Ha-Jo Gorny

Quallen, Bimm und Alemannia


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elf Jahren geschlechtsreif, und gleich danach schwanger, weil es die Quallen beneidenswert oft und überall miteinander trieben. Aber Bimm zwölf Jahre, sie war eindeutig unterentwickelt, körperlich. Selbst sechsjährige Mädchen waren schon schwerer als sie.

      „Wenn sie so viel rennt, wird sie ja noch dünner“, bemerkte er schließlich.

      „Tja, als Blutspender kommt sie wohl nicht in Frage“.

      „Aber dass ihr Vater kein Sklave sein soll, kann ja wohl nur ein Versehen sein?“ zweifelte Hal.

      „In meinen Daten passt auf jeden Fall kein Mann als Vater“, beteuerte Dolora. „Das ist total spannend, denn irgendwoher müssen die schwarzen Haare ja kommen.“

      Halmschor wiegte seinen Kopf. „Der Grund kann auch eine natürliche Mutation sein, sowas gibt’s. Vielleicht ist Bimms Mutter auch mit falschem Samen befruchtet worden.“

      „Wer weiß. Übrigens, bei uns wird bald eine Stelle frei, wir brauchen dringend einen tüchtigen Arbeiter“ verriet sie ihm mit einem vielversprechenden Augenaufschlag.

      3. Rohkost ist alles

      In Alemannia gab es ein nicht unbedeutendes Suchtproblem. Sich mit einer stimulierenden Pfeife aufzuputschen wurde von der Obrigkeit inzwischen geduldet, wobei man aber nicht sehen konnte wie stark das Krautgemisch in der Pfeife war. Das Syndikat fand es als wünschenswert, dass sich die Bevölkerung, um sich in gute Laune zu versetzen, auf halbwegs harmlose Mittel beschränkte. Die Polizei war, was das Suchtverhalten der Bürger anbelangte, total überfordert und verfolgte nur die Anwendung solcher Substanzen, die schwer abhängig machten und Organe und Verstand zerstörten. Bei diesen Stoffen zeigte das Syndikat Null Toleranz. Dabei handelte es sich um eine Vielzahl aggressiver Suchtmittel synthetischen Ursprungs in ständig neuen Zusammensetzungen, die obendrein auch noch billig zu haben waren.

      Einerseits gönnte das Syndikat der Bevölkerung die Rauschmittel, denn die Menschheit war allgemein von sich und ihrer Entwicklung schwer enttäuscht und deshalb auch psychisch schwer angeschlagen. Mit den sogenannten Rauschgiften hatten die Leute die Möglichkeit der Realität zu entfliehen, was eine noch höhere Suizidrate verhinderte. Andererseits verursachte ein zu hoher Rauschgiftkonsum teure Pannen, verhinderte produktive Arbeit und machte die Personen auch für den Privatbereich unbrauchbar. Weil Alkoholkonsum leicht zu erkennen war, bevorzugte das Volk Rauschgifte aller Art, doch die meisten dieser Substanzen machten die Leute körperlich und geistig zum Frack.

      Deshalb schickte das Syndikat alle die auffällig wurden, für drei Wochen in eine Entziehungskur mit eingebauter Gehirnwäsche, damit die Süchtigen für die Gesellschaft und den Arbeitgeber wieder verwendungsfähig wurden. Das Syndikat bot der Bevölkerung aber nur diese eine Chance an, um wieder normal zu werden. Wer ein zweites Mal auffällig wurde, erfreute sich einer Spezialbehandlung, nach der sich der Proband selbst nicht mehr kannte und nur noch für Handlangertätigkeiten zu gebrauchen war. Bei dieser zweiten Entziehungskur wurden die Gehirne der Süchtigen verändert und weil man selbst nach 400 Jahren Gehirnforschung noch nicht alles wusste und konnte, waren die Behandelten für übergeordnete Tätigkeiten nicht mehr zu gebrauchen. Bei dieser Art der Behandlung kam es erstaunlich oft zu Todesfällen und die Bevölkerung fragte sich im Stillen ob das beabsichtigt sei, um schwierige Fälle loszuwerden die zu viel Mühe machten? Aber es war auch nicht unbedingt das Jahrhundert des Mitgefühls. Dass das Ego der Mitmenschen manipuliert wurde, quittierte man mit einem Achselzucken.

      Der krankheitsbedingte Ausfall in Dr. Albritz Gruppe, den Halmschor vertreten hatte, war auf so einer Entziehungskur gewesen. Dieser Arbeiter war nun rückfällig geworden und seine Stelle somit frei. Doch Halmschor freute sich zu früh, auch in seiner Gruppe fiel jemand aus und deshalb war er unabkömmlich. Alle in seiner Gruppe wussten, dass er weg wollte und sich auf die Arbeit im alten Dorf unter den riesigen Bäumen freute. Nun musste er sich täglich dumme Bemerkungen anhören und manche seiner Kollegen machten so, als ob sie ihn loshaben wollten und es nicht erwarten konnten bis er endlich ging.

      Auf Unterhaltung durch Bimm brauchte er aber nicht zu verzichten. Eines frühen Morgens stand sie, mit über den Knien abgetrennten Hosen und ausgelatschten Schuhen, keuchend vor der großen Halle. Durch das Heben einer Hand gab sie Hal ein Zeichen des Erkennens, spazierte aber zwischen die Baracken und sah sich um. Seine Kollegen und Kolleginnen, die Bimm noch nie gesehen hatten, sahen verwundert von ihr zu Halmschor und wieder zurück. Die Ärztin, ebenfalls von dem fremden Wesen überrascht, hob, ohne eine Frage zu stellen einen Arm, sah Hal an und zeigte in Richtung der Schwarzhaarigen.

      „Die wohnt dahinten“ versuchte er die allgemeine Neugier zu befriedigen. „Sie ist etwas aus der Art geschlagen, aber eigentlich ganz in Ordnung.“ Bimm war schnellen Schrittes zwischen den Baracken verschwunden, eine Minute später tauchte sie außerhalb der Bebauung wieder auf und inspizierte alles vom Dorfrand aus. Gegen die umhergeisternden Sklaven wirkte sie wie ein Wirbelwind. Dann viel ihr Blick auf das Tor und sie ging darauf zu, jegliche Arbeit der Arbeiter und des medizinischen Personals kam zum Stillstand. Interessiert begutachtete Bimm das Tor und den Rahmen, sah die Mauer hoch und der Mauer entlang. So einen Fall hatte es hier noch nie gegeben, hinter Halmschor begannen Diskussionen. Dann rannte das schlanke Mädchen, sie kam ihm noch schmäler vor, zurück und blieb vor Hal stehen, der sie mit einer Mischung aus Unbehagen und Faszination erwartete.

      „Hier arbeitest du also“ bemerkte sie. „Deine Kollegen da drüben“ sie zeigte zum mittleren Dorf in dem Hal noch nie gewesen war „sind richtig doof. Mit denen kann man gar nicht reden.“

      „Ich habe dich hier noch nie gesehen. Du scheinst nun alles zu entdecken“ entgegnete er.

      „Ich war schon oft hier, abends, wenn ihr weg seid. Tagsüber muss ich ja arbeiten, genau wie ihr“ meinte sie wichtig.

      „Rennst du nun immer so durch die Gegend?“ wollte er noch wissen.

      „Das macht Spaß wenn die Häuser und Bäume an mir vorbeisausen“ sagte sie mit einem Lächeln und es war das erste Lächeln das Hal bei ihr gesehen hatte und er war hingerissen.

      „Ich renn jetzt wieder zurück, weiterarbeiten, bis mal wieder, Frisör.“

      „Pass aber auf. In diesen alten Schuhen brichst du dir sonst die Beine“ Sie wetzte übertrieben schnell los, wohl um ihn zu beeindrucken und schon kurz darauf hatte sie der Waldrand verschluckt. Er hätte noch fragen können was sie sucht und ob er helfen sollte, doch mit den Kollegen im Nacken wollte er sich mit ihr nicht näher beschäftigen.

      „So ein besonderes Vorkommnis müssen wir melden“ hörte Halmschor den diensthabenden Arzt hinter sich. „Wenn etwas aus dem Ruder läuft wird das Büro sofort nervös und das Mädchen hier tanzt eindeutig aus der Reihe und ist fehl am Platz.“

      „Das würde ich lieber bleiben lassen“ entgegnete Hal, „denn sie ist das Maskottchen von Dr. Albritz“ grinste er den verständnislos schauenden Arzt an. „Wie hatte die Arzthelferin Dolora so schön gesagt: Sie ist das einzige Lebendige hier.“ Diesen Ausspruch konnte jeder nachvollziehen und Bimm war danach auch im Dorf am Tor gut gelitten.

      Erst nach einer langweiligen Woche sah er sie wieder, kurz. Sie kam morgens angerannt, lief um die Baracken herum und sofort wieder zurück. Das Personal schüttelte zuerst die Köpfe, dann lachten sie. Was es so alles gab, ob sie wohl zu den Olympischen Spielen nach China wollte? Denn die fanden nur noch dort statt, alle vier Jahre in einer anderen chinesischen Großstadt. Aber Bimm wusste nichts von Olympia und Alemannia war als verbrecherisches Regime von den Spielen ausgeschlossen. Die Sklaven, die Bimms Gerenne schon länger mitansahen, sahen zu den Arbeitern. In ihren entspannten Gesichtern stand die Frage, ob diese Rennerei denn erlaubt sei, vielleicht erwartete der eine oder andere, dass gegen diese ungewohnte Unruhe vorgegangen wird. Doch die Beamten kommentierten das Verhalten von ihr mit keinem Wort und mit keiner Geste.

      Die Woche darauf kam sie zum Bus und zeigte einer Krankenschwester ihren Arm. „Das brennt fürchterlich“ meinte sie. „Ich möchte da was drauf damit es aufhört“.

      Der Unterarm war zerkratz, vermutlich von einer Heckenrose