Nathan R. Corwyn

Keeva McCullen 3 - Invasion der Ghule


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wandte sich wieder dem Inspektor zu.

      „Sollen wir noch auf irgendetwas achten?“, fragte er.

      Edward Skeffington schüttelte den Kopf.

      „Nein, der Tatort ist komplett freigegeben. Nur aufräumen“, sagte er.

      Er trat ein paar Schritte zur Seite und sah anschließend den beiden Männern der Spezialreinigungsfirma dabei zu, wie sie die für ihre Arbeit notwendigen Gerätschaften in das Zimmer trugen. Ein makabrer Job, dachte er bei sich. Ständig hinter den Taten von Verbrechern aufzuräumen.

      Doch dann musste er unwillkürlich lächeln, denn ihm war bewusst geworden, dass er als Inspektor bei New Scotland Yard im Grunde ja auch nichts anderes tat. Auch wenn er für seine Tätigkeit keine Eiweißlöser, Kaltnebeldesinfektionsgeräte oder Ozongeneratoren benötigte...

      Er überließ die beiden Männer ihrer Arbeit und ging zur Treppe. Fast schon automatisch stieg er die Stufen in die oberen Stockwerke hinauf, um das Haus noch ein weiteres Mal zu durchsuchen. Sie hatten das in den vergangenen Wochen schon so oft getan – und waren nie auf irgendwelche Anzeichen für das Vorhandensein eines Tores aus dem Dämonenreich gestoßen.

      Liam McCullen, ein ehemals berühmter Dämonenjäger und seit vielen Jahren ein guter Freund von Edward Skeffington, hatte sich deswegen Sorgen gemacht. Edward jedoch hoffte, dass diese unbegründet waren. Sicher, in den letzten Wochen hatte es schon zweimal Dämonenalarm gegeben – aber deshalb musste man ja nicht gleich Rückschlüsse auf ein mögliches neues Portal aus der Hölle ziehen.

      Die Räume des Hauses waren verstaubt, überall lagen kaputte Möbel und Schutthaufen herum und einmal sah Edward sogar eine Ratte davon huschen - aber nichts von alledem war auf irgendeine Weise ungewöhnlich.

      Schließlich gelangte er zum Dachgeschoss und betrat den letzten großen Raum. Trübes Februarlicht fiel durch die kaputten Ziegel und beleuchtete die hintere Wand, an der einige Möchtegern-Graffiti-Künstler ihre Signaturen verewigt hatten. Mit einem Mal war Edwards Aufmerksamkeit jedoch geweckt. Er kniff die Augen zusammen und starrte auf die grob aufgesprühten Linien der bunten Buchstaben. War da nicht eine gewisse Unschärfe?

      Langsam trat er näher...

      *

      „Wie geht es dem Tor?“, fragte der Meister.

      Liekk-Baoth, Metamorph und oberster Berater des Erzdämons, las die altmodisch anmutende Skala des Gerätes ab, das er in seinen klauenartigen Fingern hielt.

      Er verzog sein von Falten durchzogenes Gesicht.

      „Noch immer recht schwach“, meinte er schließlich. „Auch wenn seine Kraft stetig zunimmt.“

      Der Erzdämon schnaubte gereizt.

      „Wenigstens nimmt sie zu. Das Versagen dieses unfähigen Höllenhundes hat den Zeitablauf meiner gesamten Planung durcheinandergebracht.“

      Liekk-Baoth sah seinen Meister neugierig an.

      „Darf ich fragen, von welcher Planung Ihr sprecht?“, sagte er und bemühte sich um einen unterwürfigen Ton. Die Laune des Erzdämons war heute nicht die beste.

      „Fragen darfst du schon – aber antworten werde ich nicht“, entgegnete dieser prompt.

      Der Gestaltwandler zuckte innerlich mit den Schultern. Einen Versuch war es wert, dachte er, und wandte sich wieder dem Portal zu.

      Die bläulich schimmernde, ovale Scheibe schwebte senkrecht über einem flachen Steinpodest in der kleinen Höhle. Ihr unterster Rand berührte den sandigen Boden nicht. Liekk-Baoth änderte die Einstellung seines Gerätes und hielt es nahe an das Tor. Dann las er das Ergebnis ab und nickte zufrieden.

      „Der Überdeckungszauber hat noch immer die volle Stärke.“

      Der Erzdämon sah ihn misstrauisch an.

      „Auf der anderen Seite kann man das Portal also nicht sehen?“, fragte er.

      „So gut wie nicht“, korrigierte Liekk-Baoth vorsichtig. Eigentlich sollte sein Meister das wissen. Aber er wirkte schon den ganzen Tag so, als suchte er nur nach einem Blitzableiter für seine schlechte Laune. Der alte Gestaltwandler machte sich innerlich darauf gefasst, dass wohl er derjenige war, der die volle Ladung abbekommen würde.

      „Auf der anderen Seite nimmt man lediglich eine gewisse Unschärfe der Struktur hinter dem Portal wahr“, erklärte er. „In einem kaum bevölkerten Gebiet käme das einer Unsichtbarkeit gleich. Aber mitten in einer Großstadt wie London gibt es natürlich immer ein gewisses Restrisiko...“

      „Es muss aber London sein!“, donnerte der Erzdämon, dem die unterschwellige Kritik in den Worten seines Beraters nicht entgangen war. „Du wirst schon noch früh genug erfahren, warum das so ist. Schließlich bist du ein Teil meiner Pläne!“

      Liekk-Baoth wollte gerade ein weiteres Mal nachhaken, welche Pläne sein Meister denn nun mit diesem Tor hätte und was für eine Rolle er dabei spielen sollte – als er eine Resonanz wahrnahm.

      Er hob die Hand, um den Erzdämon um Ruhe zu bitten, streckte den Hals vor und brachte sein Ohr so nahe wie möglich an das Portal.

      „Da ist jemand auf der anderen Seite“, flüsterte er erschrocken.

      Der Erzdämon war mit wenigen Schritten neben ihm.

      „Er darf das Tor auf keinen Fall enttarnen!“, zischte er wütend. „Ist es ein Dämonenjäger?“

      Liekk-Baoth konzentrierte sich.

      „Nein“, sagte er schließlich zögernd. „Ich spüre kein entsprechendes Echo. Wer auch immer da gerade um das Tor schleicht, er hat auf jeden Fall nicht das Ritual der Dämonenjäger durchgeführt.“

      Dieses Ritual, das die Ausbildung eines jeden Dämonenjägers – üblicherweise zu dessen achtzehntem Geburtstag – abschloss, bewirkte, dass der Jäger in der Lage war, Dämonen ohne weitere Hilfsmittel aufzuspüren. Allerdings wurde er dadurch für höhere Dämonen ebenfalls erkennbar – doch Liekk-Baoth konnte in diesem Moment keine Schwingungen fühlen, die darauf hindeuten würden.

      Es gab natürlich immer noch die Möglichkeit, dass der Jäger ein starkes Schutzamulett trug und sich überdies noch mit diversen Zaubern abgeschirmt hatte – aber das sagte er seinem Meister nicht. Dann könnte man ja gleich eine scharfe Handgranate in einen Vulkan werfen, der kurz vor einem Ausbruch stand.

      Stattdessen brachte er sich lieber in eine sichere Position vor dem Tor und konzentrierte sich auf die geistigen Vibrationen, die er von der anderen Seite her wahrnahm.

      „Was machst du denn jetzt schon wieder?“, grollte sein Meister.

      „Wenn dieser neugierige Mensch dem Tor zu nahe kommt“, entgegnete Liekk-Baoth mit einem grausamen Lächeln. „Dann schicke ich einen tödlichen Energiestoß hindurch – und man wird nur noch einen Haufen Asche von ihm finden...“

      *

      Edward blinzelte erneut. Es gelang ihm einfach nicht, die aufgesprühten Schriftzüge an der Wand scharf zu erkennen.

      „Verdammt“, murmelte er. Schon seit einer Weile befürchtete er, demnächst eine Brille zu benötigen.

      Er ging noch einen Schritt näher in Richtung Wand.

      Er dachte daran zurück, wie er bei seiner letzten Augenkontrolle vor ein paar Monaten die immer kleiner werdende Buchstabenreihen hatte vorlesen müssen. Damals konnte er lediglich die untersten Zeilen nicht mehr fehlerfrei erkennen und hatte sich einreden können, dass alles noch im grünen Bereich sei – doch jetzt waren bereits die Konturen der einige dutzend Zentimeter großen Zeichen vor ihm unscharf, auch wenn er die Buchstaben selbst natürlich noch entziffern konnte.

      Das beunruhigte ihn, denn in letzter Zeit hatte er sich immer häufiger dabei ertappt, wie er Kleingedrucktes möglichst weit von sich entfernt hielt. Die vorher unscharfen kleinen Buchstaben wurden dadurch