Anaïs Goutier

Isabelle und die Bestie


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Hof und sein gesamtes Vermögen.

      Das Einzige, das ihm blieb, war ein kleines Landgut in einer abgelegenen Gegend. Es war nicht viel mehr als ein Bauernhaus mit bescheidenen Ländereien und weit entfernt von der nächsten Stadt.

      Besonders die beiden älteren Töchter waren bestürzt und schrecklich unglücklich, aus der Stadt fortgehen und ihr gewohntes Leben hinter sich lassen zu müssen. Nun waren sie bereit, Zugeständnisse bei der Wahl ihrer Ehemänner zu machen, und vielleicht doch einen wohlhabenden Kaufmann oder einen hohen Beamten in Betracht zu ziehen. Doch plötzlich waren all die heiratswilligen Herren verschwunden und sie spotteten über die hochnäsigen Kaufmannstöchter, wie sie zuvor ihre Verehrer verspottet hatten. Auch ihre Freundinnen aus reichem Haus und von adligem Geblüt wollten plötzlich nichts mehr von den verarmten Krämertöchtern wissen, wie man sie jetzt verächtlich nannte.

      Nur mit der Jüngsten, Isabelle, hatten die Menschen Mitleid.

      »Sie war immer so höflich und bescheiden und so gütig zu den armen Leuten«, sagte man über sie.

      Und noch immer fanden sich wohlhabende und blaublütige Bewerber, die bereit waren, sie zu heiraten, obwohl sie nun bitterarm war und keine Mitgift von ihrem Vater erhalten würde.

      Doch Isabelle lehnte alle Bewerber ab, um ihrem armen Vater beizustehen und ihm auf dem Land den Haushalt zu führen.

      Von ihren zahlreichen Bediensteten war der Familie nur ein Knecht geblieben, der dem Vater half, die kärglichen Felder zu bestellen und es gab keine Mamsell und keine Mädchen mehr, die sich um die Küche, die Wäsche und den sonstigen Haushalt gekümmert hätten. Und da die älteren Kaufmannstöchter ihrem verlorenen Stadtleben mit all seinen Vergnügungen nachtrauerten und nie gelernt hatten, ihre zarten Hände zur Hausarbeit zu gebrauchen, war es allein die Jüngste, die sich von Früh bis Spät mit Kochen, Putzen und Waschen abmühte. Auch sie war die schwere Arbeit nicht gewohnt, aber sie war der Köchin, der Mamsell und den Mädchen daheim in der Stadt hin und wieder zur Hand gegangen und besaß daher einige Kenntnisse und keine zwei linken Hände wie ihre eitlen Schwestern. Die vertrieben sich die Zeit mit Wehklagen und damit, über Isabelle zu spotten, die sich nie über ihr Los und das verlorene Vermögen beklagte.

      »Unsere liebe Schwester muss doch entweder vollkommen anspruchslos oder sehr einfältig sein, dass sie sich so klaglos in dieses erbärmliche Schicksal findet«, sagten die boshaften Schwestern. »Sie hat es nicht besser verdient, als die Magd zu spielen, wo sie die Aufgaben einer Magd doch so gut beherrscht.«

      Natürlich war es auch Isabelle nicht einerlei, dass sie ihr Haus, ihr Vermögen und ihr Ansehen verloren hatten, doch was hätte es genützt, wie ihre Schwestern in einem fort darüber zu klagen? Sie wollte ihrem gramgebeugten Vater eine Hilfe sein und ihn nicht noch mit Gejammer belasten. Man musste versuchen, das Beste aus der elenden Lage zu machen. Und konnte nicht auch ein bescheidenes Leben ein glückliches Leben sein?

      War die harte Arbeit des Tages getan, spielte sie Klavier oder las zum wiederholten Mal eines der wenigen Bücher, die sie vor den Flammen hatte retten können. Dann vergaß sie alles um sich herum und war mit der Welt versöhnt.

      Auch sie träumte gewiss von einem besseren Leben für sich und ihre Familie. Die alten Knochen ihres Vaters, der sein Vermögen am Schreibtisch und auf Reisen gemacht hatte, waren nicht geschaffen für die harte Feldarbeit und es tat ihr leid, ihre eitlen Schwestern in abgetragenen Kleidern zu sehen, denen man ansah, dass sie schon mehrfach gestopft und geflickt worden waren.

      Der Kaufmann war seiner jüngsten Tochter dankbar für ihre Unterstützung und ihr selbstloses Handeln. Er wusste genau, dass es allein ihr zu verdanken war, dass am Abend, wenn er mit dem Knecht hungrig und frierend vom Feld heimkam, ein wärmendes Feuer im Kamin brannte und eine wohlschmeckende Mahlzeit bereitstand. Ihm entging nicht, dass seine älteren Töchter kaum einen Finger rührten und weder willens noch fähig waren, Isabelle zur Hand zu gehen. Doch ganz gleich, wie oft er sie ermahnte, blieben sie dabei, nicht für derart profane Tätigkeiten geschaffen zu sein und wenn sie sich doch einmal dazu herabließen, eine kleine Arbeit zu übernehmen, so verursachten sie einen Schaden, den zu beheben die doppelte Zeit beanspruchte.

      Dabei blieb seine liebe Belle immer gefasst und obwohl sie so hart zu arbeiten hatte, schien das Landleben sie nur noch schöner und liebreizender zu machen. Wenn eine seiner Töchter ein besseres Leben verdient hatte, dann seine kluge und bescheidene Belle.

      Und dann eines Tages erhielt der Kaufmann Nachricht, dass eines seiner Handelsschiffe, das nach einem furchtbaren Sturm als vermisst gegolten hatte und von dem man annahm, dass es gesunken war, nach langer Irrfahrt glücklich in seinem Heimathafen angekommen sei.

      Würde sich die Nachricht als wahr herausstellen und die kostbare Ladung des Schiffes unversehrt sein, so war er wieder ein vermögender Mann und in der Lage sein Geschäft auf diesem Grundstock neu aufzubauen.

      Ehe der Kaufmann am nächsten Tag eilig und wohlgemut abreisen konnte, um sich vor Ort selbst von der Richtigkeit der Meldung zu überzeugen und alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, sah er sich von seinen Töchtern umringt, die die Aussicht entzückte, nun hoffentlich bald ihr gewohntes Leben in der Stadt wieder aufnehmen zu können.

      »Wir brauchen Kleider, Düfte und Schmuck nach der neuesten Mode, um nicht wie Bettler heimzukehren«, sagten sie zu ihrem Vater. »Wenn du in die Stadt fährst, musst du uns all das mitbringen. Je prächtiger und exotischer desto besser, denn so wird man glauben, wir seien nur auf Reisen gewesen und uns um unser aufregendes Leben beneiden.«

      Der Vater seufzte und nickte ergeben unter dem Ansturm der immer neuen Wünsche seiner älteren Töchter.

      »Und du, Belle?«, fragte er schließlich mit Schweißperlen auf der Stirn, denn seine Jüngste hatte bislang nur still dabeigestanden. »Hast du denn keinen Wunsch, mein liebes Kind?«

      »Mein größter Wunsch ist, dass die Nachricht wahr ist und du glücklich und gesund und als reicher Mann von deiner Reise heimkehren wirst«, sagte Isabelle und ihre Schwestern verdrehten verächtlich die Augen.

      »Ja, das wünsche ich mir auch«, sagte der Kaufmann und griff ihre Hand, um sie zärtlich zu drücken. »Trotzdem möchte ich auch dir eine Freude machen und dir etwas Schönes aus der Stadt mitbringen, denn du hast mehr erduldet und geleistet als deine Schwestern zusammen.«

      Die Schwestern verzogen ihre Gesichter zu hässlichen, missgünstigen Grimassen und Isabelle wollte sie nicht noch mehr gegen sich aufbringen, indem sie sich allzu genügsam und bescheiden zeigte.

      »Wenn du mir eine Freude machen willst, dann bringe mir eine Rose mit, denn unseren Rosengarten vermisse ich hier auf dem Land am meisten. So sehr ich mich auch bemühe, wollen sie auf dem Boden hier nicht gedeihen.«

      Isabelle hielt es für einen klugen und bescheidenen Wunsch. Sie liebte die Rosen und ihren köstlichen Duft wirklich sehr und zugleich würde es ihren Vater weder zu viel Mühe noch zu viel Geld kosten, ihr eine Rose zu kaufen. Würde er nämlich die Wünsche ihrer Schwestern allesamt erfüllen wollen, so bliebe von dem wiedererlangten Vermögen wohl kaum etwas übrig.

      Die drei Schwestern winkten zum Abschied, als der Kaufmann in seinen guten alten Reisemantel gehüllt auf dem einzigen Pferd, das ihm geblieben war, von dannen ritt.

       ***

      Tatsächlich war sein Schiff glücklich heimgekehrt, doch nur mit einem kleinen Teil seiner Waren. Die exotischen Lebensmittel waren auf der langen Reise verdorben und mit einem anderen Teil der Ladung hatte die Besatzung selbst Handel treiben müssen, um sich ihr Leben und die abenteuerliche Heimreise zu erkaufen. Was übrig geblieben war, genügte kaum, um die ausstehenden Schulden bei seinen Handelspartnern und Geldgebern zu begleichen und so musste der Kaufmann nach harten und zähen Verhandlungen ebenso mittellos heimkehren, wie er sich auf die Reise gemacht hatte.

      Statt in ordentlichen Gasthöfen mit hübschen Gästezimmern abzusteigen, verbrachte er die Nächte erneut in schäbigen Spelunken auf schlichten Heubetten und aß am Abend eine karge Brotsuppe anstelle eines schönen Bratens. Obwohl er die Enttäuschung seiner Töchter fürchtete und sich der schlechten Nachrichten beinahe