Marita Neutsch

Erik Neutsch: Der Wahrheit ein Stück näher


Скачать книгу

Schriftstellers. Viele seiner literarischen Werke waren in Funktionärskreisen nicht willkommen. Seine Leser hingegen blieben ihm treu.

      Sein Roman "Spur der Steine" erschien in einer Zeit, Ende 1964, in der eine gewisse Aufbruchstimmung, unterstützt durch die beiden Bitterfelder Konferenzen, in der neuen sozialistischen Literatur zu spüren war. Leider hielt dies nicht lange an.

      Schon Ende Dezember 1965, nach der 11. Tagung des ZK der SED, fühlte es sich für die damalige noch junge Generation von Schriftstellern und Filmemachern nicht mehr so gut an. Im Bericht des Politbüros, den Erich Honecker hielt, ging es um Fragen der weiteren Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens in der DDR. Sogenannte "Unkultur" und "Unmoral" hatte es im ersten deutschen Arbeiter- und Bauern- Staat aus ideologischer Sicht in Büchern und Filmen einfach nicht zu geben. Die DDR sollte ein "sauberer Staat” sein, in der es "unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte" zu geben hat. (In: Beilage zur DVD “Columbus 64”). Kritische Darstellungen der DDR-Kunst wurden als spießbürgerlicher Skeptizismus diffamiert.

      Für die Kulturpolitik der DDR war dieses Plenum eine Katastrophe. Schritt für Schritt ging man nun von dem Weg der Bitterfelder Konferenzen ab. Dies verschärfte sich erheblich nach dem VIII. Parteitag der SED (1972). Das war die Zeit, als Erich Honecker Walther Ulbricht ablöste.

      Etliche Künstler, darunter nicht nur Wolfgang Biermann, verließen mehr oder weniger freiwillig das Land. Bücher und Filme wurden verboten. Darunter fielen auch wichtige literarische Werke meines Vaters. Und genau diese Zeit der Siebziger, als sich kulturpolitisch so viel veränderte, man zunehmend vom realen Sozialismus sprach, ließ meinen Vater bis zuletzt nicht in Ruhe. Er sah seine Wertvorstellungen, die er nicht nur an sozialistische Kunst und Literatur stellte, zunehmend mehr und mehr untergehen.

      Nach der “Wende” wandte sich mein Vater zunächst aktuellen als auch historischen Themen, die er schon lange geplant hatte, zu. Danach schrieb er an seinem großen Romanzyklus “Der Friede im Osten”, am 5. Buch, weiter. Hier verarbeitete er u.a. die Probleme, die er selbst als Schriftsteller in den siebziger Jahren erlebt hatte. Er schrieb über die “Kulturindustrie”, so seine Formulierung, in jener Zeit. Dies tat er sehr konsequent, auch deshalb, weil er nach der Wende schon wieder erleben musste, wie mit ihm und seinem literarischen Schaffen (aber auch das von anderen), nun inzwischen von Leuten in der PDS bzw. in der LINKEN, einige davon sitzen noch in verantwortlichen Positionen der LINKEN bis hin im Bundestag, umgegangen wurde.

      Über vier Jahre sind seit dem Tod meines Vaters vergangen. Was ist seither passiert? Wie wird man seinem literarischen Schaffen, weshalb er einst Geschichten über das Leben schrieb, gerecht? In welcher Art und Weise würdigt man seine Person? Sein 5. Buch "Friede im Osten" hatte er kurz vor seinem Tod beendet. Zur Veröffentlichung dieses Buches kam es nicht. Sein tatsächliches Anliegen wurde mit der Veröffentlichung des, wie es nun heißt, "Letztes Buch", erschienen über den Verlag "Das Neue Berlin", verfälscht. Früher nannte man es Druckverbot heute “als nicht beendet” oder auch “den letzten Schliff geben”. (In: ND vom 21.02.2014)

      Warum wurde es nicht so gedruckt, wie mein Vater es beendet hatte? Warum trägt es den Titel “Letztes Buch”? Warum blieben Seiten “verschwunden”? Welchen Grund gibt es dafür? Warum lehnt der Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung meine Unterstützung in der Erik-Neutsch-Stiftung ab?

      Soll ich meine Fragen unbeantwortet lassen? Ich wäre nicht die Tochter meines Vaters, wenn ich mich schweigend zurückziehen würde. Mit diesem Buch will ich der Wahrheit um das literarische Schaffen meines Vaters ein Stück näherkommen. Als Grundlage für mein Vorhaben dienen mir die Bücher meines Vaters, seine veröffentlichten politischen und literarischen Standpunkte, die mir zur Verfügung stehen, die persönlichen Briefe von meinem Vater an mich sowie die vielen gemeinsamen persönlichen Diskussionen und Erinnerungen mit ihm. In meinen Ausführungen komme ich nicht umhin, Ereignisse, die ich nach dem Tod meines Vaters erlebt habe, einfließen zu lassen. Es dient der Wahrheitsfindung.

      Marita Neutsch

      17.01.2018

      Das 5. Buch “Der Friede im Osten”

       Beendigung der langen Schreibpause

      Vier Bücher des Romanzyklus "Der Friede im Osten" waren in den Jahren von 1974 bis 1987 erschienen. Das waren "Am Fluss" (1.Buch, 1974), "Frühling mit Gewalt" (2.Buch,1978), "Wenn Feuer verlöschen", (3.Buch, 1982) und " Nähe der Grenze" (4.Buch, 1987). Die Grundstruktur der Konzeption für das 5.Buch "Plebejers Unzeit oder Spiel zu dritt" stand bereits 1988 fest.

      Fast 16 Jahre (!) sollten dennoch vergehen bis mein Vater an seinem großangelegten Epocheroman weiter schrieb. Weitere zehn Jahre dauerte es dann bis zur Beendigung des 5.Buches.

      Bedingt durch den Tod meiner Mutter im Oktober 1996, seiner geliebten Ehefrau, die er, seit der Schulzeit kannte und fast fünfzig Jahre zusammenlebte, hatte er jahrelang an diesem Roman nicht schreiben können. Er brauchte sehr viele Jahre um sich vor diesem Schicksalschlag zumindest etwas zu erholen. Viele Trauergedichte entstanden bis er sich mit der im Jahre 2003 veröffentlichten Erzählung "Verdämmerung", wie er sagte frei schrieb. Im gleichen Jahr, gelang es ihm auch seinen Roman " Nach dem großen Aufstand" zu veröffentlichen.

      Nun war er bereit, wie er meinte, seine Geschichte von Menschen weiterzuerzählen: "Schlicht oder verschlungen, vielgestaltig oder einfach, im Lärm großer gesellschaftlicher Prozesse oder in der Stille der Einsamkeit, und das stets so, daß man sich in meinem Text wie in einem Spiegel wiedererkennen und vielleicht sogar mit dem dort gezeigten Bildern identifizieren kann." (In: "Spur des Lebens", S. 127) Das aber war für ihn nur möglich "auf der Höhe der Zeit und in der Breite des Raums und - mit einer lesbaren - volks verbundenen Prosa." (ebenda, S. 127)

      Die Handlung des 5. Buches "Plebejers Unzeit oder Spiel zu dritt" verläuft in den siebziger Jahren. "Im Mittelpunkt stehen Achim und Ulrike, in der Gefährdung oder Bewährung ihrer Ehe. Den Hauptschauplatz nenne ich die Kunstindustrie, konkret die DEFA in Babelsberg und in Berlin. Eine Erzählung Achims, deren Inhalt teilweise in seinem Prosastil mitgeteilt wird, wird verfilmt, wobei als Vorlage meine Erfahrungen seinerzeit vom Szenarium bis zu den Dreharbeiten bei der "Spur der Steine" dienen. Daraus ergeben sich Begegnungen unterschiedlicher Art, mit den Akteuren, den Funktionären, den Ästhetikern. Zugleich ist Achim bereits im Wissenschaftsinstitut für Genforschung angekommen und unternimmt dort die ersten molekularbiologischen Experimente an der Drosophila. Ulrike wird an ihrem nicht weniger wichtigen Handlungsort gezeigt, der Zehnklassenschule, wo es ebenfalls zu Konflikten kommt." (In: "Spur des Lebens", S. 222 - 223)

      2006 äußerte sich mein Vater, er hatte gerade seine eigene Stiftung unter dem Dach der Rosa-Luxemburg-Stiftung gegründet, endlich auch wieder in der Öffentlichkeit zu seinem großen Vorhaben. So las ich im Interview der "Märkischen Allgemeinen", es war an seinem 75. Geburtstag, am 21.Juni 2006: "Inzwischen ist ja das Thema von "Friede im Osten" auch historisch, denn in den Büchern wird die DDR bis zu ihrem Niedergang beschrieben. Ursprünglich wollte ich den Roman 1985 enden lassen, zu einem Zeitpunkt, als ich meine Ideale vom Sozialismus in der Realität zunehmend beschädigt fand. Aber nun will ich die Geschichte bis `89 weiterführen." (In: "Märkische Allgemeine", 21.06.2006, S.7)

      Es freute mich, dass er wieder mehr, dabei hatte er die Unterstützung seiner Stiftung, in der Öffentlichkeit auftrat und aus seinem 5. Buch las. Er begegnete somit auch wieder seinen Lesern und erlebte viele interessante Diskussionen.

      Zwei neue Projekte

      Seit dem Weiterschreiben am 5. Buch gab es zwei längere Unterbrechungen. Was waren die Gründe dafür?

      Im Januar 2009 war mein Vater plötzlich mit einem ganz anderen Projekt beschäftigt. Sein ehemaliger Lektor, Klaus Walther, äußerte sich dazu: "Gegen Ende des Jahres 2008 klingelte mein Telefon. Es war Klaus Höpcke. Wir kannten uns gut aus der Zeit als Verlagslektor und waren uns auch später bei literarischen Gelegenheiten begegnet. Er fragte mich, ob ich die Reihe der Gesprächsbücher