Jay Baldwyn

Mechanical


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Zähnen von manchen als etwas unheimlich empfunden wurde.

      Der Vergnügungspark hatte bereits eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Im Juli 1907 hatte es aufgrund einer fortgeworfenen Zigarettenkippe einen verheerenden Brand gegeben. Zusätzlich war der Feuermelder falsch bedient und der Alarm dadurch erst später ausgelöst worden. Deshalb waren große Teile des Parks, einschließlich benachbarter Gebäude ein Raub der Flammen geworden.

      Nach dem Wiederaufbau ein Jahr später gab es neben dem Riesenrad zusätzlich einen Ballsaal und den Pavilion of Fun. In der wettergeschützten, stählernen Halle gab es viele Karussells und eine „Würstchenmaschine“. Draußen sorgte neben einer Achterbahn, Autoscooter und Autorennen ein Schwimmbad für Aufsehen.

      Tom hatte mit Daddy Autoscooter fahren dürfen und ganz allein auf einem Kinderkarussell, denn für die beliebtesten Bahnen Barrel of Love - „Liebestonne“ und Tunnel of Love - „Liebestunnel“, die junge Pärchen zum Schmusen einluden, war er noch zu jung. Zum Abschluss wollte Elmer seinem Sprössling einen Teddy schießen, was sich schwerer als erwartet herausstellte. Betty, die ein dringendes Bedürfnis plagte, ließ ihre eifrig beschäftigten Männer für kurze Zeit allein und suchte einen der öffentlichen Aborte auf.

      Als sie zurückkam, gab es keine Spur von Elmer und Tom. Der Schießbudenbesitzer meinte, die beiden zu einem der Stände weiterziehen gesehen zu haben, an denen man durch Geschicklichkeit und Zuhilfenahme eines Stoffballs Zylinder von Holzköpfen herunterwerfen konnte, aber genau konnte er es wegen des Besucherstroms nicht sagen. Um es nicht zu einfach zu machen, bewegten sich dort die bunt bemalten Köpfe mit Männergesichtern mehr oder weniger schnell von unten nach oben und zurück.

      Betty war wütend, dass Elmer nicht auf sie gewartet hatte. Der konnte was erleben, wenn sie ihn eingeholt haben würde. Nur, so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte ihrem Mann und ihrem Kind nicht näher kommen. Nicht einmal von weitem waren sie zu sehen.

      Langsam begann Betty unruhig zu werden, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass Elmer so weit vorausgegangen war. Abgesehen davon, dass er sehr eifersüchtig war und sie nie lange allein ließ, schon gar nicht an solch einem Ort, liebten sie sich aufrichtig und konnten kaum ohne den anderen sein. Auch Tommy wäre doch nie mitgegangen, ohne zu wissen, dass seine Mutter ihnen folgte. Irgendetwas stimmte nicht. Entweder sie lief ihnen ständig im Kreis hinterher, oder die beiden hatten sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Ein Gedanke, der sie erschauern ließ.

      Als sie einen ähnlichen Weg wie seinerzeit Shirley O’ Brien beschritt, indem sie einen Cop um Rat fragte, musste sie sich die gleichen dummen Fragen gefallen lassen. Ob ihre Ehe glücklich sei, oder sich der holde Gatte nicht vielleicht absichtlich aus dem Staub gemacht hatte? Und ihr wurden auch ähnlich tröstende Worte zuteil. Bestimmt sei ihre Familie schon zu Hause und warte bereits. Aber genau wie Shirley wusste Betty tief in ihrem Innern, dass es nicht so war.

      Die letzte Bude, an der man Bälle werfen konnte, erregte schon aus einer gewissen Entfernung Bettys Aufmerksamkeit. Dort standen ungewöhnlich viele Menschen bewegungslos, fast starr davor. Als Betty näher kam, wusste sie warum, denn in diesem Augenblick begannen einige Kinder bereits zu weinen und ihre Mütter hysterisch zu schreien. Einer der auf und ab fahrenden Köpfe, einer von denen, in deren abwechselnd offenen und geschlossenen Mund man hineinzielen sollte, hatte fast menschliche Züge angenommen. Der mechanisch betriebene Unterkiefer, der wie bei einer Kasperlepuppe ruckartig auf und zu klappte, hatte volle, natürliche Lippen und eine feuchte Zunge. Das Schlimmste waren nicht einmal die beiden dünnen Blutfäden, die an den Mundwinkeln herunterliefen, sondern die menschlichen Augen, die sich anstelle der Glasaugen im Kopf befanden. Das galt auch für die Nachbarpuppe, die deutlich kleiner war und die Züge eines Kindes trug. Als Betty erkennen musste, dass beide Elmer und Tom ähnelten, fiel sie in den Chor der schreienden Frauen ein. Nur, dass ihr zusätzlich die Beine versagten und sie kurz darauf rabenschwarze Finsternis umgab.

      Die Hochzeit von Tallulah und James war vergleichsweise bescheiden ausgefallen. Außer dem Personal und Rosalind, war niemand eingeladen worden. James war viel zu geschäftstüchtig, sein Geld für derlei Feste zu verschwenden. Tallulah hatte sich gefügt und schien als Ehefrau nicht einmal unglücklich zu sein. Sie wusste sich geliebt und wurde allseits ob ihrer Schönheit und ihrer zugänglichen Art bewundert. So manch einem der Herren im Publikum bescherte sie erotische Fantasien und feuchte Träume. James wachte wie ein Zerberus über seine schöne Frau, und was ihm entging, wurde von Rosalind bemerkt, die voll und ganz auf seiner Seite stand.

      Erste Schatten fielen auf die junge Ehe, als eine Showbühne auf der anderen Straßenseite den Magier Mr. Magic präsentierte. Einen mehr als gut aussehenden Mann, der trotz seiner bildhübschen Assistentin keine Gelegenheit ausließ, mit anderen Frauen zu flirten.

      Mr. Magic hieß mit bürgerlichem Namen Thadeus Wolinski und war in einem kleinen polnischen Dorf geboren worden. Schon als kleiner Junge hatte er als Einziger in der Familie nicht nur großes Interesse, sondern auch Begabung für Zauberkunststücke gezeigt. Nach jahrelangem Üben hatte er es zu einer gewissen Meisterschaft gebracht und war weit über die Grenzen seines Landes berühmt geworden. Sein Verhältnis zu seiner Assistentin Elsa hatte er recht bald durch eine Heirat legalisiert, damit sie ihm nicht von einem Anderen vor der Nase weggeschnappt wurde und damit auch als Bühnenpartnerin ausfiel.

      Beide waren nach spektakulären Auftritten in ganz Europa dem Ruf nach Amerika gefolgt. Dort hatte er seinen Künstlernamen Thawo kurzerhand in Mr. Magic geändert. Nach einem längeren Gastspiel im Steeplechase Park hatte Wolinski beschlossen, sich auf Coney Island dauerhaft anzusiedeln und zu diesem Zweck ein etwas heruntergekommenes Etablissement schräg gegenüber von James March gekauft, dessen einzige und großartige Attraktion er künftig sein wollte. Neben dem Showroom, in dem er seine Vorstellungen gab, konnten die Besucher sich auch an „verzauberten“ Räumen erfreuen, die nicht mehr als etwas größere Kammern waren, aber die unterschiedlichsten Überraschungen zu bieten hatten. So fanden sich Besucher mitunter in einem ganz anderen Bereich des Hauses wieder, nur indem sie durch eine Tür gegangen waren. Wie sie dabei eine Distanz von etlichen Metern überwanden, blieb eines der vielen Geheimnisse von Mr. Magic.

      Der unergründliche Pole, der ausgesprochen attraktiv war, wie es oftmals den Angehörigen dieser Nation zueigen ist, eroberte die Herzen der Damen im Sturm. Nicht nur sein ansprechendes Äußeres, sondern auch die geheimnisvolle Aura ließ so manche Zuschauerin vor Wonne und heimlichem Grusel in Ohnmacht sinken.

      Sein Zauberkabinett „House of Magic“, in dem auch die unterschiedlichsten Artikel für den Hausgebrauch angepriesen wurden, erfreute sich großer Beliebtheit und sorgte für lange Schlangen vor dem Eingang. Sehr zum Verdruss von James March.

      Ein weiterer ärgerlicher Umstand war die Schönheit von Elsa Wolinski, die ohne anzügliche Aufmachung auskam, und allein durch ihren Liebreiz und ihre wahrhaft zauberhafte Ausstrahlung ebenfalls den Männern leuchtende Augen bescherte. Damit schlug sie sogar James’ Schönheitstänzerinnen, und Tallulah musste sie als ernsthafte Konkurrenz begreifen.

      Als Tallulah schwanger wurde, ein Anlass, der normalerweise Freude aufkommen ließ, fühlte sie sich viel zu jung für eine Mutterschaft. Die Warnung Pythias hatte sie längst vergessen. Auch Rosalind konnte sich mit dem Gedanken, Oma zu werden, nicht recht anfreunden. Sie kannte ihre Tochter zu gut und hatte absolut keine Lust, sich noch einmal mit schmutzigen Windeln und Babygeplärr zu befassen.

      James war hin- und hergerissen. Einesteils konnte er nicht erwarten, einen Stammhalter zu bekommen, denn das es ein Junge werden würde, stand für ihn fest, andernteils sah er mit Sorge der Zeit entgegen, wenn Tallulah aufgrund ihrer Körperfülle nicht mehr auftreten können würde. Wer wollte schon eine halbnackte Schwangere sehen? Und so weit, Tallulah in seine Freakshow einzubauen, wollte er nicht gehen. Das hätte sie auch nie mitgemacht. Ihm würde also seine Hauptattraktion ausfallen. Die anderen Mädchen waren zwar auch knusprig und hatten ihre Verehrer, aber einen solchen Erfolg wie Tallulah konnten sie nicht vorweisen. In dieser Hinsicht hatte James sich nicht geirrt.

      Sein Irrtum bestand darin, aus Tallulah eine durchschnittliche Ehefrau und Mutter machen zu wollen, denn dazu war sie nicht geboren. Dementsprechend übel gelaunt war sie in der Zeit ihrer Schwangerschaft. Sie musste sich ständig übergeben und ganze