Thomas Helm

Ost-wärts


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Stimme mit.

      Bruhns bemerkte natürlich die Reaktion der beiden Genossen. Er lehnte sich zurück und deutete auf den Computer. »Viel zu wenige Leute die Verantwortung ausüben müssen, meine ich, können bisher überhaupt mit einem solchen Rechner umgehen!« Das klang recht generös und er schüttelte dabei mit gespielter Entrüstung den Kopf. »Die meisten die damit arbeiten sollten, wurden noch gar nicht hieran ausgebildet. Das liegt aber vor allem daran, dass bis jetzt viel zu wenig Rechner in den Betrieben stehen. Doch das soll sich ja bald ändern. Das zumindest haben schließlich die Genossen im ZK verkündet!«, ergänzte er mit einem gewissen Stolz in der Stimme.

      Als der Nadeldrucker sein nerviges Gezirpe beendet hatte, schaute er den Bericht noch einmal durch. Anschließend nahm er die großformatige Diskette aus dem Laufwerk und kontrollierte zusätzlich den Speicher. Damit das geheime Dokument nicht doch nochmals vorhanden war. Mit seiner Überprüfung schien er zufrieden, fuhr den Rechner daraufhin herunter.

      Inzwischen hatten Kaulbach und Brade die verworfenen Textseiten auf Bruhns Anweisung hin in kleine Fetzchen zerrissen.

      Diese ließ er in seiner Hosentasche verschwinden. Das Protokoll steckte er in einen Briefumschlag, verschloss ihn mit viel Spucke, siegelte ihn und drückte noch einen Stempel darauf. Das solcherart zusätzlich mit dem Schriftzug »Kurierpost« vorbereitete Kuvert verstaute er in seiner Jacke. »Danke, Genossen!«, tönte er schließlich mit einem fast feierlichen Pathos. »Damit ist unser Kampfauftrag erfüllt. Ich danke euch! Am Donnerstag fliege ich nach Berlin und werde eure Leistungen im Ministerium natürlich ins rechte Licht rücken!« Er schüttelte Brade und Kaulbach die Hand, wobei er tief im Inneren sogar ein gewisses Hochgefühl verspürte.

      Beim Verlassen des Raumes löschten sie die Beleuchtung, Bruhns verschloss die Tür. Sie polterten den Gang zum Ausgang hin und schalteten auch dort das Deckenlicht aus. Daraufhin traten sie hinaus auf den vereisten Weg und schlossen die Außentür ab.

      In der dunklen Baracke herrschte Stille.

      Stille?

      Nein, nicht ganz! In der hinteren Kabine der Herrentoilette stieß jemand den angehaltenen Atem aus.

      Der Lauscher an der Wand – dachte Justus Faber und öffnete leise die Tür der Toilettenkabine.

      Gegenüber oberhalb der Pissbecken hatte er die vergangene halbe Stunde sein Ohr gegen die Wand gepresst. Um den Gesprächen im dahinter liegenden Büroraum zu lauschen, hielt er tapfer in dieser verqueren Haltung aus.

      Kurz zuvor bekam er fast einen Herzkasper.

      Als einer von den Dreien offenbar zur Kontrolle überraschend die Tür vom Toilettenraum vom Gang her aufriss. Aber glücklicherweise warf er sie gleich wieder zu, ohne in den Kabinen nachzuschauen.

      Fabers Atem hatte sich längst beruhigt. Ein wenig Licht von der Außenbeleuchtung fiel durch das weiß gestrichene Fenster herein. Kümmerlich erhellte es den Toilettenraum, den er nun verließ.

      Vorsichtig, um nirgendwo anzustoßen, tastete er sich durch den dunklen Flur entlang zur Ausgangstür. Er öffnete das Schloss mit einem Generalschlüssel und trat aus der Baracke heraus. Kälte schlug ihm entgegen. Aufmerksam schaute sich um.

      Eine grimmige Genugtuung stieg in ihm auf und mit einem gewissen Hochgefühl marschierte er zu den Wohnunterkünften, die von den Mitarbeitern des Generallieferanten belegt waren.

      Auf seinem Zimmer angelangt, hing er die Jacke am Schrank auf und die Schapka auf den Haken.

      Daraufhin zog er umgehend ein Resümee aus dem soeben Erlebten. Jedoch erst, nachdem er sich einen großen Wodka und eine Zigarette genehmigt hatte.

      Bereits dreimal in den vergangenen Monaten hatte er die vier Heimlichtuer schon beobachtete. Und zwar immer, wenn sie zu später Stunde in der Bürobaracke der Baustellenleitung verschwanden. Das ergab sich zufällig, da er stets um diese Zeit seine abendliche Kontrollrunde lief.

      Er hätte kaum Anstoß genommen, wenn zu dieser Zeit vier Mitarbeiter des Generallieferanten in diese Bürobaracke gegangen wären. Doch von den Vieren arbeitete nur einer beim GL. Nämlich Bruhns.

      Die anderen waren bei verschiedenen anderen Betrieben und Gewerken beschäftigt. Und das eben machte ihn als Sicherheitschef stutzig!

      Was trieben die Burschen dort? In dieser Baracke und nach Feierabend? Im Wohnlager gab es doch genügend Räume für Kollegen, die einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung nachgehen wollten.

      Er hätte auch einen von den Vieren fragen können. Eine gewisse Vermutung hielt ihn jedoch davon ab. Daher postierte er sich am vergangenen und am heutigen Montagabend in eben dieser Baracke. Denn jetzt musste er der Sache endgültig auf den Grund gehen!

      In der vorigen Woche konnte er nach einer knappen Stunde unverrichteter Dinge wieder abziehen.

      Doch heute fühlte sich Faber wie ein kleiner Lottogewinner.

      Volltreffer!

      Aber was hatte das von ihm belauschte Gespräch an Erkenntnissen gebracht?

      Zum einen verstand sich das Quartett als eine »Gruppe«. Das hörte er ganz deutlich. Deren Zweck schien die gemeinsame Arbeit an einer bestimmten Aufgabe zu sein. Und wie Bruhns vorhin faselte erfüllten sie dabei einen »Kampfauftrag«.

      Ihre Wortwahl jedoch ließ in Faber einen unguten Verdacht aufkommen.

      War die Gruppe etwa Teil einer speziellen Organisation?

      Kampfgruppe und NVA schieden wohl aus. Die gab es hier fernab der Heimat nicht.

      Da blieb nur noch die Firma übrig!

      So weit, so gut, grübelte Faber. Diese Typen agierten also im Auftrag der Staatssicherheit! Aber was für eine Aufgabe hatten die Vier ausgeführt? Der Stimme nach war es dieser Brade, der von einer »Sollbruchwand« faselte.

      Sollbruchwände oder auch Sollbruchstellen diese Begriffe waren Faber natürlich geläufig. Man brachte sie in massive Wände ein, um sie im Notfall beispielsweise bei einem Brand als Fluchtweg durchbrechen zu können.

      Der Leiter für Sicherheit füllte sein leeres Glas. Er trank einen Schluck und brannte sich eine weitere »Cabinet« an. Nachdenklich schob er einige Tabakkrümel, die aus der Zigarettenpackung heraus gefallenen waren mit dem kleinen Finger auf der Tischdecke zusammen.

      Nein! Dass alles ergab für ihn keinen Sinn! In den Objekten auf dem Industriebaufeld und bei den Verdichterhallen wurden eine Vielzahl Sollbruchstellen eingebracht.

      Das erforderten schon die gesetzlichen Bestimmungen! Für Bauwerke, in denen Brände ausbrechen konnten, waren solche Baumaßnahmen sogar vorgeschrieben.

      Wozu also diese Geheimniskrämerei? Und um was handelte es sich bei diesem »Einbau«, von dem sie sprachen?

      Faber schüttelte den Kopf und grinste. Denn zumindest wohin das erstellte Protokoll gebracht werden sollte, war offenkundig!

      Was sagte Bruhns? – »Ministerium«! So, wie er von seiner Seite aus das Verhalten des Quartetts beurteilen konnte roch das alles nach Konspiration.

      Nun ja. Für Faber war diese Materie nicht fremd.

      Schließlich kannte er einige dieser Spielregeln. Die zwölf Jahre als Berufsunteroffizier die er im »Wachregiment« mit besonderen Aufgaben abgeleistet hatte, brachten auch auf diesem Gebiet einschlägige Erfahrungen mit sich.

      Was aber war hier und seit wann vor sich gegangen? Heimlich und im Verborgenen!

      Das von ihm belauschte Quartett schien auf zwei Ebenen zu arbeiten. Zum einen gingen sie offiziell ihrer eigentlichen Tätigkeit für ihren Delegierungsbetrieb nach. Dabei fielen sie in der Menge der Mitarbeiter nicht weiter auf.

      Zum anderen aber taten sie etwas, das nicht für jedermanns Augen bestimmt war. Vermutlich arbeiteten sie im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit.

       Dazu hatten sie heute einen Abschlussbericht erstellt. Bruhns würde diese Unterlagen am nächsten Donnerstag ins Ministerium nach Berlin mitnehmen. OK. Die ganze