Ha-Jo Gorny

Quallen, Bimm und Alemannia


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nicht ihre Fettsucht, das Schlimmste war ihre Art sich zu bewegen, die Halmschor sehr gruselig fand. Alles was sie taten machten sie bedächtig, Eile, Eifer, Hektik, schienen ihnen fremd zu sein. Sie waren sogar so bedächtig, dass sie niemals miteinander stritten, eine sehr verhaltene Meinungsverschiedenheit war schon das höchste einer Auseinandersetzung die Halmschor beobachtet hatte. Das konnte aber kaum daran liegen, dass die Sklaven so übergewichtig waren, denn Fette gab es ja auch außerhalb der Mauer genug und die konnten ganz schön gereizt sein. Halmschor hatte deshalb den Verdacht, dass die Lebensmittel die er mit seinen Arbeitern täglich entlud, mit allerlei Medikamenten angereichert waren, damit sie sich ruhig verhielten und nicht aufbegehrten. Logisch wären auch Medikamente gegen diverse Krankheiten, vielleicht auch gegen Intelligenz.

      Der Lastzug rangierte sich dicht an die Halle, nachdem er korrekt stand, öffneten sich die Rolltore am Gefährt und die an der Halle, Sklaven schoben von innen Rampen an den Lastzug. Wie jeden Morgen, an sieben Tage in der Woche, wurden sie erwartet, standen viele Sklaven erst auf wenn sie die Rolltore hörten, Uhren hatten sie nicht und brauchten sie auch keine. Kurz darauf rutschten die ersten Riesenpakete und Tonnen in die Halle, der nun immer mehr Sklaven zustrebten. Ein Riesenpaket bestand aus hunderten Nahrungsmittelpäckchen, die Päckchen selber hatten einen undefinierbaren breiähnlichen Inhalt, die Tonnen beinhalteten die begehrten Getränke. Sie wurden in einer Reihe auf eine Rampe gestellt und die Sklaven füllten sich die verschiedenartigen Flüssigkeiten in Krüge und Eimer. War eine Tonne leer, viel sie in sich zusammen und benötigte so im Laderaum kaum noch Platz. Halmschor konnte nicht anders und hatte einmal seinen Finger in den Krug eines Sklaven gesteckt, weil er unbedingt wissen wollte, weshalb sie das Zeug aus den Tonnen so gerne tranken. In jeder Baracke hatten die Sklaven auch Zugang zu Wasser und sie hätten auch die Möglichkeit sich auf Elektroplatten Tee zu kochen. Die Getränke aus den Tonnen, die im Geschmack leicht variierten, schmeckten voll süß, stellte er fest. Sie waren wohl deshalb so wild auf das Zeug, weil sie Zuckersüchtig waren, vielleicht hat das Syndikat auch noch Drogen hineinmischen lassen.

      Den Inhalt der Päckchen musste er dann natürlich auch probieren. Auch der war unterschiedlich beschaffen, einmal fester, dann weicher, mal trockener, mal grober oder feiner, sie brachten keinen Tag nacheinander das Gleiche, aber der Päckcheninhalt war genauso süß wie die Getränke und sie waren ölig oder fettig, voll die Dickmacher.

      Halmschor hatte sich deswegen, aus Sorge ob ihnen bei dieser Ernährung die Sklaven nicht wegsterben würden, bei einer Ärztin erkundigt. Die erklärte ihm hinter vorgehaltener Hand, dass sämtliche Nahrungsmittel mit Medikamenten gegen Herz- und Kreislauferkrankungen angereichert wären. Außerdem riet sie ihm davon ab, von den Nahrungsmitteln die für die Sklaven gedacht seien zu probieren. Das seien alles nur aufbereitete Abfallprodukte voller Fette und Zucker aus ihrer Gesellschaft, denen noch Mineralien, Vitamine und Spurenelemente aus den Laboren beigemischt wären und außerdem jede Menge Hormone, Medikamente und Drogen für und gegen weiß der Teufel was alles.

      Die Sklaven, die Halmschor heimlich für sich als Quallen bezeichnete, wurden auch mit etwas salzigem versorgt, auf das sie richtig scharf waren. Doch dafür mussten sie arbeiten, sie sollten sich aus gesundheitlichen Gründen bewegen und sie sollten aus psychischen Gründen beschäftigt sein. Sämtliche Sklaven, klein und groß, wurden dazu angehalten auf den Feldern zu rackern, die Wege in Ordnung zu halten und vor allem ihre Behausungen zu reinigen. Leute wie Halmschor mussten dafür sorgen, dass selbst im Winter, wenn Gemüse und Knollen nur langsam wuchsen, genug Arbeit vorhanden war, damit sich die Quallen bewegten. Diverse Knollen und Rüben machten auch im Winter genug Arbeit, um die Quallen auf trapp zu halten. Besonders die Neuzüchtung einer kleinen Kartoffelsorte, vielleicht war es auch etwas anderes, denn sie konnte unbedenklich auch roh gegessen werden, wuchs auch in den milden Wintern. Ab März wurden dann wieder die Kohl-und Rübensorten, sowie Hülsenfrüchte angebaut. Zu diesem Zwecke hatte der Lastzug dann Saatgut dabei.

      Auf jeden Fall strömten die Sklaven jeden Morgen dem Lastzug entgegen, um ihre Ernteprodukte gegen heiß begehrte Stangen zu tauschen, die man von weitem für Brot halten konnte. Doch wer diese Stangen einmal probiert hatte, wusste sie nicht einzuordnen, denn für Brot kauten sie sich zu grob und schmeckten sie zu salzig. Es war bestimmt auch Getreideschrot darin, aber Halmschor war sich sicher, auch Sägemehl herauszuschmecken. Bestimmt war das Zeug entwickelt worden, um die Zähne und Verdauungsorgane der Sklaven zu beschäftigen, denn nur Brei und Zucker war schon sehr ungesund und ohne Salz starb jeder Mensch.

      Wie selbstverständlich entluden die Sklaven in ihrer phlegmatischen Weise den Lastzug, schoben die Paletten mit den Nahrungsmitteln in die Halle, wo sich dann jeder bediente und mitnahm was er brauchte. Viele hatten auch einen Becher mitgebracht und blieben gleich bei der einen oder anderen Tonne stehen um ordentlich einen zu heben. Alkohol, Zigaretten, Kaffee und andere Genussmittel kannten sie nicht, Zucker und Salz waren ihr ein und alles. Kaum war der Laderaum entleert, brachten schon die ersten auf Handkarren ihre Ernteprodukte, die im Winter hauptsächlich aus ausgegrabenen Knollen und Rüben bestanden. Im Herbst bestand die Hauptaufgabe darin, die geernteten Knollen und Rüben zu vergraben, damit sie den Winter über nicht austrieben. Frostgefahr bestand sehr selten und Schnee gab es überhaupt nie.

      Vor dem Bus mit dem medizinischen Personal bildeten sich derweil drei lange Schlangen. Die erste vor dem Zahnarzt, denn ständig mussten schmerzende Zähne gezogen werden, die Zweite vor dem Allgemeinarzt, denn ständig mussten Verletzungen behandelt werden und die dritte vor der Laborantin. Bei der letzteren Person schauten die Sklaven nur in ein Gerät, das sie anhand der Irisstruktur identifizierte. In diesem Fall wurde festgestellt, wann sie das letzte Mal Blut gespendet hatten, denn das durften sie nur alle zwei Wochen. Die Schlange vor der Laborantin war die längste. Wer Spenden durfte erhielt einen Stempel auf den Unterarm und begab sich in die Halle. Dort warteten eine Reihe Stühle und die Arzthelferinnen auf die Spender, um ihnen einen halben Liter Blut, oder auch mehr, abzulassen. Zur Belohnung bekamen sie danach eine kleine Tafel künstlicher Schokolade, die bei keiner anderen Gelegenheit erhältlich war. Als normaler Mensch würde man erwarten, dass die Erwachsenen Sklaven die Schokolade unter ihren Kindern verteilen. Dem war aber nicht so, sie aßen sie selber und der Traum eines jeden Kindes war, endlich Blut spenden zu dürfen, um eine eigene Tafel Schokolade zu ergattern.

      Mit dem Blut der Sklaven betrieb das Land einen schwunghaften Handel, Menschenblut war eines der Exportschlager. Die Ärztin, mit der Halmschor manchmal vertraulich eine Pfeife rauchte, hatte ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, dass die Sklaven vermutlich auch zu Organspenden herangezogen würden. Blieb die Frage ob es sich dabei auf Nieren oder Leberteile beschränkte, oder ob dafür auch manchmal einer getötet wurde, um an alles zu kommen. Beim Überdenken der Frage lief Halmschor ein kalter Schauer den Rücken hinauf und hinunter. Ab und zu wurde ein Bus voller „Freiwilliger“, die sich für eine Umsiedlung „begeistern“ konnten, aus der Mauer herausgefahren, um eine Übervölkerung zu vermeiden. Die Sklavenverwaltung achtete peinlichst darauf, dass von den Ausgesiedelten auch mindestens einer im Jahr wieder zurückgebracht wurde, sei es aus Strafe, weil er sich daneben benommen hatte oder weil er aus irgendwelchen Gründen zurückwollte. Der bestätigte dann, dass es auch noch andere Sklavengebiete gab und erzählte, dass es dort genauso gut sei wie hier. Wo sich die befanden, wussten weder Halmschor noch die Ärztin und würden es vermutlich auch nie erfahren. Es sei denn sie wurden Chef der Verwaltung oder kamen in das Syndikat, was mangels Reichtum aber ausgeschlossen war.

      Am Lebendigsten war es im Geburtshaus, fast jeden Tag brachten einige Mamas Nachwuchs zur Welt. Wenn die Ärztin morgens in das Geburtshaus ging, das hinter der Lebensmittelbaracke stand, lagen dort meistens schon dicke Frauen denen man gar nicht ansah, dass sie hochschwanger waren. Manche hatten in der Nacht selbständig ein Kind oder mehrere Kinder geboren, den Nachwuchs mit Hilfe einer anderen Frau gewaschen und den Raum gereinigt. Geburt war hinter der Mauer Alltag und Routine, jede Frau und jedes Mädchen bekam jährlich Nachwuchs, Säuglinge und Kleinkinder bildeten die größte Bevölkerungsgruppe. Mit der Muttermilch die sie bis zur nächsten Geburt bekamen, schluckten die Säuglinge auch die Beruhigungsmittel aus der Erwachsenennahrung. Die Babys der Sklaven waren ungewöhnlich leise. Die Ärztin versorgte die Neugeborenen und deren Mütter, untersucht zukünftige Mütter und verabreichte die nötigen Medikamente. Es wäre die Gelegenheit jeden Sklaven elektronisch zu markieren, aber aus einem nicht nachvollziehbaren Grund war das Syndikat strikt