Helmut, die Weiber und der Wein. Bloß nicht der Gesang, das wäre abschreckend.«
»Ich brauch dich, Horst.«
»Wozu? Für mich gibt es doch nichts zu tun bei dir. Ich steh nicht an der Drehbank, das sage ich dir.«
»Wart ab. Ich habe ein paar Ideen, dafür brauche ich dich.«
»Hier für dich zum Einstand. Was von deinen Lieblingen«, sagte Horst und reichte seinem Freund die brandneue Platte der Rolling Stones.
Zum ersten Mal sah Helmut das Logo mit der herausgestreckten Zunge. Er verstand den Hintersinn dieses Geschenkes. Es war Horsts Art, ihm zu sagen, dass er an ihn glaubte. Er wusste, dass er keinen Plattenspieler hatte.
Zwei Tage später starb Helmuts Vater, zermürbt von den Wunden, die das Leben ihm beigebracht hatte. Plötzlich fielen Helmut die vielen Fragen ein, die er zu dessen Lebzeiten nie gestellt hatte, aber nun war es zu spät. Er tröstete sich damit, dass er ohnehin keine Antworten erhalten hätte. Wenigstens war es jetzt zu Hause etwas ruhiger. Er wohnte noch immer in seinem alten Kinderzimmer, um Geld zu sparen, und gönnte sich weiterhin nichts.
Helmut Eulert war zweiundzwanzig, als er defloriert wurde. Es geschah bei einer Studentenfete, zu der ihn Horst Kieninger mitgeschleppt hatte. Aus den Lautsprechern ertönten die sphärischen Klänge einer Band, deren Namen er nicht kannte.
Er war längst nicht mehr auf dem Laufenden, er hatte anderes zu tun. Bis spät in die Nacht war er in seiner Firma, und wenn er nicht an einem Auftrag arbeitete, flickte er das Dach, wechselte zerbrochene Fensterscheiben aus und werkelte an der Heizung, die er im nächsten Winter ganz bestimmt zum Laufen bringen würde.
Auf der Studentenfete herrschte eine eigenartige Atmosphäre. Die Luft war erfüllt von schweren Düften, die Stimmung von heiterer Gelassenheit, über allem schien ein friedvoller, ein liebevoller Geist zu schweben.
Ein Mädchen mit verträumtem Lächeln, in ein buntes Batikkleid gehüllt, nahm ihn einfach an der Hand und zog ihn mit sich. Es war vorbei, bevor er recht wusste, was geschah. Dem Mädchen schien es gefallen zu haben. Aber sie war auch zugedröhnt bis zur Halskrause. Mit demselben verträumten Lächeln ging sie zurück zu den anderen, als sei nichts gewesen.
So war das also. Und es war nicht schlecht. Auf einmal beneidete er diese Studenten. So ließ es sich leben. Er musste am nächsten Tag wieder früh aus den Federn, sehr früh, er hatte einen Auftrag, der termingerecht fertig werden musste und der ihn fast überforderte, er hätte gut noch zwei Leute brauchen können, die er aber nicht bezahlen konnte.
Ob er etwas falsch machte? Ob das Leben an ihm vorüberzog, während er für eine Firma malochte, die zwar seine eigene war, deren Erfolg aber in den Sternen stand?
An manchen Tagen kamen ihm Zweifel.
Bis er die Frau zum Heiraten gefunden hatte, sollte es noch einige Zeit dauern.
Augenschmaus
»Und diese Frau sind Sie?«, fragte ich.
»Ich bin die zweite Ehe. Er hat sich meinetwegen scheiden lassen. Wir sind seit vierzehn Jahren miteinander verheiratet.«
Da hatte sich der Herr Unternehmer ja seinerzeit ein junges Hascherl ins Bett geholt, Respekt, dachte ich und sagte diplomatisch: »Auch eine lange Zeit.«
»Deshalb spürt man, wenn etwas nicht in Ordnung ist.«
»Ihre Gefühle in Ehren, aber gibt es auch konkrete Anhaltspunkte?«
Sie zog ein Blatt Papier aus ihrer Handtasche. Es war die beliebte Schnipselarbeit aus Einzelbuchstaben verschiedener Größen und Typen: »Finger wek vom Schweinestall.« Ein »g« stand offenbar nicht zur Verfügung, oder der Schnipsler war Legastheniker.
»Was hat Ihr Mann mit einem Schweinestall zu tun?«
»Sie finden das heraus, nicht wahr?«
Ich weiß nicht, wie, aber ihr Rock schien schon wieder etwas höher gerutscht zu sein. Was ich sah, gefiel mir.
»Ist das der einzige Drohbrief?«
»Bisher ja.«
»Hat Ihr Mann das der Polizei gezeigt?«
»Er weiß gar nichts davon.«
»Bitte?«
»Die Drohung war in seiner Post, aber ich habe sie ihm nicht gezeigt. Er soll sich nicht aufregen. Ich weiß nicht, ob das sein Herz aushält.«
»Hm. Das wirkt eigentlich eher wie ein schlechter Scherz, aber wenn nicht, schwebt Ihr Mann möglicherweise in einer Gefahr, von der er gar nichts weiß.«
»Das macht mir ja solche Sorgen. Aber Sie werden uns beschützen.«
»Mit Erpressern ist nicht zu spaßen. Sie sollten die Polizei einschalten.«
»Nein!« Ihre Reaktion kam so heftig, dass ich zusammenzuckte. »Keine Polizei! Wenn erst mal die Polizei im Haus ist, weiß es bald die ganze Stadt, und das darf unter keinen Umständen geschehen. Was glauben Sie denn, warum ich zu Ihnen gekommen bin?«
Ihre Stimme verlor an Schärfe, und sie hauchte wieder: »Niemand darf von Ihrem Auftrag erfahren, das müssen Sie mir versprechen, sonst sind wir erledigt. Ich kann mich doch auf Sie verlassen?«
»Seien Sie unbesorgt, Diskretion ist schließlich mein Kapital. Haben Sie sonst noch etwas, das mir weiterhelfen könnte?«
»Es muss irgendein ›Projekt Goldhamster‹ geben. Ich habe ein Telefongespräch belauscht, da ist der Name gefallen.«
»Und Sie haben natürlich keine Ahnung, worum es da geht.«
»Nicht die geringste. Vielleicht gibt es einen Zusammenhang.«
Schweinestall und Goldhamster? Das wurde ja immer verrückter. Verrückt genug, dass es mich reizen könnte? Oder zu verrückt, weil aussichtslos? Ich hatte mir geschworen, dass meine erste Klientin alles von mir haben konnte. Vor allem eine Klientin wie diese. Andererseits musste man ja nicht an Grundsätzen kleben.
Jetzt erst fielen mir ihre Augen auf, ich war bislang von anderen Blickfängen abgelenkt gewesen. Groß waren sie und grün. Augen wie ein Bergsee. Augen, in denen man versinken konnte.
Doch, ja, sie schmachtete mich an.
Nun rutschte sie auf dem Sessel nach vorne, ich wagte gar nicht, auf ihre Oberschenkel zu schauen, und legte ihre warme, sorgfältig manikürte Hand auf meinen Arm.
»Bitte, Sie müssen mir helfen, ich habe Angst. Ich fürchte, mein Mann hat sich da auf etwas ganz Schreckliches eingelassen.«
Sie beugte sich weit vor dabei. Das Dekolleté ihres Chanel-Jäckchens tat, wofür es geschaffen worden war, und gab den Blick frei. Bis zum Bauchnabel, mindestens. Und was darinnen war, folgte den Gesetzen der Schwerkraft. Egal, ob sie echt waren oder nicht, es waren Prachtstücke, und ich würde diesen Anblick noch öfter genießen können. Denn ich gedachte, meiner Klientin sehr häufig persönlich Bericht zu erstatten. Kundenpflege ist schließlich wichtig.
»Klingt nicht uninteressant«, sagte ich und handelte mir dafür ein strahlendes Lächeln ein, gefolgt von einem Scheck aus den unergründlichen Tiefen ihrer Handtasche.
»Das sollte für den Anfang reichen«, erklärte sie.
Ich schaute auf den Scheck und bemühte mich, meine Überraschung nicht allzu sehr zu zeigen. Privatdetektiv schien ein einträgliches Geschäft zu sein.
Ich stimmte schließlich zu, und es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre mir um den Hals gefallen. Was sie zu meinem größten Bedauern nicht tat.
Ein Tag wirft seinen Schatten voraus
»Elf Tage noch«, sagte Sonja. Ich tat, als hätte ich nichts gehört, konzentrierte mich auf die Papiere vor mir und sann auf eine Fluchtmöglichkeit. Es gab nur die