Hanna Perlmann und Ilonka Svensson

Das Paradies hat einen Namen


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andere auf diese Idee gekommen, ihr Wohnungsproblem zumindest vorübergehend zu lösen und dabei noch Geld zu verdienen. Dementsprechend mager waren deshalb die Angebote der Homesitting GmbH, zumal für eine Zuogroaste wie sie. Nicht verzagen - Sterne befragen! Mit dieser Devise vergewisserte sie sich nochmals ihrer Marsauslösung. Nun ja, schaun mer mal ! Diese Münchner Philosophie hatte sie sich schnell zu eigen gemacht.

      Judith war von Natur aus eher nüchterne Pragmatikerin, bedingt durch ihren Jungfrauaszendenten. Der unter Astrologieanhängern grassierenden Tendenz, sich im voraus wegen einer nahenden Konstellation Sorgen oder gar illusorische Hoffnungen zu machen, war sie nicht lange erlegen. Statt dessen hatte sie jahrelang akribisch die Zusammenhänge zwischen kosmischen Konstellationen und äußerer Wirklichkeit beobachtet, um schnell festzustellen, dass eh immer alles anders kommt, als man denkt. Deshalb gönnte sie sich einen unbeschwer-ten Spaziergang an der Isar und staunte über das im alpenländischen Föhn erstrahlende barocke Freilufttheater München. Flugs lagen schon etliche Nackerte am Isarufer, die Cafés hatten infolge der unvermutet warmen Temperaturen ihre Tische und Stühle rausgestellt , die prompt alle besetzt waren.

      Arbeitete hier überhaupt jemand , außer ihr und den Kellnern? Während sie genüßlich ihren Cappuccino vor dem Café Tambosi schlürfte, die im goldenen Ockerton erstrahlende Theatinerkirche vor Augen, vertiefte sie sich in ihre Unterrichtsvorbereitungen. Was ihre Arbeit betraf, hatte sie Glück gehabt.

      Vom Ephraim Lessing Kolleg, dem renommierten Sprachinstitut, das in München auf Kleingruppen und Individualkurse für Deutsch als Fremdsprache spezialisiert war, hatte sie einige Aufträge bekommen. Frau Pöppel-Nirmalathasan, die Leiterin, hatte ihr zunächst einen Individualschüler übertragen, den – wie sie von Kollegen später erfahren hatte – kein anderer hatte übernehmen wollen.

      Es handelte sich um einen hysterischen Amerikaner, der unter dem Druck seiner Firma stand, innerhalb kürzester Zeit Deutsch lernen zu müssen. Diesem Druck entzog er sich konstant, indem er nur Englisch sprach und sie dauernd fragte, mit welcher Diät man optimal Deutsch lernen könne. Judith sah schnell, dass Hopfen und Malz verloren waren. Hier war nur die Einseifmethode möglich: Dem Teilnehmer klar zu machen, er könne es ja schon ausgezeichnet und dass er mit Selbstvertrauen und der learning by doing Strategie seine Sprachhemmung beseitigen werde. Zufrieden hatte der Amerikaner daraufhin den Unterricht beendet und Judith in der Kursbeurteilung mit “sehr gut” bewertet. Wie es zu erwarten war, rutschte sie nach dieser bestandenen Prüfung auf der Auftragsleiter ein Treppchen höher. Ihr nächster Individualschüler war alles andere als ein Psychopath – ein pfiffig humorvoller Holländer, der das typische Problem hatte, alles zu verstehen, aber grammatikalisch beim Sprechen und Schreiben unglaublich viele Fehler zu machen. Ihr tat es fast schon leid, seinen munteren Redefluss stoppen zu müssen. Gleich am ersten Tag hatte er sich als Anhänger der Morosophie bekannt , denn er fand Antworten auf Fragen, die keiner stellte. Wird im Paradies holländisch gesprochen? Stammt der Mensch vom Frosch ab? Er war sich sicher, dass die Holländer aus Palästina stammten, denn natürlich wären sie das von Gott auserwählte Volk. Warum?

      Weil die Holländer direkte Nachfahren der Gäste auf Noahs Arche gewesen seien. Vermutlich sei dieses Auserwähltsein die Rechtfertigung der Niederländer für ihre einstige Kolonialpolitik und den Sklavenhandel.

      Morosophie – Dwaze Wijzen en wijze Dwazen in Nederland en Vlaanderen(1). Der gegenseitigen Sympathie tat das keinen Abbruch. Sie lachten viel während des Unterrichts, so dass im Verlauf von zwei Wochen auf beiden Seiten deutliche Fortschritte erzielt worden waren: Dem Holländer war endlich der Akkusativ, ansatzweise auch der Dativ klargeworden und Judith hatte ein paar Kniffe herausgefunden, das ihr ansonsten verhasste Wirtschaftsdeutsch unterhaltsam zu vermitteln. Alles in allem also eine runde Sache, die Arbeit beim Lessing Kolleg!

      Verrückte Weisen und weise Verrückte in den Niederlanden und in Flandern

      Kapitel 5

       Wohnen und arbeiten im Paradies

      Als sie nach dem ausgedehnten Spaziergang im Englischen Garten wieder zurück in die Wohnung kam, läutete das Telefon und auf dem Anrufbeantworter war dieselbe Stimme wie die der Ansage zu hören "Grüß Gott, Gernleitner ...." Jacky raste nervös durch die Wohnung. Der Wohnungsinhaber stand dann höchstpersönlich eine Stunde später in seinem Domizil, das Judith zuvor noch hektisch aufgeräumt hatte.

      “Ach, aus Freiburg kommen Sie, eine waschechte Schwäbin sozusagen “.

      Gut gelaunt durch seinen fulminanten Romaufenthalt musterte Gernleitner die Homesitterin, ihre Frisur und ihre Kleidung verletzten sein ästhetisches Empfinden. In diesem Aufzug würde die in Rom nicht mal eine Putzstelle bekommen. Diese Ökolatschen in Verbindung mit der vogelbunten Schlabberkleidung – in Italien wäre dies glatt ein Grund, ein Rendevous abzusagen. Aber als geübter Ästhet erkannte er auch, dass mit ein bisschen Styling aus diesem drahtig-kühlen Typ durchaus etwas zu machen wäre. Judith war eher klein, aber ihre Körpersprache drückte eine energische Spannung aus und ihre hellbraunen, leicht schrägen Augen bildeten einen interessanten Kontrast zu ihrer hellen Haut und den dunkelblonden Kringellocken.

      Judiths Miene hatte sich beim Wort “Schwäbin” schlagartig verfinstert.

      Ist das etwa typisch bayerisch, ein ignorantes Selbstbewusstsein, dem kaum zu widersprechen lohnte? Dazu war sie auch gar nicht fähig, denn Gernleitners intensiver Armaniduft hatte ihren Kehlkopf regelrecht eingenebelt. Misstrauisch nahm sie ihn ins Visier. Gernleitner war nur unwesentlich größer als sie, ungefähr 1.70. In seinem meist jovial-offen dreinblickenden Gesicht blitzten dunkelgraue Augen, die öfter als er sich dessen selbst bewusst war, melancholisch wirkten. Zu seinem eigenen Bedauern neigte er inzwischen zu leichtem Fettansatz, der sich vor allem am Bauch und an seinem Stiernacken breitmachte. Sein ergrautes, welliges, leicht schütteres Haar trug er inzwischen mit Fassung, bei seiner Figur war er allerdings konsequent darauf bedacht, sie durch hervorragend geschnittene Anzüge zu kaschieren.

      “Wie gefällt Ihnen denn München?”

      “Bis auf die Wohnungssituation eigentlich gut.”

      “Ja wissen´s, das ist eine Katastrophe, überhall wird schamlos erhöht. Da kann selbst ich ein Lied davon singen. Der Vermieter meines renommierten Modegeschäfts, Herr Dr. Stahl, schickte mir vor ein paar Monaten eine 35 prozentige Mieterhöhung. Nicht mal mein Anwalt konnte einige Prozente rausschlagen. Schließlich haben wir uns auf 3 Maßanzüge jährlich geeinigt – der Kerl kann seine grobschlächtige Figur jetzt auch noch mit meinen edlen Anzügen verhüllen. Ich sag Ihnen, Zustände sind das ...!”

      Luxusheini mit Luxusproblemen!, dachte Judith, soll ich jetzt Mitleid mit diesem Edelschneider bekommen? Und was soll ich zum Ausgleich anbieten? Etwa – wie neulich im Wohnungsteil der AZ – die Besänftigung des männlichen Hormonhaushalts?

      “Biete attraktiver schlanker junger Frau,maximal 25 Jahre alt, 90-60-90 günstige zentral gelegene Mitwohngelegenheit bei gelegentlicher Besänftigung meines Testosteronhaushalts. Chiffre..”

      “Tja, Frau Schätzle, ich will Sie nicht länger aufhalten. Auf Wiederschaun.

      Viel Spaß und viel Glück bei Ihrer Wohnungssuche!”

      Der war ihr bereits vergangen und von Glück konnte keine Rede sein.

      Der Bayerische Wahlkampf tobte und das smart-steife Lächeln Stoibers versprach den CSU Anhängern: Stoiber kommt.

      Und Judith Schätzle geht vielleicht.

      Seit sechs Wochen wohnte Judith im Westend in der Kazmaierstraße bei Marianne, einer Mutter-Kind-Projekt-Frau aus Stuttgart, die ebenfalls am Ephraim Lessing Kolleg arbeitete. Das Alternativviertel mit hohem Ausländeranteil gefiel ihr gut. Marianne verstand sich als jederzeit begehbare Brücke zwischen dem kapitalistischen Westeuropa und dem vom Kapitalismus ausgebeuteten Afrika. Ihre Politik der Wiedergutmachung bestand darin, untergetauchten Afrikanern Kontakte zu deutschen Frauen zu vermitteln. Die Heirat als rettende Möglichkeit, diesen benachteiligten Menschen ein Überleben im rassistischen Deutschland zu ermöglichen. In letzter Zeit jedoch