Dieter Hentzschel

Achterbahn in die Hölle...


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mich dieses Ereignis nie besonders interessiert. Es lag schon länger zurück.

      Sollte ich meinen Vater über alles informieren? Ich entschied mich dagegen. Sein hoher Blutdruck würde nicht besser werden. Außerdem, mein Vater war ein rational denkender Mensch. Er würde an meinem Verstand zweifeln. Je näher der Zeitpunkt meines Einsatzes rückte umso nervöser wurde ich. Also beschloß ich mir den Ort des Geschehens in Ruhe anzusehen. Das hätte ich schon längst tun sollen. Aber eine unterschwellige Angst hatte mich davon abgehalten. Ich nahm die U-Bahn und sah mir den geplanten Tatort an. Die ersten Straßensperren wurden bereits entlang der Gehwege aufgestellt. Und dies war nicht einfach ein Straßenabschnitt sondern eine Art großes Rondell in dessen Mitte eine Reiterstatue stand. Die Wagen bzw. Kutschenkolonne mußte dieses Hindernis im Halbkreis umfahren. Der Zug würde aus nördlicher Richtung kommen, und nach etwa fünfhundert Metern einen weiteren Platz umrunden. Dann ging es auf der gegenüberliegenden Seite zurück.

      Die Massen auf der anderen Straßenseite sollten auch in den Genuß kommen die Premierministerin aus nächster Nähe zu sehen. Und bei der Rückfahrt sollte es passieren. Genau auf der anderen Seite der Reiterstatue. Die beiden unscheinbaren jungen Leute würden mit Sprengstoffgürteln unter der Kleidung möglichst unauffällig und erst im letzten Moment aus dem nur fünfzig Meter entfernten U-Bahnschacht auftauchen. Damit die Gürtel unter der Kleidung nicht auffielen würden sie besonders legeren, modischen Fummel tragen. War dann die offene Kutsche genau auf Höhe der Reiterstatue planten Sie nach vorn zu stürzen, die vor ihnen stehenden Leute gewaltsam beiseite stoßen, über das etwa einen Meter zwanzig hohe Absperrgitter hechten und sich direkt auf der ihnen zugewandte Seite der Kutsche platzieren. Ohne zu zögern sollten sie die Sprengladungen hochgehen lassen. Keine Überlebenschance für die Premierministerin. Und für die Attentäter. Wenn ich nicht vorher eingriff. Bei diesen Gedanken wurde mir die Unmöglichkeit meines Auftrages bewußt.

      In der letzten Nacht vor meinem Einsatz schlief ich kaum. Wälzte mich im Bett hin-und her. Was für ein Wahnsinn. Und da kamen wieder die Zweifel ob diese zwei unschuldigen jungen Leute wirklich Terroristen waren. Dabei fiel mir der Anschlag vor einem Jahr in einer amerikanischen Großstadt ein. Vielleicht hatte ich alles nur in einer Art Wachtraum erlebt. Und doch sah ich wieder glasglar vor mir wie im diffusen Licht ein einäugiger Pickup auf mich zukam. Hörte die befehlsgewohnte Stimme des Mannes der mich instruiert hatte. Ich stand auf um etwas zu trinken. Unter dem Oberteil meines Schlafanzuges war ich schweißnass. Als ich wieder in mein Bett kroch reifte in mir der Entschluß einfach nicht auf diese Party zu gehen. Mein Gedankenapparat gewährte mir daraufhin gnädige Ruhe.

      Das erste was mir am nächsten Morgen einfiel waren die Worte: "DANN WIRST DU DEINEN VATER NIE

      WIEDERSEHEN."

      Ich sah auf die Uhr. Siebenuhrdreißig. Um vierzehn Uhr sollte die Parade starten. Heute war Sonntag. Und ich mußte meinen Beobachtungsposten mindestens zwei Stunden vorher einnehmen. Mein Magen rumorte. Außer einer Tasse Kaffee konnte ich nichts zu mir nehmen. Obwohl der Kühlschrank meiner Junggesellenbude gut gefüllt war. Sonntags ein paar eingefrorenen Brötchen in der Mikrowelle rösten das war mein Ritual. Wenn ich nur an Essen dachte rebellierte mein Körper. Ich sah aus dem Fenster. Paradewetter. Blauer Himmel. Wahrscheinlich um die Mittagzeit dreißig Grad. Der Schweiß brach mir jetzt schon aus. Also duschte ich so kalt wie möglich und zog dann meine Jeans, ein T-Shirt und bequeme Joggingschuhe an.

      Die Unsicherheit nagte mir das Gehirn leer. Was wenn ich beim Ablauf des Geschehens nicht die Hilfe bekam die ich brauchte. Doch sie hatten mir abgeraten vorher zur Polizei zu gehen. Dort würde man mich unter Umständen als Spinner und Wichtigtuer abtun.

      Die U-Bahn brachte mich zu der dem Tatort am nächsten liegenden Station. Während der Fahrt dorthin bekam ich neue Ängste. Was, wenn mich die beiden Attentäter erkannten? Angeblich waren es ja nur Kopien gewesen die mich in dem Bunker gesehen hatten. Kopien? Aber sie waren doch wirklich aus dem Wagen der Achter-

      bahn verschwunden? Ich wußte nicht mehr was ich denken sollte. Als ich um die Mittagszeit herum ins grelle Sonnenlicht trat standen bereits die ersten Schaulustigen auf beiden Straßenseiten. Langsam schlenderte ich in Richtung der Reiterstatue. Ich blickte an den Häuserfassaden hoch. Die Sonne stand um diese Zeit fast senkrecht über der Straße. Nirgendwo Schatten. Und natürlich hatte ich meine Sonnenbrille vergessen. Das grelle Licht würde meine Aufgabe erschweren.

      An meinem späteren Zielort blieb ich kurz stehen. Ich sah mich unter den Wartenden um, blickte zur Reiter-statue. Natürlich waren die beiden Verdächtigen noch nicht da. Sie würden sich erst kurz vor dem Attentat unter die dann dichte Menge mischen. Vermutlich kamen sie aus der gleichen U-Bahnstation die ich vorhin verlassen hatte. Während ich langsam weiterging sah ich mir die Häuserfassaden auf beiden Seiten der Straße genauer an. Ich entdeckte die ein oder andere Überwachungskamera. Aber ob sie etwas verhindern konnten, daran zweifelte ich. Eher waren sie für die spätere Spurenauswertung geeignet. Doch die beiden jungen Leute konnte das nicht mehr stören.

      Unwillkürlich schüttelte ich bei dem Gedanken an diese zwei Menschen den Kopf. Was ging in Ihnen vor? Und da kam mir eine Idee. Vielleicht hatten die Fremden die richtige Premierministerin gegen einen Klon aus ihren Reihen ausgetauscht. Und wußten die beiden Attentäter das etwa? Handelten vielleicht im Auftrag der Regierung? Dann hatte ich ganz schlechte Karten. Bei diesem Gedanken kam ich erneut ins grübeln. Warum sollte die Regierung versuchen an einem öffentlichen Platz quasi eine Hinrichtung zu inszenieren? Das konnte man doch auch unauffälliger abwickeln. Halt! Vielleicht hatte sich die falsche Premierministerin in ihrem Palast bereits eingeigelt, umgeben von ihresgleichen. Und da war noch eine Frage: Was war bei diesem Szenario aus der richtigen Premierministerin geworden? Und auf welche Seite sollte ich nun mein handeln stellen?

      Die Uhr rückte unaufhaltsam vor. Mehrmals war ich jetzt schon einen guten halben Kilometer in Richtung Startpunkt der Parade gelaufen, um dann wieder meinen Zielort anzusteuern. Die Menschenmenge wurde immer dichter.

      Ich sah auf die Uhr. Kurz vor vierzehn Uhr. Ich vernahm plötzlich Jubel. Er kam aus Richtung das Startpunktes. Reiter. Pferde waren bereits zu sehen. Eine Kapelle. Ein Trommlersolo. Bald würden sie die Statue auf der anderen Straßenseite erreichen. Und dann blieb nicht mehr viel Zeit. Die Kehrtwende des Zuges erfolgte dann nach etwa fünfhundert Metern. Ich stellte mich in die hinterste Reihe. Der Gehweg war jetzt so voll, dass ich mit dem Rücken fast zur Hauswand hinter mir stand. Schweiß brach mir aus. Vorsichtig reckte ich den Kopf um über die vor mir Stehenden hinwegzusehen. Manche Väter hatten Kinder auf ihren Schultern. Das erschwerte meine Aufgabe. Vorsichtig sah ich mich um. Nichts von den jungen Leuten zu sehen. Sie konnten eigentlich nur an den Hauswänden entlang zu ihrem Zielort gelangen. Dabei würden sie mich entdecken. Ich verlegte meinen Standort einige Meter nach rechts. Gegenüber kam gerade die Kutsche der Premierminsisterin vorbei. Jubel brandete auf. Ich schob meinen Kopf zwischen zwei Vordermänner. So konnten mich die Attentäter nicht erkennen.

      Immer wieder schickte ich verstohlene Blicke in Richtung der U-Bahnstation. Nach weiteren zehn Minuten reckte ich den Kopf und sah die Parade zurückkommen. Auf meiner Seite der Straße. Da die Straße sehr breit war gab es diese Hin-und Rückfahrt. Schließlich sollten die Wartenden die Premierministerin ganz nah erleben können. Als der Zug vielleicht noch dreißig Meter entfernt war hielt ich es vor Anspannung kaum noch aus. Ich begann zu zittern. Der Impuls abzuhauen wurde übermächtig. Was ging mich das an?

      In diesem Augenblick sah ich die beiden. Ich hatte sie zu spät entdeckt um dem Plan zu folgen. Keine Zeit mehr loszuspurten. Sie waren schon am Ort des Geschehens. Und tatsächlich. Ihre Kleidung war sehr flippig. Ich kroch förmlich zwischen ein paar Zuschauer und beobachtete sie. Zielstrebig kamen sie auf mich zu und würden in wenigen Sekunden auf Höhe der Reiterstatue sein. Längst hätte ich mich einem der Uniformierten in meiner Nähe anvertrauen können. Dazu war es zu spät. Was sollte ich tun? Meine Gedanken rasten. Ich dachte an meinen Vater. Tu etwas!

      Und dann nahmen die Ereignisse eine überraschende Wendung. Mit weit aufgerissenen Augen und verzerrtem Mund verfolgte ich das unglaubliche Geschehen. Die offene Kutsche war nur noch wenige Meter entfernt. Die beiden Attentäter rissen gewaltsam ein Bresche in die wartenden Zuschauer. Sie wollten direkt vor die Kutsche gelangen. Ich vergaß völlig, dass ich bei einer Explosion inmitten