Ha-Jo Gorny

Quallen, Bimm und Alemannia


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aus seiner Welt verraten soll.

      „Vielleicht ein-und-hundert, zwei-und-hundert, drei-und-hundert. Elf und zwölf finde ich total doof. Kann es denn nicht ein-zehn, zwei-zehn, drei-zehn heißen?“ beschwerte sich das Mädchen.

      „Ach, da gibt es noch viel dooferes, aber du bist auf dem richtigen Weg“, log er sie an. „Weshalb sind denn deine Haare so lang? Niemand hier hat so eine unpraktische Frisur wie du.“

      „Ich finde sie schön so, keiner hat so Haare wie ich“ und kratzte mit zehn Fingern in ihrem Mopp herum, Kämme kannten sie ja auch nicht.

      „Und was meinen Mama und Papa?“

      „Einen Papa habe ich nicht und Mama ist es egal“.

      „Haben deine Geschwister auch so dunkle Haare?“ Dass sie Geschwister hatte war klar, denn die Mütter bekamen in der Regel jedes Jahr mindestens ein weiteres Kind, entweder auf natürliche Weise oder sie wurden befruchtet.

      „Die sind wie alle, aber die ziehen mich oft an meinen Haaren.“

      „Wenn ich sie dir schneiden soll, kommst du zu mir“. Doch diese Wortwahl war anscheinend ungeschickt, denn sie lief davon.

      In den nächsten Tagen sah er sie selten und wenn, dann immer in der Nähe einer jungen Arzthelferin, die als einzige der Mannschaft, außer Dr. Albritz, nicht übergewichtig war. Diese Arzthelferin die Dolora hieß, so sein Verdacht, hatte Bimm bestimmt verraten was hundert war und vermutlich noch einiges mehr. Erst in seiner zweiten Woche traute er sich die junge Frau anzusprechen.

      „Sie scheinen sich mit Bimm gut zu verstehen?“

      Dolora lachte. „Sie ist ja auch das einzige Lebendige hier in der Gegend.“

      Halmschor konnte seine Neugier nicht verbergen. „Weiß man woher das kommt, weshalb Bimm so anders ist?“.

      „Wir würden sie ja liebend gerne untersuchen, aber sie lässt sich nicht anfassen, sie kratzt und beißt, für einen stupiden Sklaven eine ganz und gar ungewohnte Reaktion.“

      „Dann müssen sie sie eben betäuben, um ihrem Anderssein auf die Schliche zu kommen“, sagte er leichthin.

      „Wir lassen sie wie sie ist“ kam plötzlich die Stimme des Chefs aus dem Fahrzeug. „Inzwischen ist sie unser Maskottchen geworden, dem wir nicht wehtun wollen“, meinte Dr. Albritz zu Halmschor.

      „Sie bekommt ja nicht einmal ihre Haare geschnitten“ bemerkte Hal.

      „Die Kleine gefällt ihnen wohl?“ stellte der Chef Albritz fest.

      „Sie hat einen gewissen Unterhaltungswert. Kann ich sie mir mal ausleihen, für einen Kindergeburtstag vielleicht?“ Da mussten alle Beamten die das hörten herzhaft lachen, die Sklaven kannten ja keinen Kindergeburtstag.

      Am Ende der dritten und seiner letzten Woche der Krankenvertretung, bekam Bimm doch noch die Haare geschnitten und zwar von Hal. Er hatte sie aus der Ferne einige Male am Lagerfeuer gesehen, das immer gut besucht war. Während einer Pause wollte er doch einmal ergründen was dort so abging. Um das Feuer saßen hauptsächlich Kinder jeglichen Alters und nur ein oder zwei Erwachsene die aufpassen mussten, dass kein Unfug getrieben wurde. Am Lagerfeuer wurde gequatscht, gerempelt, gegessen und getrunken. Als Halmschor sich näherte, sprang Bimm auch schon auf und stand fluchtbereit hinter den Sitzenden. Sie kaute energisch und in einer Hand hielt sie zwei Karotten.

      Halmschor blieb stehen. „Du futterst rohe Karotten?“ fragte er verwundert.

      „Die sind gut“ war alles was Bimm sagte.

      „Die futtert sogar Krabbler und Würmer“ verriet ein Junge aus der Runde. Bimm sagte nichts, vermutlich überlegte sie, ob es ihr verboten werden konnte. Erst jetzt sah Halmschor die dünnen Stecken die aus dem Feuer herausstaken.

      „Für was braucht ihr die Stöcke“ fragte er misstrauisch in die Runde. Einige holten sie aus dem Feuer und siehe da, an jedem Stock hing eine Knolle oder eine Rübe.

      „Wir sollen alles was wir finden in der Glut brutzeln“, erklärte ein großer Junge, der bestimmt um einiges schwerer war als Halmschor.

      „Wer sagt das“ fragte der. „Bimm“ war die Antwort des Schwergewichts. Doch die war verschwunden.

      Am Freitag kam Halmschor Drohsdal in den besonderen Genuss Bimm die Haare schneiden zu dürfen. Beim Hantieren mit glühenden Stöcken am Lagerfeuer, hatte ein Kind Bimms üppige Frisur einseitig angesengt. Minutenlang stand sie vor einem Fenster und betrachtete die Bescherung. Es ließ sich nicht vertuschen, ihr linkes Ohr war jetzt sichtbar.

      „Habt ihr einen Rasierer dabei?“ fragte sie Dolora.

      Die Arzthelferin nickte. „Soll dir jemand die Haare schneiden?“

      „Der da“. Überraschender Weise zeigte Bimm auf Halmschor, dem es heiß wurde.

      „Ich habe das noch nie gemacht“ wehrte er sich gleich. „Egal“ sagte sie und stellte sich vor ihn hin. Das war ein absoluter Vertrauensbeweis, so nah war er ihr noch nie gekommen. Zaghaft begann er von unten nach oben Haare abzumähen, zuerst auf der vollen Seite, dann hinten, vorne an der Stirn, mehrmals rings herum, bis er der Meinung war, eine gleichmäßige Frisur hinbekommen zu haben. Dabei passte er auf, dass er nicht zu viel absäbelte.

      „Du scheinst nicht der Hellste zu sein“ sagte sie plötzlich zu ihrem Frisör.

      „Weil ich keine Haare schneiden kann?“ Fragte Hal verwundert.

      „Weil du nicht weißt wie es nach hundert weitergeht.“

      „Ich wollte nur schauen ob du selber drauf kommst“ verteidigte er sich.

      „Hunderteins, hundertzwei, hundertdrei.“

      „Nah also, wusste ich es doch.“ Danach blieb es ruhig.

      Als er fertig war, standen schon sämtliche Kollegen und auch viele Sklaven um ihn und Bimm herum. Das war wohl das Großereignis der Woche. Jetzt könnte man sie noch schnappen und ihr zur Untersuchung Blut abzapfen um herauszufinden, weshalb sie so aufgeweckt, lebendig und so anders war. Bimm stand auf, stellte sich vor ein Fenster des Buses und betrachtete sich darin. Dann ging sie kommentarlos weg. Alle staunten, was Halmschor für ein schönes Mädchen aus den Locken geschält hatte.

      Kurz darauf war Sommerfest. Alle waren schon leicht angeheitert, als sich die Arzthelferin Dolora mit einem Glas in der Hand aufreizend Halmschor näherte.

      „Na Hal, wie läuft es so am Tor?“ sprach sie ihn an und schob ihren, mit einem eng anliegenden Hemd bekleidenden Brustkorb voraus.

      „Hallo Dol, reine Routine, wenig Unterhaltung“ antwortete er. „Man sollte dem einen oder anderen Sklaven das Jonglieren oder Zaubern beibringen.“

      „Deine Bimm wird immer unterhaltsamer“ meinte sie und hob vielversprechend die Augenbrauen. „Die hat sich die Hosenbeine oberhalb der Knie abgetrennt und geht jetzt rennen.“

      „Wie rennen?“ Hal verstand nicht.

      „Sie macht Sport, Leichtathletik. Wenn sie irgendwo hin will, macht sie das im Dauerlauf. Sie hat Freude an der Bewegung. Würde dir auch gut tun“ und sie tätschelte seinen Bauch.

      „Bringt das keine Unruhe ins Dorf?“ fragte er verwundert.

      „Den Sklaven scheint es genauso spaß zu machen wie uns. Übrigens, ich habe anhand ihrer Haare herausbekommen wer ihre Mutter ist.“ Dolora machte eine Kunstpause, Halmschor wartete wortlos. „Die hat erst noch ein niedliches Gesicht, ist aber genauso schwer wie alle.“

      „Ist sie schwarzhaarig?“ war das erste was Halmschor wissen wollte.

      „Nein, aber ich habe etwas seltsames herausgefunden“ sprach Dolora. „Du wirst es nicht glauben, was die Datei ausgespukt hat. Dieses kleine Ding wurde schon vor zwölf Jahren geboren und ihr Vater kann unmöglich ein Sklave sein.“

      „Ist nicht möglich“