Rudi Kost

Fisch oder stirb


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kann nur nicken, Tränen in den Augen. Als das Feuerwasser endlich unten angekommen ist, registriere ich verblüfft die Veränderung. Pure Energie rauscht durch meine Adern. Schnaps am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen. Und ist auch noch legal.

      Der Bauer lächelt amüsiert und wird dann wieder ernst.

      »Ich hab dir nicht alles gesagt vorhin. Ich hab die Bretter von der Jauchegrube selber angesägt.«

      »Warum?«

      »Warum wohl? Damit genau das passiert. Dass einer reinfällt, wenn er hier herumschleicht.«

      »Wer andern eine Grube gräbt …«

      »Ich kenn den Spruch. Passt hier aber nicht.«

      »Passt doch. Man hätte Sie anzeigen können deswegen.«

      »Das ist mein Grund und Boden. Hier schleicht keiner herum ohne meine Erlaubnis. Hausfriedensbruch, nennt man das nicht so?« Er lacht leise vor sich. »Den Dicken hätt ich sehen wollen, wenn er da hineinplumpst. Wie er nach Luft schnappt. Die Todesangst in seinen Augen. Der wär nicht mehr rausgekommen.«

      »Aber Sie hätten ihm natürlich geholfen.«

      »Nein.«

      »Rachsüchtig sind Sie wohl gar nicht.«

      »Mein ist die Rache, spricht der Herr. Heißt es nicht so in der Schrift?«

      »Muss man ja nicht alles wörtlich nehmen.«

      »Die sollen mich in Ruhe lassen. Ich geb nichts her, das hab ich dem Dettweiler hundert Mal gesagt. Nicht, wenn man mir so kommt jedenfalls. Diese Drecksäcke!«

      »Sie sind doch auch nicht mehr der Jüngste. Sie könnten sich noch ein paar schöne Jahre machen.«

      »Das verstehst du nicht. Das versteht keiner. Hier bin ich geboren, hier sterbe ich, wie sieben Generationen vor mir. Man hätte ja vielleicht drüber reden können, aber nicht so. Glauben die, sie könnten einen dummen Bauern übern Tisch ziehen? Da müssen sie aber früher aufstehen. Wenn die kommen, müssen sie sich warm anziehen.«

      Schlafwandler

      Am nächsten Morgen parkte ich wieder in Esslinger Halbhöhenlage, übermüdet und gereizt. In meinem Kopf lieferten sich angenehme Erinnerung an die letzte Nacht und unangenehme Fragen an die Zukunft einen Boxkampf, und ich bekam viele Treffer ab. Nele. Wie sollte das weitergehen? Warum immer diese Veränderungen?

      Diesmal hatte ich vorgesorgt und mir unterwegs beim Metzger eine dicke Tüte belegter Brötchen besorgt.

      Heute kein Fitnesstrainer. Dafür müsste jetzt gleich, die Zeit war reif, der Fettkloß mit der Ratte Gassi gehen. Ich war gewappnet. Ich trug einen Bart, der verdammt schwer anzukleben war, und hatte eine Perücke mit längerem schwarzen Haar übergestülpt. Nicht wiederzuerkennen, wie ich hoffte. Dass sie einen Fiesta vom anderen unterscheiden konnte, hielt ich für unwahrscheinlich. Es sei denn, sie hatte sich die Autonummer gemerkt. Ein Restrisiko bleibt immer.

      Die Ratte kam nicht. Vielleicht hatte sich der Fettkloß aus Versehen auf sie gesetzt. Die Fummelei mit dem Bart hätte ich mir sparen können. Ich döste vor mich hin und wagte nicht, meinen Posten zu verlassen, weil ich nicht wusste, was Madame vorhatte.

      Warum klingelte ich nicht einfach bei ihr und stellte sie zur Rede? Warum ließ ich nicht den Auftrag sausen? Ich pokerte mit dem Schicksal. Wenn jetzt einer kommt und dich blöd anquatscht, dann machst du die Fliege und vergisst die Chose.

      Doch niemand kam. Die Straße dämmerte ausgestorben vor sich hin. Ein weiteres Mal stellte ich mir die Frage, was ich hier überhaupt verloren hatte. Welchen Sinn es hatte, Susanne Eulert nachzufahren, anstatt mich um mein eigentliches Zielobjekt zu kümmern. Auch wenn ihr Mann nicht da war, ich konnte wenigstens Hintergrundinformationen sammeln. Ich hätte das gestern doch noch mit Nele diskutieren sollen. Aber ich war damit beschäftigt gewesen, die möglichen Änderungen in unserem Leben zu verdauen. Ich hatte die Ahnung, dass Nele innerlich längst entschlossen war, den Neuanfang zu wagen.

      Ich würde ihr bestimmt keine Steine in den Weg legen. Aber was wurde dann aus mir? Die Gelegenheit nutzen und auch noch mal durchstarten? Das vielleicht letzte Mal, bevor die Rente droht?

      Der Gedanke war erschreckend und elektrisierend zugleich.

      Eine neue Stadt erobern. Herausfinden, wo man am besten einkaufen kann. Neue Gewohnheiten entwickeln. Neue Freunde finden. Die Welt mit neuen Augen sehen. Alles neu. Alles anders.

      Und die viele Energie, die ich hier investiert hatte? In meine Beziehungen, bis so etwas wie Freundschaften entstanden waren? In meinen Lieblingsmetzger, bis er mir das perfekt abgehangene Stück reservierte? In mein Lieblingsrestaurant, bis ich unaufgefordert den Extraschlag Kartoffelsalat bekam?

      Entschluss gefasst: Nur noch heute würde ich Madame beschatten. Das war eintönig genug, um in Ruhe nachdenken zu können.

      Ich musste wohl eingenickt sein, denn ich schreckte hoch, als ich das Garagentor quietschen hörte. Ungefähr zur gleichen Zeit wie gestern verließ Susanne Eulert das Haus und fuhr in die Stadt hinunter.

      Kein ausgiebiger Shoppingbummel heute, dafür ein Beauty-Salon, freundlicherweise mit einem Café in strategisch günstiger Lage, von dem aus der Salon gut einzusehen war. Der Kaffee war miserabel, das Croissant aus dem letzen Jahrhundert und die Bedienung unwirsch und alles andere als eine Augenweide.

      Warum ist das Leben so grausam? Warum müssen einem immer die Frauen die Laune verhageln? Susanne Eulert mit ihrem undurchsichtigen Auftrag. Nele mit ihren seltsamen Karriereanwandlungen. Sonja, die gemosert hatte, weil ich ihren Wagen erneut in Anspruch nahm. Die Bedienung, die muffig um mich herumschlich und wortlos eine weitere Bestellung einforderte, aber noch eine Tasse von dieser Giftbrühe wollte ich mir nicht zumuten. Hätte sie mich nur einmal angelächelt, bloß ein klein wenig, ich wäre dahingeschmolzen und hätte alle Vorsicht in den Wind geschossen.

      Als Madame nach elend langer Zeit dem Beauty-Salon entschwebte, konnte ich keine auffallende Veränderung gegenüber vorher wahrnehmen. Vielleicht waren das auch Feinheiten, die einem schlichten männlichen Gemüt wie mir entgingen. In der Hand trug sie eine Tüte. Werkzeug für Reparaturarbeiten.

      Ich durfte weitere Teile der Esslinger Innenstadt kennenlernen, keiner beeindruckte mich übermäßig. Haushaltswaren, Schreibwaren, Buchhandlung. Die Straßen waren heute belebt genug, dass ich nicht auffiel, wenn ich vor einem Schaufenster herumlungerte. Susanne Eulert blieb nie lange, offenbar wusste sie genau, was sie wollte. Kaufte sie überhaupt etwas? Es blieb bei der einen Tüte, aber sie schwoll mit der Zeit an. Umweltbewusst, die Dame. Ich wollte endlich die dämliche Perücke loswerden.

      Wieder verzichtete Madame auf ein Mittagessen und ich notgedrungen auch. War auch besser so, wenn ich an mein verkorkstes zweites Frühstück dachte.

      Es war schnell absehbar, wohin sie fahren würde. Donnerwetter, jeden Tag, der Kerl hatte Kondition. War garantiert zwanzig Jahre jünger als ich.

      Endlich konnte ich selber tätig werden, anstatt brav hinter ihr herzudackeln. Ich hatte mir das auf dem Stadtplan angesehen und eine Route durch Nebenstraßen ausgetüftelt, die mich vor ihr ans Ziel bringen würde, wenn ich ordentlich auf die Tube drückte. Vielleicht bekam ich ihren mutmaßlichen Liebhaber zu Gesicht, wenn er vor ihr ins Haus ging.

      Die Idee war gut, scheiterte jedoch an den Widrigkeiten des Alltags. An dem Polo zum Beispiel, der drei Versuche brauchte, bis er seitwärts eingeparkt hatte. Frau am Steuer? Nein, ein Mann, fortgeschrittenes Alter, also über Vierzig. An dem Avensis, der beim Anfahren an der Ampel den Motor abwürgte. Auch ein Mann. An dem Müllauto in der Straße. An der Straße, die sich als Einbahnstraße entpuppte, allerdings in der falschen Richtung. Ein Stadtplan ist auch nur eine eigenwillige Sicht der Realität.

      Als ich endlich dort war, zippte Madame gerade ihr Auto zu und ging ins Haus. Man sollte in einer fremden Stadt nicht auf Abwege gehen.

      Wenn alles so lief wie beim letzten Mal, musste ich jetzt ungefähr eineinhalb Stunden