Rudi Kost

Fisch oder stirb


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      »Damit eines klar ist: Wegen eines Mannes gebe ich meine Zukunftspläne nicht auf. Das habe ich einmal gemacht, und das kommt nie wieder vor.«

      »Ich sag ja gar nichts.«

      »Aber du guckst so.«

      »Ziemlich weit im Norden, Berlin und Hamburg, von hier aus gesehen.«

      »Wir würden uns seltener sehen, richtig.«

      »Wir haben uns jetzt auch zwei Wochen nicht gesehen, Nele. Ach so, ich verstehe. Du willst mich langsam daran gewöhnen.«

      »Quatsch. Und noch ist ja nichts entschieden.«

      »Fernbeziehung!«

      Ich schüttelte zweifelnd den Kopf.

      »Hat auch seinen Reiz. Und so was ähnliches führen wir jetzt doch auch schon«. meinte Nele. »Living apart together. Ein Paar, zwei Wohnungen. Wir liegen voll im Trend.«

      »Aber Fernbeziehung ist eine Verschärfung der Grausamkeit. Und wenn mich ein dringendes Bedürfnis überkommt?«

      »In deinem Alter?«

      »Das war jetzt aber unter der Gürtellinie.«

      »Du kannst ja mitkommen, Dillinger.«

      »Nach Berlin? Nach Hamburg? Nie im Leben!«

      »Das sind beides interessante Städte.«

      »Nele, was soll ich dort? Meine Klienten sind hier. Dort müsste ich ja von vorn anfangen. Und das in meinem Alter! Was ist der Unterschied zwischen Hamburg und Berlin?«

      »Die Hamburger machen hauptsächlich Abmahnungen.«

      »Widerlich. Da gehst du nicht hin.«

      »Wieso das denn?«

      »Damit wird unschuldigen Menschen das Geld aus der Tasche gezogen.«

      »Du siehst das falsch. Eine Abmahnung ist für beide Parteien die einfachste Lösung. Ein Rechtsverstoß wird festgestellt, und anstatt das vor Gericht auszufechten, was lange dauern kann und teuer ist, gibt es eine Abmahnung. Du unterschreibst eine Unterlassungserklärung, in der du dich verpflichtest, diesen Rechtsverstoß künftig zu unterlassen, deswegen heißt das ja so, und die Sache ist erledigt.«

      »Vorher kommt aber noch die Rechnung.«

      »Sicher. Das muss so sein.«

      »Und Berlin?«

      »Da wären es überwiegend Strafsachen.«

      »Sagt das etwas aus über die Kriminalstatistik der beiden Städte?«

      »Nein. Die beiden Kanzleien haben eben unterschiedliche Spezialgebiete.«

      »Strafsachen klingt spannender.«

      »Ist es sicher auch. Vielleicht aber auch deprimierender. Die meisten Strafsachen, vor allem Gewaltdelikte, entstehen ja aus einer inneren Not heraus. Und diese kaputten Typen verteidigen zu müssen und nichts ändern zu können an ihrer Situation, das schlägt vielleicht schon aufs Gemüt.«

      »Das machst du auf keinen Fall. Wenn wir uns dann am Wochenende sehen, bin ich nur damit beschäftigt, dich wieder aufzurichten.«

      »Dann also Hamburg.«

      »Untersteh dich! Diese ganze Abmahnerei ist höchst unmoralisch.«

      »Was soll ich dann machen? Ach, Dillinger, rutsch mir den Buckel runter. Du machst mich ganz kirre. Das muss ich selber entscheiden.«

      »Und ich habe nicht doch ein kleines Wörtchen mitzureden?«

      »Nein. Es geht um mich. Um meinen Beruf. Mein Leben. Meine Karriere. Ich rede dir auch nicht rein. Konzentrier dich auf deine Versicherungen. Und auf mich.«

      »Wenn du nie da bist.«

      »Jetzt bin ich da.«

      »Apropos, war Sonja heute bei dir?«

      »Wieso?«

      »Nur so.«

      Ein Schweigen breitete sich zwischen uns aus, das immer schwerer lastete. Alles war doch gut so, wie es war. Warum konnte das nicht so bleiben?

      »Ach, Dillinger, nun schmoll doch nicht. Komm kuscheln. Das Thema ist noch nicht gegessen.«

      Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, sagt man. Warum eigentlich nicht? Besser, man verbrennt sich den Mund, als dass es einen später kalt erwischt.

      Dr. Nele Bögelsack-Aufderheyde, Rechtsanwältin mit Büro in Aalen und Wohnung in Schwäbisch Gmünd, die immer noch den Namen ihres geschiedenen Mannes trug. Wir hatten uns bei einem Fall kennengelernt, der als »Leichenacker« in die Geschichte einging. Wir standen auf verschiedenen Seiten und waren uns dennoch näher gekommen. Vielleicht war das gegen irgendwelche Standesregeln, aber es gibt Situationen, in denen das egal sein muss. Und das sollte jetzt vorbei sein?

      Wer andern eine Grube gräbt

      Die Hühnersuppe ist immer noch heiß, sie hält die Wärme. Dabei ist eine Suppe auch nur Wasser mit Geschmack. Mir scheint, als schaue mich jedes Fettauge vorwurfsvoll an: Warum hast du nicht eher gemerkt, worauf du dich da einlässt, Dillinger?

      Mein Zittern lässt allmählich nach, und genüsslich schlürfe ich die Brühe. Nicht die feinsten Tischsitten, aber das ist mir jetzt egal. Eigentlich komisch. Wein darf man schlürfen, Suppe nicht. Bei uns nicht. In China ist es unhöflich, wenn man nicht schlürft.

      Aber was kümmern mich die Chinesen? Ich habe meine eigenen Probleme. Zum Beispiel das alte Bauernpaar, das mich stumm mustert, er grimmig, sie mit ihrem ironischen Dauerlächeln. Zum Beispiel die Schrotflinte, die immer noch auf dem Tisch liegt und auf mich zeigt.

      »Können Sie das Ding nicht wegnehmen?«, frage ich. »Das macht mich nervös.«

      »Und wenn du mir wegrennst?«

      »Wie denn? Dann rutscht mir Ihre alte Hose auf die Knöchel.«

      Lahmer Versuch eines Scherzes. Die beiden verziehen keine Miene. Ich schlürfe weiter, Auge in Auge mit dem Gewehr.

      Plötzlich greift der Bauer danach und legt es neben sich auf die Bank.

      »Ich kenn dich. Ich glaube, dir kann man trauen. Du bist doch dieser Versicherungsfritze, oder?«

      »Freut mich, dass ich so bekannt bin. Obwohl wir bisher nichts miteinander zu tun hatten.«

      »Der Viehhändler hat mal von dir erzählt, dieser Czichon. Scheint große Stücke von dir zu halten. Hab ihn schon lange nicht mehr gesehen, diesen Czichon.«

      »Hat aufgehört.«

      »Was treibt er jetzt?«

      »Macht in Esoterik.«

      »So, so.«

      »Drüben in Mistlau.«

      »Das Leben nimmt manchmal seltsame Wendungen. War der nicht mal beim Militär, diese Czichon?«

      »Fallschirmjäger.«

      »Und jetzt Esoterik.«

      Von mir aus können wir gerne stundenlang über das seltsame Leben des Norbert Czichon plaudern. Immer noch besser als über meins. Aber der Bauer verfällt wieder in sein Schweigen. Ich schließe mich an. Bevor ich etwas Falsches sage, sage ich lieber gar nichts. Eine neue Erkenntnis für mich. Wer hat behauptet, dass der Mensch nicht lernfähig ist?

      Der Bauer erhebt sich, geht zum Küchenschrank und kommt mit drei Wassergläsern und einer Flasche zurück und gießt großzügig ein.

      »Was zur Stärkung. Selbstgebrannt. Bringt dich wieder auf die Beine.«

      Ich nippe vorsichtig daran, ich kenne solche Selbstgebrannten, und muss sogleich husten. Irgendwas wie Salzsäure verätzt meine Speiseröhre. Der Bauer und die