Ha-Jo Gorny

Quallen, Bimm und Alemannia


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weil sie sich durch eine Verbindung mit Frankfurt bessere Geschäfte erhofften.

      Die ersten Drohungen an das Konsortium kamen aus Stuttgart, erst später aus Berlin, gepaart mit der Ermahnung, sich wieder dem Bundesland und dem Bundesrecht zu unterstellen. Das Konsortium bestand aus extrem flinken und habgierigen Leuten, die sofort mit neu geschaffenen Polizeikräften das Regierungspräsidium in Karlsruhe besetzen und eine Woche später auch das in Freiburg. Die Baden-Württembergische Polizei wurde darauf, soweit noch vorhanden, in die neu geschaffene integriert, beträchtliche Teile des Landesverfassungsschutzes liefen zum besser bezahlenden Konsortium über. Da von der Bundesregierung nichts Verwertbares sondern nur Chaos produziert wurde, verselbständigten sich in Deutschland immer mehr Landstriche. Die Destabilisierung der Demokratie griff auch europaweit auf andere Länder über, die Zentralregierungen wurden nicht mehr ernst genommen.

      Bald war die Idee vom Zoll geboren, die Politik des Konsortiums bestand darin möglichst viel Geld zu verdienen, Geld verdienen war alles, Natur-Umwelt und Menschen waren nichts. Die Zeit war wenig zimperlich, Moral nicht angesagt, christliche Werte vergessen. Bei Karlsruhe stand ein riesiger, orangegelb angestrichener Betonbunker, in welchem seit 150 Jahren die Brennelemente aufbewahrt wurden, die während der Atomzeit in Baden-Württemberg angefallen waren. Diese alten Brennstäbe waren ein begehrtes Handelsgut und das gewissenlose und habgierige Konsortium befriedigte ohne Wissen der Bevölkerung die Nachfrage.

      Als das Geschäft bekannt wurde, protestierten andere reiche Leute des Landes und nutzten die weltweite Empörung, um das Konsortium abzusetzen. Der Protest der Reichen richtete sich aber nicht dagegen, weil das hoch radioaktive Material in verantwortungslose Hände geriet. Die Herrschaften protestierten vielmehr dagegen, weil die Einnahmen aus dem Brennelemente-Verkauf in den Taschen des Konsortiums verschwanden. Ihrer Meinung nach hätte es in die Staatskasse von Alemannia fließen müssen, welche noch einzurichten war. Das gestürzte Konsortium wurde durch ein Syndikat ersetzt, das aus den sieben Reichsten Leuten des Landes bestand. Diese Sieben wurden jedes Jahr neu ermittelt, so dass auch mal neue Gesichter zum Zuge kamen. Diese regierenden Sieben beendeten, nach internationalen Protesten, das Geschäft mit den Brennelementen, ersannen aber viele neue Geschäftszweige, unter anderem das Geschäft mit den Sklaven.

      An einem Montagmorgen im März Anfang des 25. Jahrhunderts machte Halmschor Drohsdal eine Bekanntschaft, die ihn auf Jahre beschäftigen sollte. Das Syndikat regierte seit über 110 Jahre sehr erfolgreich das kleine Land am Oberrhein und Halmschor, der nach dem Willen seiner Eltern eigentlich Halms-Chor gerufen werden sollte, war ein Angestellter des Syndikats. Er war 32 Jahre alt, hatte eine Frau und mit ihr einen siebenjährigen Sohn. Körperlich endsprach Halmschor dem Landesdurchschnitt, 160 cm groß, 68 Kilo schwer, wie die Meisten leicht übergewichtig und er war blond. Seine Frau Marlesa, sechs Zentimeter kleiner, zehn Kilo leichter, dunkelblond, entsprach auch dem Landesdurchschnitt und könnte vom Aussehen her seine Schwester sein. Aber Halmschor Drohsdal hatte eine überdurchschnittlich gut bezahlte Beschäftigung, denn er war Geheimnisträger.

      Sein Sohn Sarus, der seit dem 2. Januar die erste Klasse besuchte, wehrte sich wie jeden Montagmorgen gegen das Aufstehen, was seitens der Eltern auch jedes Mal laute Worte erforderte, damit er rechtzeitig vor der Haustür stand. Im Prinzip wurde er nach dem Anziehen und Zähneputzen mit der Schultasche auf die Straße gestellt, Essen gab es schließlich in der Ganztagsschule. Der Zwergstaat achtete sehr auf die Ernährung und die Ausbildung seiner Kinder, studierte Leute war einer von Alemannias Exportschlagern. Bevor jemand das Land verließ wurde er oder sie noch in Spionage geschult.

      Die Drohsdals lebten im eigenen Haus in einer Beamtensiedlung nördlich von Offenburg, sie gehörten zu den wohlhabenderen Bürgern und das hatte seinen Preis. Obwohl er auf Jahrzehnte immer die gleichen Tätigkeiten zu verrichten hatte, würde Halmschor nie den Arbeitgeber wechseln können, denn von dem was er machte durfte nichts in die Außenwelt dringen. Immerhin hatte er die Chance einmal eine Führungsposition zu bekommen, dann würde er in einem Sessel sitzend planen und delegieren. Aber noch bestand keine Aussicht und eigentlich waren sie unterbesetzt, wenn nur einer seiner Kollegen krank wurde oder in Urlaub ging, hatte er eine Siebentagewoche. Immerhin aber meistens nur einen Siebenstundentag.

      Als erstes wurde Sarus vom fahrerlosen Schulbus abgeholt. Das war ein gläserner Kasten der wie von Geisterhand auf Luftkissen in das Viertel schwebte, automatisch vor den entsprechenden Häusern hielt, die Schüler einsteigen ließ und zur Schule brachte. Ein Aufseher der Fahrer genannt wurde, überwachte per Bild aus der Ferne mehrere Buse gleichzeitig und rief die Schüler die Unfug trieben, über Lautsprecher zur Ordnung. Danach fuhr seine Frau Marlesa mit dem Elektrozweirad zu ihrer Dienststelle und als Letztes spazierte Halmschor zu seiner nahen Sammelstelle.

      Jeden Morgen Punkt acht sammelten sich einige Beamte des Viertels, die hinter der Mauer arbeiteten, an einer Haltestelle. Mit Halmschor warteten in der Regel ein Allgemeinarzt und eine Frauenärztin, ein Zahnarzt, eine Laborantin, mehrere Arzthelferinnen, ein Lebensmittelberater und eine Gruppe Arbeiter für allgemeine Aufgaben. Alle überdurchschnittlich gut bezahlt, vom Syndikat privilegiert und zu absolutem Schweigen verurteilt. Kurz nach acht Uhr schob sich leise, aber auf acht Rädern, ein extra langer Linienbus um die Häuserecke, den, wie jeden Morgen, das medizinische Personal bestieg. Die meisten Fenster des Buses waren seltsamerweise undurchsichtig. Dem Bus folgte immer ein vielachsiger, langer Lastzug, der Halmschor und seine Arbeiter abholte. Die Fahrzeuge summten Fahrerlos aus der Stadt heraus und schwenkten dann Richtung Osten dem Wald entgegen. Kein einziger Passagier achtete darauf, ob die Fahrzeuge auch richtig fuhren, so selbstverständlich fanden sie Tag für Tag ihr Ziel.

      Nach etwa einer viertel Stunde verließen sie die Landstraße, passierten eine automatische Kontrollstelle die Unbefugten die Durchfahrt verwehren konnte und fuhren auf einem schmalen und kurvigen Weg in den Wald. Halmschor wusste, dass es außer ihnen noch zwei andere Einheiten gab die hinter der Mauer arbeiten und die entweder vor oder nach ihnen den Weg benutzten. Mit jedem Meter wurde das Unterholz beidseitig des Weges dichter, wer von den Passagieren vorne durch die Windschutzscheibe schaute, fühlte sich in einer Höhle. Nach einer großen Tafel mit der Aufschrift „Stopp-nicht weiter-Straflager-sie werden registriert“ tauchte der Weg auf einmal in eine echte Höhle ein, vielmehr in eine Röhre die so eng beschaffen war, dass neben dem Bus oder dem Lastzug nichts weiter Platz hatte. Die Fahrzeuge konnten hinein aber niemand, nicht einmal ein Kind, konnte gleichzeitig hinaus. Die Fahrzeuge fanden problemlos hindurch. Kaum in der Röhre wurde es vorne hell, weil sich das Tor öffnete, sie waren bei den Sklaven angekommen.

      Vom Tor ausgehend verlief in beide Richtungen eine seltsam geformte Mauer, die Mauer hatte überhaupt nichts Gerades. Bis in zwei Meter Höhe war sie noch einigermaßen vertikal, dann bog sie sich weitere zwei Meter zunehmend nach innen, wer gute Augen hatte konnte im oberen Viertel noch mehrere hauchdünne Drähte erkennen die der Mauer folgten. Beidseitig des Tores folgte sie der Topografie der Landschaft und verschwand bald hangaufwärts hinter den Bäumen. Die Mauer bestand aus einem sehr harten Betongemisch und von innen erkannte niemand wie dünn sie eigentlich war, keine 20 Zentimeter stark.

      Der Bus hielt nach zweihundert Metern auf einem weiten, geschotterten Platz, vor einer länglichen Kunststoffbaracke. Dahinter befanden sich noch dutzende weitere längliche Baracken, die nicht so hoch waren wie die vorderste, und dazwischen sah er jede Menge Kinder, wobei die Kinder ungewohnt dick, träge und leise waren. Auf drei Seiten des Platzes lagen gepflügte Äcker und grün sprießende Felder, im Hintergrund standen Büsche und Bäume. Das medizinische Personal öffnete die Türen des Buses, stieg jedoch nicht aus. Als Halmschor dem Lastzug entstieg sah er sie schon auf sich zukommen, die Sklaven. Auch nach einem Jahr konnte er seinen spontan empfundenen Ekel nicht unterdrücken. Die Sklaven waren alle stark übergewichtig, Frauen, Männer und Kinder schwabbelten nur so von Fett. Gekleidet waren sie alle in ähnlichen Jacken, Hemden und Hosen, die sich farblich nur gering unterschieden. Eigentlich hatte die Sklavenkleidung nur einen Hauch von Farbe, dem grauen Grundton waren blau, rot oder grün beigemischt, gelbe Kleidung gab es überhaupt nicht, die wurde von der Feldarbeit zu schnell schmutzig. Die Sklaven trugen auch zerschlissene Klamotten, die sie selber stopfen mussten. Ihre Kleidung war auch sehr einfach geschnitten, im Prinzip sah sie den OP-Anzügen gleich, die man manchmal in uralten Filmen zu sehen bekam. Manche der Sklaven die nun den Fahrzeugen zuströmten, hielten auch Kleidung