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Prolog
Ich rudere und strample und halte die Luft an und schlage wild mit den Armen um mich. Kein Grund zur Panik, ich kämpfe ja nur um mein Leben, und ich gebe mir noch ungefähr fünf Sekunden.
Die ganze Geschichte ist von Anfang an dumm gelaufen, und nun sitze ich in der Patsche. Genauer gesagt: bis zum Hals in der Scheiße. Denn ich plansche in der Jauchegrube von Bauer Buchholz in Knittinghausen.
Ich weiß, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt. Über einer Jauchegrube stehen giftige Gase, die einem schnell das Bewusstsein nehmen. Und dann ist es aus.
Irgendwie schaffe ich es, den Rand der Grube zu packen und mich hochzuziehen. Ich liege auf dem Boden im Dreck und japse nach Luft. Mein Herz pumpt literweise Adrenalin. Mir ist schwindlig und kotzübel.
Vorsichtig hebe ich den Kopf und schaue auf zwei Paar mistverschmierte Gummistiefel, ein größeres Paar und ein kleineres. Und ich sehe den Lauf einer Schrotflinte, der genau auf meine Nase zielt. Der Lauf bewegt sich hin und her, was ich als Aufforderung deute, mich zu erheben.
Mühsam rapple ich mich hoch und sehe vor mir den Bauern und seine Frau. Keiner sagt ein Wort. Ich sowieso nicht, ich keuche noch immer.
Der Bauer wartet, bis ich mich etwas beruhigt habe, dann fragt er: »Wer bist du?«
»Dillinger«, bringe ich mühsam hervor. »Dieter Dillinger.«
»So, so.«
Der Bauer starrt mich finster an, drückt der Frau die Flinte in die Hand und geht davon.
Als er wiederkommt, zieht er einen Gartenschlauch hinter sich her und dreht auf. Das Wasser ist eiskalt und trifft mich wie ein Hammer. Ich zucke zusammen und schnappe nach Luft. Die kalte Dusche bringt mich wieder halbwegs zur Besinnung.
»Ausziehen!«, sagt der Bauer.
»Ausziehen? Hier? Mitten auf dem Hof?«
»Ausziehen!«, befiehlt der Bauer erneut. »Wird dir schon keiner was weggucken.«
Von wegen! Die Bäuerin, die kurz verschwunden war, steht wieder neben ihm, in der einen Hand einen Müllsack, in der anderen ein Handtuch.
Ich bin heute ganz besonders aufgebrezelt. Ich trage einen Anzug von Brioni, dazu eine Krawatte und ein maßgefertigtes Seidenhemd. Meine Unterhose allerdings ist von Schießer, Feinripp, und das ist peinlich. Ich hätte ja auch nicht gedacht, dass sie heute jemand zu Gesicht bekommt. Hätte ich nur auf meine Mutter gehört! Bub, hat stets sie gesagt, zieh immer eine saubere Unterhose an, man weiß nie, was kommt.
Sauber wenigstens war sie gewesen. Bis jetzt.
Für den Anzug war ich seinerzeit in einem Anfall von Verschwendungssucht extra nach Mailand gejettet, weil ich auch einmal so elegant aussehen wollte wie unser damaliger Kanzler. Und jetzt? Schöne Scheiße!
Ich ziehe mich also aus, bibbernd vor Kälte, während der Bauer weiter mit dem Schlauch auf mich zielt. Die Bäuerin guckt nicht weg. Im Gegenteil. Sie guckt interessiert hin. Sie mustert mich von Kopf bis Fuß, langsam und genau. Um ihre Mundwinkel sehe ich einen spöttischen Zug.
Kein Wunder. Alles an mir ist bis zur Nichtigkeit geschrumpft. Wegen des kalten Wassers. Vielleicht auch aus Verlegenheit. Oder wegen der Unterhose.
Der Bauer hört nicht auf mit dem Wassergespritze. Will seiner Frau wohl was gönnen. Sie ist Anfang Fünfzig, nicht hübsch, aber rassig. Ihn schätze ich auf Mitte Sechzig. Uralt also im Vergleich zu mir.
Endlich dreht er den Hahn zu. Schlotternd stehe ich da.
Die Bäuerin reicht mir den Müllsack.
»Stopfen Sie Ihre Kleider hinein«, sagt sie. »Ich werfe sie gleich in den Müll.«
Ich will protestieren, aber ich weiß, sie hat recht. Gegen eine Jauchegrube kommt keine Reinigung an. Besonders, wenn der Bauer Schweine hält. So schnell also wird aus meinem schönen Brioni Abfall.
Die Bäuerin reicht mir das Handtuch. Es ist bestimmt nicht ihr bestes.
»Damit Sie mir nicht alles nassmachen«, sagt sie. »Und jetzt ab unter die Dusche.«
Ich trotte hinter ihr her. Die heiße Dusche ist das Paradies. Ich stinke immer noch erbärmlich.
»Ich bringe Ihnen alte Kleider von meinem Mann«, sagt sie und geht.
Bald darauf kommt sie wieder. Und guckt. Guckt zu, wie ich dusche. Guckt zu, wie ich mich abtrockne. Guckt zu, wie ich in die alten Kleider steige. Sie hat immer noch diesen spöttischen Zug um den Mund. Das macht mich verlegen. Schließlich hat die heiße Dusche mittlerweile meine Lebensgeister wieder geweckt und anderes auch.
Sie reicht mir eine Hose. Der Bauer, schätze ich, hat ungefähr meine Statur, Idealmaße also, aber es gibt eine bestimmte Person, die bemängelt bei mir einen Bauchansatz. Von wegen! Ich muss die Hose festhalten, damit sie nicht rutscht. Wenigstens ein Lichtblick an diesem absolut beschissenen Tag.
»Die Kleider können Sie behalten», sagt die Bäuerin. »Seit mein Mann auf Diät ist, passen sie ihm nicht mehr.»
Sie hat eine feinfühlige Art, mich aufzurichten.
Ich tapse mit ihr in die Küche. Die Bäuerin stellt mir einen heißen Tee hin, dem Bauern eine Flasche Bier. Sie guckt weiterhin spöttisch. Mir dämmert, dass sie immer so guckt.
Auf dem Tisch liegt die Schrotflinte, und sie zeigt genau in die Richtung, in der ich sitze.
»So, mein Junge«, sagt der Bauer gemütlich, »und jetzt erklär mir mal, was du in meiner Jauchegrube zu suchen hattest.»
Die Lady ist ein Vamp
Es begann an einem Dienstag Ende März kurz nach zwei Uhr. Die ersten lauen Lüftchen ließen den Frühling erahnen und hatten die Schneeberge weggeschmolzen, die uns den ganzen Winter begleitet hatten.
Ich saß in meinem Büro und war angenehm gesättigt und leicht schläfrig nach einem ausgedehnten Lunch in Rebers »Pflug«, zu dem ich einen Kunden eingeladen hatte. Der Aufwand war nötig gewesen, weil der Kunde sich etwas geziert hatte. Komischerweise gibt es immer noch Menschen, die standhaft glauben, ein Versicherungsvertreter wolle ihnen nur überflüssige Policen aufquatschen.
Nach einem Damhirschrücken mit Gänseleber und Holunderjus und einer Flasche Burgunder unterschrieb er endlich. Die Rechnung ging natürlich auf mich, doch angesichts der Provision, die ich mir eben verdient hatte, konnte ich das schon verkraften.
Ich hatte also eigentlich keinen Grund, unzufrieden zu sein. Und trotzdem saß ich in meinem Büro, hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und langweilte mich.
Sicher, wenn ich auf meinen Schreibtisch schaute, was ich im Moment zu vermeiden suchte, hätte der Eindruck entstehen können, dass es genügend zu tun gab. Doch nicht jeder ist für Schreibkram geeignet. Ich war es definitiv nicht. Sonja schon.
Nachdem dieser Punkt geklärt war, lehnte ich mich befriedigt zurück und langweilte mich weiter.
Sonja, meine Geschäftspartnerin, hatte mit langer Verzögerung Feng Shui für sich entdeckt und unser Büro neu eingerichtet. Feng Shui war ziemlich blöd. Es zwang mich, zur Türe zu starren, was ausnehmend trist war. Viel lieber hätte ich zum Fenster hinausgeschaut, in den frühlingsblauen Himmel und auf die kleinen Wölkchen, die vorbeizogen. Das war wenigstens ein inspirierender Anblick und vermittelte die Illusion von gutem Wetter.
Ich hätte meinen Stuhl ja auch herumdrehen können. Aber worauf sollte ich dann meine Füße legen? Das war ein Punkt, den die Feng-Shui-Experten noch mal diskutieren mussten. Bis dahin starrte ich unverdrossen die Türe an und verlor mich in meinen Gedanken.
Jetzt, dachte ich, müsste die Tür aufgehen und eine berückend schöne Frau hereinkommen.
Und was sage ich? Die Tür ging auf, und