Hanna Perlmann und Ilonka Svensson

Das Paradies hat einen Namen


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Liebhaber zum patriarchalen Anpruchschauvi gemausert. Er und sein stets quengelnder Sohn Moritz vergifteten die Atmosphäre der Wohnung, aus der Judith am liebsten sofort ausgezogen wäre.

      Marianne ist eigentlich okay, nur Pape und ihr Brüllterrorist Moritz sind das Problem – oder doch etwa Marianne?

      Astrologisch gesehen war Judith in eine weitere Reifephase eingetreten. Nach gut 28 Jahren kehrte der laufende Saturn, Symbol für die Zeit, zu seinem Geburtsort im Horoskop zurück. Sie merkte seit Wochen, dass sie die Welt ziemlich skeptisch betrachtete, vor allem ihre WG, in der sie zunehmend als Babysitterin und Kummerkasten ausgebeutet wurde.

      Während Pape mehr als breitbeinig auf dem Sofa lümmelte und seinen spielenden Sohn gelangweilt zur Kenntnis nahm, stand Marianne überfordert im täglichen Chaos der Küche und überreichte Judith den Hörer.

      “Pöppel-Nirmalathasan, Lessing Kolleg. Frau Schätzle, ich hätte da für Sie einen tollen Auftrag, ein richtiger VIP. Ein Italiener aus der Führungsschicht bei Fiat, ja Fiat, Sie wissen ja, Agnelli. Ich habe Agnelli erst kürzlich beim Empfang im italienischen Konsulat getroffen, ein unglaublich kultivierter, gebildeter und charmanter Mann, ich habe mit ihm persönlich einige Worte gewechselt......

      Ach, wo war ich wieder ?! Äh.., ja , also dieser Italiener hat einen zweiwöchigen Individualkurs gebucht, täglich sechs Stunden. Ich bin sicher, das wird eine tolle Sache!”

      “Welches Sprachniveau hat er denn?”, unterbrach Judith.

      “Oh, da muss ich erst nachsehen. Ich glaube, er ist Ende Grundstufe, na, Sie werden das schon hinkriegen. Kann ich auf Sie zählen? Phantastisch, also bis Montag dann, 8.30 Uhr und ach, bedenken Sie noch, die Italiener – also was mir äußerst wichtig wäre: Als Repräsentantin des Ephraim Lessing Kollegs sollten Sie auch optisch unseren High Potential zufriedenstellen."

      Das war bei Judith zweifellos angekommen.

      Leicht genervt aber auch beruhigt durch den neuen Auftrag, legte Judith den Hörer auf. Inzwischen konnte sie das theatralische Wortgeklingel der Leiterin recht gut in realistische Tatbestände übersetzen. Auf die Einstufung von Frau Pöppel-Nirmalathasan war grundsätzlich kaum Verlass. Seitdem ein als Mittelstufe deklarierter Kursteilnehmer sich als Anfänger entpuppte, war Judith gezwungen, jeweils Vorbereitungen für verschiedene Sprachniveaus zur Hand zu haben. Die Kleiderfrage stellte sich jetzt als zusätzliches Problem. Da derzeit kein Schlussverkauf war, würde sie einfach in den zahlreichen luxuriösen Second-Hand- Boutiquen Schwabings vorbeischauen.

      Kapitel 6

       Unverhofft kommt oft

      Bodo Baron, der renommierte Promofigaro Münchens, war wieder konkurrenzlos glücklich. Bis vor kurzem waren viele seiner ehemaligen Kunden zu Sascha Sand übergelaufen. Saschas “Ich mach alles alleine und bleibe fair-Konzept”, hatte qualitativ und preislich viele Kunden überzeugt.

      Erschöpft, aber wohlig entspannt, überließ sich Judith den weichen kreisenden Bewegungen Bodos auf ihrer Kopfhaut. "Isses so recht, du ?"

      Die unverhoffte Anschaffung eines dunkelblauen italienischen Ferragamo-kostüms, das sie jetzt trug, hatte sie dazu bewogen, auch einen Friseur aufzusuchen, der sich unweit ihres ersten Homesitting Jobs im Glockenbachviertel befand.

      “Der Mondstand ist heute ungeeignet für einen Schnitt. Aber deine Naturlocken werden das ausgleichen. Ich schneid´dir ne kinnlange Fasson, mit der du mindestens 3 Monate ohne Friseur auskommst. Da geht dann aber ein halber Meter weg.”

      “ Macht nichts. Ich bin die Wolle schon lange leid.”

      Ungerührt sah Judith zehn Minuten später ihre dunkelblonden Locken auf dem weißen Kachelboden liegen. Gekonnt tänzelte Bodo im existenzialistischen Künstlerlook – schwarzer Kaschmirrollkragenpulli, knappsitzende Lederhose und gepflegte Dauerglatze - um sie herum. Nach dem Föhnen schnippelte er noch hier und da und hielt am Ende den Spiegel hinter ihren Kopf.

      “Tschaui, du, s´dauert grad noch 5 Minuten, Maxi, okaychen?”

      Erst auf den zweiten Blick erkannte Gernleitner die Schwäbin von der Home-sitting GmbH wieder. Donnerwetter – bei dieser Ökonudel hatte sich was getan.

      “Frau Schätzle, so eine Überraschung. Ich hätt Sie beinah nicht erkannt!”

      Einen Blick auf seine Post, die er noch in der Hand hielt, brachte ihn auf eine Idee.

      “Sie können doch Italienisch – wenn Sie mir helfen, einen Brief zu übersetzen, lad´ ich Sie zum Essen ein.”

      Kurz darauf saßen sie im Freiluftbereich des Café Interview am Gärtnerplatz. Schmalhüftige Kellner servierten ihnen im eleganten Hüftschwung die hervorragenden Pastaportionen. Judith genoss die Aussicht auf den quirlig runden Platz, der auf der gegenüberliegenden Seite durch das Gärtnerplatztheater gekrönt wurde.

      “Der Zusammenhang ist folgender. Sie wissen doch, mein Geschäft “All about Adam”, das läuft sehr gut und seit einiger Zeit ist die italienische Firma Bonzi daran interessiert, mit mir ein Joint Venture einzugehen. Deswegen fahr ich demnächst nach Mailand. Vorher wollt ich denen noch in gepflegtem Italienisch antworten.”

      Judith überflog die in geschraubtem Italienisch verfasste Einladung der Firma Bonzi.

      Maximilian Gernleitner war für einige Tage zu einem Event nach Mailand eingeladen – Treffpunkt war das beste Hotel am Platz mit anschließender Modenschau in geschlossener Gesellschaft. Er sollte bis Mitte Mai brieflich zusagen. Gernleitner war entschlossen hinzugehen. München stresste ihn derzeit, vor allem die ständigen Anrufe seiner gallespeienden Schwester Barbara. Sie verlangte doch glatt, er solle 50 Prozent seines Erbes an sie abtreten. Da war Mailand eine willkommene Abwechslung.

      “ Was macht denn Ihre Wohnungssuche? Haben Sie was Schickes gefunden?”

      “Leider nicht! Ich wohn´ gerade in einer entsetzlichen WG. Der Typ ist das reinste Dritte- Welt- Projekt, im wörtlichen und übertragenen Sinne. Marianne, seine Frau, merkt nicht einmal, inwieweit sie energetisch von dem und ihrem Sohn ausgelaugt wird.”

      “Frau Schätzle, ich biete Ihnen eine vorübergehende Alternative:

      Während meines Mailandaufenthaltes könnten Sie wieder über die Bavaria Homesitting GmbH bei mir wohnen. Ich weiß auch nicht, warum ich immer solche genialen Einfälle habe.”

      Kapitel 7

       Deutsche Sprache, schwere Sprache

      Schwitzend stand Judith an der Tafel und listete die untrennbaren Präfixe auf. Miß-emp-ver-be-ge-zer- .... welche fehlten denn wieder? Wer konnte denn schon diese blöden Präfixe isoliert auswendig lernen? Nicht einmal sie….wie hieß neulich dieser praktische Merksatz, den sie von einer Kollegin bekommen hatte? Richtig – das Hausbeispiel. Schnell skizzierte sie ein Haus, in dem oben eine Miss Beer wohnt. Unten wohnt ein Geemp Entzer. Beide sprechen englisch, daher: Miss Beer versteht Geemp Entzer. Strahlend verkündete sie ihrem Schüler den Merksatz.

      Frau Pöppel-Nirmalathasan hatte dieses Mal die Einstufung richtig durchgegeben. Herr Barbieri, ein etwa 30 jähriger dynamischer Italiener, war tatsächlich Grundstufe, wenn auch eher untere als obere.

      “Iche breche die Unterrichte unter, Signorina. Ich brauche Kaffee. Gibt es auche Cappuccino ?”

      “Herr Barbieri, das heißt: Ich unterbreche den Unterricht. Es gibt Präfixe, die sind trennbar und untrennbar, dazu gehört auch unter.”

      “Madonna mia, dieses Deutsche! Wissen denn die deutsche Leute alle die Präfixe?”

      Nicht mehr, wenn man wie ich derzeit 6 Unterrichtseinheiten täglich solch ein entsetzliches Kauderwelsch hört, dachte Judith.

      “Cappuccino haben wir hier leider nicht. Nur Kaffee oder Tee. Was möchten Sie?”

      “Forse parliamo italiano.