Werner Karl

Königin der Spiegelkrieger


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Zeit zur Verfügung steht.«

      »Zeit für was, Sétanta?«

      »Für die Befreiung unseres Landes. Was sonst, meine Königin?« Er schien wirklich überrascht zu sein, dass sie das nicht von selbst erkannt hatte.

      Oder er ist nur ein verdammt guter Schauspieler, dachte Arianrhod und so langsam fand sie Gefallen daran, ihn ein wenig zappeln zu lassen. Andererseits sehnte sie sich gerade das herbei, was er ihr sicher gleich vorschlagen würde.

       Oh, mein Túan, wenn ich dich nur bald wieder haben könnte.

      »Sicher, wir haben noch Winter«, fuhr er fort. »Und von den Römern dürften wir nicht nur deswegen vorerst Ruhe haben. Trotzdem sollten wir uns jetzt für das Frühjahr rüsten und unsere Armee weiter ausbauen. Die Kämpfe am gesamten Wall waren eine Sache. Aber das ganze Land bis hinunter an die Südküste ist eine andere. Und wie du weißt, meine Königin, es ist uns bislang nicht gelungen, andere Stämme der Cruithin mit unseren Truppen zu vereinen. Mehrere Versuche sind gescheitert, die meisten haben entweder Angst vor unseren Kriegern oder glauben nicht an die Meldungen unserer Siege.«

      Arianrhod bemerkte sehr wohl, dass er uns anstelle von dir gesagt hatte.

      Er ist vorsichtig. Sie nickte zustimmend, sowohl zu seinen Worten als auch zu ihren eigenen Gedanken.

      »Was schlägst du also vor, Druide? Hast du einen anderen Zauber, der uns bei unserem Krieg behilflich sein könnte?«

      Im gleichen Augenblick, als sie die Worte aussprach, erkannte sie ihren Fehler.

      Sétanta versteifte sich und sein Gesicht nahm unweigerlich einen stolzen Ausdruck an.

      »Ich habe viele Fähigkeiten, aber die Macht, über welche dein Mann verfügte, kann ich nicht heraufbeschwören. Dazu brauchen wir ihn schon selbst.« Den Rest ließ er ungesagt im Raum schweben, aber jeder wusste, was er meinte.

      »Seit der Sekunde, in der der Römer ihn hinterrücks ermordete, denke ich an nichts anderes mehr, Sétanta, das sei dir versichert«, sagte sie mit harter Stimme. »Aber immer wenn ich meine Spiegelkrieger betrachte, quält mich der Gedanke, dass an seiner statt zwei, drei oder mehr Túan vor mir stehen und mir ihre Liebe beteuern. Wie sollte ich mich da für einen entscheiden und die anderen abweisen? Wie würden diese sich verhalten, wenn sie mich mit einem von ihnen eng verbunden und tagtäglich sehen könnten und sie selbst – jeder Einzelne davon – eine unerfüllte Liebe in sich trüge? Wäre das nicht grausam? Würde das nicht zu Mord und noch mal Mord führen? Bruder an Bruder? Vielleicht sogar an seinem Kind?«

      Sétanta atmete erleichtert auf und bekam durch ihre Worte bestätigt, dass sie so gut wie nichts von Túan über die Wirkungsweise des Trankes erfahren haben konnte. Vielleicht ahnte sie dies oder jenes, aber wissen konnte sie nichts.

      Der Grund seiner Erleichterung blieb ihnen verborgen. Seine offen gezeigte gleiche Empfindung legten sie allerdings falsch aus und wieder erkannte er dies und fühlte insgeheim Freude über ihr Unwissen.

      »Nun, dann kann ich dir genau diese Angst nehmen, meine Königin. Ich kenne alle Auswirkungen des Trankes und kann dir versichern, nur diesen – deinen – Túan ein zweites Leben geben zu können.«

      Inga und Arianrhod waren verblüfft; das hatten sie nicht erwartet. Swidger bewegte sich unangenehm berührt und fühlte sich bei diesem Gespräch völlig fehl am Platz. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre trotz des Schneesturms nach draußen gegangen.

      »Woher kennst du die Wirkungen des Trankes? Ich habe dich bis wenige Wochen vor Túans Tod nicht gekannt und auch danach schien es mir nicht so, als würdest du oft mit ihm gesprochen haben. Hat er dir sein Geheimnis offenbart?«

      Arianrhod bezweifelte dies stark und erwartete irgendeine Lüge zu hören. Stattdessen erfuhr sie die Wahrheit und wieder einmal hatte sie den Eindruck, dass sie dieses Volk noch lange nicht wirklich als das ihre betrachten konnte.

      »Ich kannte Túans Meister, Kennaigh. Er und ich waren Freunde, viele Jahre, bevor wir beide alterten und er - ohne das ich je davon erfuhr - Túan als seinen Schüler aufnahm.«

      »Das erklärt nicht, woher du von dem Trank weißt«, wagte Inga einzuwerfen und erntete dafür von dem alten Druiden einen strafenden Blick. Trotzdem nickte er ihr zu.

      »Du hast recht. Aber ich war noch nicht fertig mit meiner Erklärung.« Ein zweiter strafender Blick traf sie und sie hielt ihm stand. »Kennaigh hatte sich in jungen Jahren auf dem Festland herumgetrieben, wie er es ausdrückte, und kam auf unsere Insel mit einer schweren Last beladen zurück. Wir beide hatten bei einem Treffen auf Ynys Môn über die Tafel mit dem Rezept diskutiert. Ich wollte schon damals seine Kraft nutzen und vielleicht wäre es dann nicht zu diesem Massaker gekommen. Kennaigh aber hatte zu viel Angst vor dem Trank und verriet mir weder das Rezept noch den Aufbewahrungsort der Tafel.«

      Das ist es!, durchfuhr es Arianrhod. Er hätte längst weitere Spiegelkrieger erweckt, wenn er die Tafel besitzen würde. Er weiß auch jetzt nicht, wo sie sich befindet! Und vielleicht denkt er sogar, dass ich sie haben könnte.

      »Es tut mir leid, Sétanta, auch ich weiß nicht, wo Túan die Tafel aufbewahrt hat. Und das Rezept des Trankes kenne ich ohnehin nicht, auch wenn ich viele Bestandteile gesehen habe, die er dafür verwendet hat.«

      Sie blickte zuerst zu Inga, dann zu Swidger und danach mit einem langen Blick auf den immer noch schlafenden Brannon. Auch er würde seinen Vater brauchen. Sie fasste einen Entschluss.

      »Also schön. Du bist dir völlig sicher, dass du mir meinen Túan mac Ruith wiedergeben kannst? Kein Spiegelbild?«

      Sétanta nickte nur.

      »Dann sag mir wie!«, befahl sie und wieder hörte jeder ihre Eisenhärte in der Stimme und die wenig versteckte Drohung darin.

      Seine steingrauen Augen blitzten und er sprach jedes Wort mit klarer Betonung aus.

      »Es darf nur ein Tropfen sein!«

      Um die Gruft standen einige Hundert Krieger und Kriegerinnen. Zuvorderst natürlich Maelchon mac Cean, Catriona maqq Horestiani und all die anderen wiederbelebten Fürsten und Clanchefs.

      In Windeseile hatte sich durch das ganze Winterlager des Heeres die Nachricht verbreitet, dass sie Túan mac Ruith, ihren Druiden, wieder aus der Gruft holen wollten. Das einzige, was die Ausbreitung der Nachricht behindert hatte, war der brusthohe Schnee gewesen, der das ganze Land blütenweiß bedeckte.

      Arianrhod, Inga, Swidger und selbstverständlich Sétanta waren allein in die Gruft gestiegen und hatten eine ganze Reihe von Fackeln an den Wänden entzündet. Die Luft in der Grabkammer war erfüllt von den Ausdünstungen der verdorbenen Speisen und Getränke, die man Túan für seine Reise in die Anderswelt mitgegeben hatte und die immer noch unberührt in ihren Gefäßen vergammelten. Niemand hatte es gewagt, sie durch frische zu ersetzen.

      Die Fackeln rußten ein wenig und fast alle waren für den Rauch dankbar, der ein wenig die Fäulnis der Lebensmittel überdeckte. Mit wenigen Handgriffen hatten Inga und Sétanta den Sarg geöffnet, das mit Runen bedeckte Leichentuch entfernt und mit einem Lappen und warmen Wasser die Schicht aus Staub und Reif auf dem Gesicht des Toten abgewaschen. Es war eiskalt in der Grube. Sein Haar hatte man schon bei der Beisetzung so gekämmt gehabt, dass die schwere Kopfwunde, welche ihm Trebius Servantus zugefügt hatte, nicht besonders ins Auge fiel. Bei einem oberflächlichen Blick hätte man meinen können, dass der Druide nur schlief.

      Vielleicht tut er das ja auch, überlegte Arianrhod und beobachtete jeden einzelnen Handgriff Sétantas.

      Túans Haare und Fingernägel waren ein wenig gewachsen, aber das geschah auch bei richtigen Toten.

      Sétanta blickte sie noch einmal fragend an, aber innerlich triumphierte er bereits. Er wusste, dass niemand die wahre Bedeutung der Worte erkennen würde, die er gleich in ein Ohr des Toten flüstern würde. Mit scheinbarer Ergebenheit wartete er Arianrhods stumme Erlaubnis ab und öffnete mit übertriebener