsse sie. Ich weiß, sie mag das nicht. Aber es ist niemand im Cafe, den das aufregen könnte.

      Zehn Minuten später verlassen wir den Laden und gehen zu dem türkischen Imbiss, um einen Döner zu essen.

      Carolin ist blass und ich frage mehrmals, ob etwas vorgefallen ist und ob es ihr gut geht, bekomme aber keine vernünftige Antwort. Darum beschließe ich Ellen auszuhorchen.

      Zu der ziehe ich Carolin, als wir nach Hause kommen. Statt in unsere Wohnung zu gehen, machen wir einen Abstecher zu Daniel. Wir finden Ellen auf dem Sofa und sie sieht sich mal wieder irgend so einen Schwachsinn im Fernsehen an.

      Ich lasse mich neben sie auf das Sofa fallen und ziehe Carolin auf meinen Schoß. Daniel reicht jedem ein Bier und setzt sich in den Sessel.

      „Und, alles in der Schule glattgelaufen?“, frage ich Ellen ohne Umschweife.

      Sofort brummt sie aufgebracht: „Ey, voll der Hammer! Michaela hat die Seiten gewechselt. Die ist jetzt scheinbar mit Julian zusammen.“

      „Scheiße!“, raune ich. Mir kommt sofort in den Sinn, dass sie schon hier bei Daniel auf dem Hof war. Weiß sie, dass Carolin hier wohnt?

      „Diese blöde Schlampe“, brumme ich aufgebracht. „Die wird ihm alles stecken, was er wissen will. Sie weiß immerhin, wo Daniel wohnt. Zumindest wohntest du damals noch nicht hier“, wende ich mich nachdenklich an Carolin. „Hoffentlich kann Julian nicht eins und eins zusammenzählen.“

      „Leider ist er viel klüger als ich“, antwortet Carolin nur.

      Wir trinken unser Bier und versuchen uns mit belanglosen Sachen von dem leidigen Thema abzubringen. Aber mir kommt immer wieder in den Sinn, was Michaela alles von uns weiß. Sie war sogar in der Villa. Und sie ist mehr als wütend auf mich, weil ich sie so abservierte, nachdem ich sie in meinem Bett hatte. Hoffentlich ist das jetzt keine Retourkutsche?

      Als ich später mit Carolin in unsere Wohnung gehe, ziehe ich sie im Wohnzimmer an mich und raune aufgebracht: „Das war echt ein blöder Fehler … an diesem Abend.“

      „Was?“, fragt sie und weiß nicht, was ich überhaupt meine.

      „Mich mit Michaela einzulassen. Das war so unnötig und blöd!“, knurre ich wütend über mich selbst. Ich war so lange so ein nichtsnutziges, hirnloses Individuum, dass ich es jetzt gar nicht fassen kann.

      „Das lässt sich nicht mehr ändern“, flüstert Carolin resigniert. „Ich habe an dem Abend auch Scheiß gemacht, den ich besser gelassen hätte.“

      „Ich frage besser nicht, von was du sprichst. Da Tim mit im Spiel war, kann es aber auf keinem Fall etwas Gutes gewesen sein“, brumme ich.

      Sie antwortet nicht und vergräbt sich tiefer in meinen Armen.

      Ich muss wieder daran denken, dass Julian sich nun immer in Carolins Nähe schleichen kann. „Wenn Julian mit Michaela zusammen ist, wird er bestimmt öfters an deiner Schule aufkreuzen“, sage ich nach einiger Zeit.

      „Das ist egal. Solange er mich in Ruhe lässt“, murmelt Carolin leise und beendet damit das Thema.

      Donnerstagabend sitzen wir alle vier in unserer Küche und Carolin telefoniert mit ihrem Vater. Er will scheinbar, dass Carolin zu Besuch nach Hause kommt.

      Ich schüttele darüber nur den Kopf. Carolin wird auf keinen Fall nach Hause fahren. Oder wenn, dann nur mit mir zusammen.