Ha-Jo Gorny

Quallen, Bimm und Alemannia


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ist viel lebendiger als die anderen Kinder und keiner weiß wovon sie sich ernährt. Uns ist aufgefallen, dass sie keine Süßigkeiten mag. Nicht einmal Schokolade.“

      „Na, wenn das Schule macht“ grinste Halmschor „ist es bald Essig mit dem Blutspenden.“

      Dr. Albritz sah ihn forschend an. „Wir machen die Sklaven schließlich deshalb so dick, damit wir möglichst viel Blut ernten können. Wenn unter den Sklaven die Enthaltsamkeit Mode wird, ist das schlecht für das Geschäft.“

      Abends auf dem Rückweg zum Tor betrachtete Halmschor die Sklaven die ihnen begegneten, besonders die Kinder, und alle waren dick. Auf einmal viel es ihm wie Schuppen von den Augen, was noch den Unterschied zwischen Bimm und den anderen Kindern ausmachte. Er sah nur braune, dunkelbraune, rote, blonde und dunkelblonde Haare, kein Kind und kein Erwachsener hatte schwarze Haare, so richtig schwarze mit Blauschimmer wie Bimm. Und erst recht nicht schwarz und kleingelockt wie bei einem Südländer. Nach dieser Erkenntnis war sie für ihn kein Sklave mehr, eher ein Wesen aus einer unbekannten Welt.

      2. Wahn kann Realität sein

      Hinten im Wald, in der gewachsenen Struktur eines Dorfes, hatte er es schöner gefunden, auch wenn die Arbeit anstrengender gewesen war. Aber am nächsten Morgen arbeitete Hal wieder auf seinem gewohnten Platz, wo es nur moderne Kunststoff-Baracken gab, die sehr spartanisch ausgestattet waren. Deren unzerstörbare Fenster verfügten zwar über Lüftungsschlitze, ihnen fehlte aber eine Verdunkelung. Die Sklaven waren nicht anspruchsvoll, legten auch nicht viel Wert auf Intimsphäre, was man nicht kannte vermisste man nicht. Die Räume zwischen den Fertigwänden waren sehr klein, die Sklaven hatten ja kaum Besitz. Ersatzklamotten, Teller, Tassen, Krüge, Kanister, Waschmittel und Seife lagen oder standen auf einem Bord. Den Sklaven wurden auch keine Betten gegönnt. Eine dünne, abwaschbare Kunststoffmatratze mit einer Kunststoffdecke, die aber sehr gut wärmte, musste reichen. Die Toiletten befanden sich außerhalb und wurden von mehreren Familien genutzt, das Werkzeug stand in einer Gemeinschaftshalle.

      Hinten im Dorf hausten sie mehrheitlich in alter Bausubstanz, Kunststoffbaracken standen dort nur im Außenbereich. Egal ob alt oder neu, alle Behausungen verfügten über Licht und einen beheizbaren Raum. Die Wärme kam tief aus der Erde und war praktisch immer verfügbar und genauso unendlich, wie der Strom den Wind und Sonne lieferten. Wenn sie noch so viel Fett auf den Rippen hatten und deshalb wenig froren und die Winter noch so mild waren, konnten Nachts die Temperaturen doch in Frostnähe kommen. Dem Syndikat war es ein ernstes Anliegen die Sklaven gesund zu halten und auch vor Kälteschäden zu schützen. Krankheiten verursachten nur Kosten. Deshalb stand jedem Sklave ein warmer, wasserdichter Kapuzenmantel und ein paar wasserdichte, gefütterte Winterstiefel zur verfügen, die praktisch unkaputtbar waren.

      Halmschor schien es, als ob die Sklaven dort hinten irgendwie lebendiger seien. Nicht nur weil sie Feuer machen konnten, es war ein ständiges Kommen und Gehen gewesen. Permanent wurden in Kanistern Süßgetränke und in Eimern Lebensmittelpäckchen abtransportiert, der eingesammelte Müll zum Lastzug gebracht, die Ernteerträge eingeladen und gingen und kamen sie von den Ärzten und vom Blutspenden. Aber alles ganz gemächlich ohne Eile, Hektik war ihnen fremd. Man konnte sie anschreien, dann glotzten sie nur verwundert und befremdet wie Kühe auf der Weide, aber nicht antreiben. Halmschor fragte sich ein ums andere Mal, ob die Sklaven ihre Situation tatsächlich so ungerührt hinnahmen und mit ihr vielleicht sogar zufrieden waren, oder ob unterschwellig nicht doch der eine oder andere versteckte Hass grummelte.

      Nach längerem Sinnieren gewann er die Überzeugung, dass es an den vielen hohen Bäumen mit ihren sich bewegenden Ästen gelegen haben muss, dass ihm die Hintern aktiver vorkamen. Im Prinzip waren sie alle gleich, übergewichtiges, schmutziges, stupides ungebildetes Herdenvieh. Halmschor empfand für die Quallen nichts als Verachtung und fragte sich, wie viele Jahre er das wohl aushielt. Doch dann musste er an Bimm denken und lächelte in sich hinein. Wie konnte ein Kind nur so aus der Art schlagen? Bimm. Wie der Ton eines zarten Glöckchens.

      Die Sklaven gaben sich ja die Fantasielosesten Namen und riefen sich Kah, Mah, Mäh, Tu, To, Fo, Fu usw. Auch Blume, Baum, Blatt, Stein, Kiesel, Apfel oder Beere nannten sich viele. Wobei sie aber nicht wussten wie die Blumen, Bäume und Früchte im Einzelnen hießen, weil man sie absichtlich unwissend hielt. Äpfel kannten sie nur, weil es einige Bäume mit wilden Äpfeln gab und sich ein Neuling verplappert hatte. Man bildete sie nicht, erklärte ihnen nichts, beantwortete keine Fragen und wenn das Versorgungspersonal etwas wissen musste, fragte es in einfachen Sätzen. Das alles war seit Generationen so eingespielt und wurde von Seiten der Primitiven wiederspruchlos hingenommen. Fragen waren nur bei den Veranstaltungen zugelassen und auch nur Fragen zum jeweiligen Thema.

      Bimm, deren Namen eigentlich gut zu den anderen Bezeichnungen passte, hatte er aber eine Frage beantwortet. Das machte wohl ihr Aussehen, sie war ein richtig süßes Mädchen, sah eigentlich viel schöner aus als sein Sohn, auch schöner als die Klassenkameradinnen seines Sohnes. Weil sie schmäler als andere war, schien sie auch hilfsbedürftig, man wollte ihr automatisch etwas Gutes tun. Irgendwie war sie inmitten des allgemeinen Stumpfsinns ein Lichtblick. Aber auch ein Rätsel. Halmschor hatte die Oberschule besucht und sein Lieblingsfach war Geschichte gewesen. Unter anderem wurde im Unterricht kurz tangiert, an was für unsinnige Sachen die Menschen früher geglaubt hatten. An Religionen zum Beispiel. Er meinte sich an eine Religion zu erinnern, die etwas mit einem armen Kind zu tun hatte. Allerdings konnte er sich auch daran erinnern, wie er bemerkte, dass ihnen vieles vorenthalten wurde. Der Geschichtsunterricht war oft unzusammenhängend und wies unerklärliche Lücken auf. Halmschor lebte mit dem Verdacht, dass den Bürgern des Landes nur das gelehrt wurde, was das Syndikat für ungefährlich hielt. Waren die Bürger von Alemannia eigentlich auch so blöde und ungebildet wie ihre Sklaven, nur eine Stufe weniger?

      Die Quallen kannten keine Musik, wenn auch ab und an mit Knüppeln auf Bäumen herumgetrommelt wurde. Das Personal durfte während der Arbeit auch keine Musik hören und spielen, denn Musik könnte die Sklaven aufputschen und Unruhe bringen. Deshalb kannten sie auch keine Lieder und Texte, Gesang war bei ihnen nie zu hören, auch die Überwachungsaugen hatten nachts nie etwas Derartiges aufgezeichnet. Aber sie kannten Film und wussten was Hygiene war. Alle zwei Monate war in den Dörfern Festtag, denn dann erhielten sie ihren einzigen Unterricht, der gleichermaßen auch ihre einzige Abwechslung darstellte. In den großen Hallen prangte jeweils ein riesiges Fenster, das als Bildschirm genutzt wurde. Das bedeutete für die Versorgungsbeamten eine Überstunde. Nach dem Verteilen der Lebensmittel und dem Einladen der Ernte und des Mülls, der immerhin Wertstoff war, betätigte einer der Arbeiter das Horn des Lastzugs. Kurz darauf wackelten, wabbelten und walzten die Sklaven der jeweiligen Dörfer in die Hallen, setzten sich vor den großen Fenstern auf die Böden, denn Bänke, Stühle und Tische gönnte man ihnen auch nicht, wo sie mit etwas das Freude nahekam, auf den Beginn des Filmes warteten.

      Über viele Jahre wurde immer derselbe Film gezeigt, mit dem den Sklaven Sauberkeit und Hygiene eingebläut werden sollte. Zunächst forderte ein autoritärer Mann in Befehlsform absolute Reinlichkeit. Der Mann auf dem Fenster war weißhaarig, was die Sklaven nicht kannten, war doch keiner von ihnen älter als zwanzig Jahre. Der Alte weißhaarige war auch hager und trug zudem eine fremde Kleidung, welche ihn außerhalb der Mauer als reich kennzeichnete. Der Mann machte so einen befremdlichen und wichtigen Eindruck, dass ihn die Sklaven, wenn sie wissen würden dass es so etwas gab, für einen Gott gehalten hätten.

      Der Film zeigte wie die Toiletten sauber gehalten werden sollten und wie die Räume, Matratzen, Krüge, Geschirr und Kleidung zu reinigen sind. Der autoritäre Mann schrieb den Sklaven vor, wie oft sie ihre Hände waschen mussten, wann sie zu Duschen hatten, wobei das Wasser auch im Winter höchstens 30 Grad warm war und log ihnen vor, wie wichtig eine jährliche Rasur von Kopf und Bart seien. Auch Haare waren ein wichtiger Rohstoff. Immerhin wussten sie was ein Jahr war, das fing immer an wenn die Tage wieder länger wurden.

      Gegen Ende des Films, Halmschor sah da immer weg, weil ihm das zu peinlich war, handelte der Film von der Hygiene im Geschlechtsbereich. Ungerührt konsumierten die Sklaven die Reinigungsvorschriften. Ob sie überhaupt Liebe empfinden konnten? Geschlechtstrieb war auf jeden Fall vorhanden, welcher oft ungeniert auch tagsüber hinter den Fenstern praktiziert