Dietrich Novak

Zehn kleine Mörderlein


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      »Wollt ihr das wirklich machen?«, fragte Marlies. »Irgendwie habe ich dabei ein komisches Gefühl.«

      »Du und deine Gefühle, Lieschen«, zog Hinnerk sie auf. »In Anwesenheit so vieler Kollegen wird uns schon nichts passieren.«

      »Ich verstehe Schmidtchen«, meinte Valerie. »So ganz koscher ist mir die Sache auch nicht. Das Ganze erinnert mich an den Film „Eine Leiche zum Dessert“. Da wollte auch jeder der Größte sein.«

      »Das war eine Parodie, Schatz. Oder hast du schon mal im realen Leben etwas von einer Köchin gehört, die ein Roboter war?«

      »Wenigstens sind alle Gäste am Leben geblieben. Im Gegensatz zu der Vorlage von Agatha Christie, wo niemand übrig bleibt.«

      »Das sind ja rosige Aussichten«, feixte Hinnerk.

      Zwei Tage später, an einem Sonntagnachmittag, flogen Valerie und Hinnerk vom Flughafen Schönefeld ab. Vor ihnen lag ein sechsstündiger Flug, der einen etwa dreistündigen Aufenthalt in Paris beinhaltete. Grund genug für Valerie, eine spitze Bemerkung darüber abzulassen.

      »Ganz so großzügig scheint dieser Mr. Finn nicht zu sein, sonst hätte er einen Direktflug springen lassen.«

      »Ich habe mich erkundigt. Es gibt keinen Direktflug von Berlin nach Lannion. Nicht einmal nach Brest. Und von dort sind es noch über eine Stunde Autofahrt«, meinte Hinnerk. »So machen wir einen Zwischenstopp in der Stadt der Liebe.«

      »Und was nützt uns das? Bis zum Eiffelturm und zurück werden wir es kaum schaffen.«

      »Das könnte bei der Verkehrslage knapp werden, aber was hältst du davon, wenn ich dich ins Café Eiffel zum Essen einlade? Dort soll es original französische Küche geben.«

      »Einverstanden. Dann bleibt mir wenigstens der Stress erspart, ob wir unseren Anschlussflug schaffen.«

      In Paris gelandet, wurden beide dann zum Teil entschädigt. Das Interieur des Café Eiffel stellte sich zwar als flughafentypisch heraus, aber immerhin hatte man von der elften Etage aus einen guten Rundblick. Und das Essen und der Wein waren mehr als annehmbar.

      Als sie gegen 21 Uhr in Lannion ankamen, stand ein Mietwagen bereit, mit dem sie zirka eine halbe Stunde bis zur Bucht des Hafenortes brauchten. Von dort aus setzte sie ein Boot zur Insel über.

      Valerie verschlug es angesichts des sandsteinfarbenen Schlosses mit seinen Rundtürmen und Rundbogenfenstern förmlich die Sprache, was selten vorkam.

      »Das ist ja wie im Märchen«, sagte sie anerkennend.

      »Und die Hexe ist auch schon im Anmarsch«, flüsterte Hinnerk.

      Denn empfangen wurden sie von der Hausdame Mrs. Denver, die mit ihrer in der Mitte gescheitelten Frisur, den verhangenen Augen und der dunklen Robe durchaus ins Bild passte.

      »Sie sind die Letzten«, sagte sie. Und es klang wie ein Vorwurf. »Die anderen Herrschaften haben sich schon im Rittersaal versammelt. Dort steht ein kleiner Imbiss für Sie bereit. Ich werde Sie zunächst dorthin führen, damit Sie sich bekannt machen können. Das Hausmädchen, Elsie, bringt Ihr Gepäck aufs Zimmer und wird Sie anschließend hinauf-führen.«

      Im großen Saal hatte sich eine illustre Menge versammelt. Der Altersdurchschnitt musste in etwa fünfzig Jahre betragen, wie Valerie mit Kennermiene bemerkte. Sie konnte sich kaum die vielen Namen merken, zumal die Vorstellungsrunde plötzlich unterbrochen wurde, als ein Mann vor einem schwarzen Hintergrund erschien, der die Anwesenden durch seine Gestik um Ruhe bat. Sein Haar leuchtete fast unnatürlich weiß, und er trug einen feinen, teuren Anzug. Auf seinem teigigen Gesicht breitete sich ein süffisantes Grinsen aus.

      »Welcome, Ladys und Gentleman. Bienvenue mesdames et messieurs. Willkommen, Damen und Herren! Ich bin Ihr Gastgeber Tigran Finn. Ich gehe davon aus, dass Sie vollzählig erschienen sind. Mrs. Denver wird das nachher anhand einer Liste überprüfen. Falls Sie sich noch nicht bekannt machen konnten, werden Sie später noch Gelegenheit dazu haben. Auch werde ich an einem der nächsten Tage noch etwas zu jedem Einzelnen von Ihnen sagen.«

      »Der ist nicht echt«, flüsterte Valerie Hinnerk zu. »Ich wette, er ist nur eine 3D-Projektion, ein Hologramm.«

      »Wenn Sie mich hier stehen sehen, bin ich vermutlich nicht mehr am Leben«, sprach Mr. Finn wie zur Bestätigung weiter. »Und es ist Ihre Aufgabe, meine Leiche, die sich noch auf der Insel befindet, und meinen Mörder zu finden, der mitten unter Ihnen weilt.«

      Ein Raunen ging durch den Saal.

      »Er oder sie wird es Ihnen nicht leicht machen und versuchen, sie nacheinander auszuschalten. Aber wer durchhält und vor allem überlebt, erhält ein Preisgeld in Höhe von 100.000 Euro. Der Scheck befindet sich dort in der kleinen Truhe. Wer jetzt schon kalte Füße bekommt, den muss ich leider enttäuschen. Eine Umkehr ist nicht mehr möglich. Für eine Woche wird kein Boot mehr von und zur Insel verkehren. Und ich darf Sie bitten, Ihre Handys, Smartphones, Tablets, Laptops und dergleichen Mrs. Denver auszuhändigen. Zuwiderhandlungen führen zur sofortigen Disqualifikation. Der hauseigene Telefon- und Internetanschluss ist deaktiviert. Sie werden also für sieben Tage von der Außenwelt abgeschnitten und ganz auf sich allein und Ihren berühmten Scharfsinn gestellt sein.«

      Die Unruhe im Saal nahm orkanartige Ausmaße an. Mr. Finn beziehungsweise sein Abbild machte eine beschwichtigende Geste.

      »Aber, aber, ich darf doch bitten! Verzeihen Sie mir den kleinen Spaß. Aber als reicher Mann hat man auch kein Geld zu verschenken. Vor allem, wenn man bereits tot ist. Und der Täter beziehungsweise die Täterin soll schließlich nicht ungestraft davonkommen. Noch ein paar letzte Anmerkungen möchte ich machen: Das Personal – die Hausdame Mrs. Denver, der Koch, Mr. Alex Porter, und das Hausmädchen, Elsie, – ist über jeden Verdacht erhaben und sollte nicht in Ihre Ermittlungen einbezogen werden. Am Morgen des siebten Tages wird der Notar, Mr. Morris, das Ergebnis Ihrer Ermittlungen abfragen, entsprechend überprüfen und dem Gewinner oder der Gewinnerin das Preisgeld aushändigen. Ich wünsche noch einen schönen Abend und Ihnen allen viel Erfolg!«

      Das Hologramm begann, zu flackern und sich dann aufzulösen. Jetzt war es endgültig mit der Beherrschung der Anwesenden vorbei. Alles sprach wild durcheinander.

      »Ich brauche erst einmal ein großes Glas Wein«, sagte Valerie. »Du auch?«

      »Wir sollten einen klaren Verstand bewahren, damit wir morgen nicht tot aufwachen.«

      »Wie schön, dass du deinen Humor nicht verloren hast. Ich kann gar nicht so viel trinken, wie ich kotzen könnte. Und falls wir diesen Irrsinn überleben, werde ich Dr. Zeisig die Flötentöne beibringen. Das kannst du mir glauben. Der hat das alles scheinbar nicht genügend hinterfragt. Oder er legt es darauf an, uns loszuwerden.«

      »Ich würde dringend davon abraten, das zu trinken«, sagte ein makellos gekleideter, älterer Herr mit einem viel zu großen Kopf für seinen schmächtigen Körper. Sein gezwirbelter Schnurrbart, die schwarz gefärbten, pomadisierten Haare und seine gestelzte Aussprache zusammen mit dem französischen Akzent gaben ihm etwas Dandyhaftes, fast Lächerliches. »Ich darf mich kurz vorstellen: Mein Name ist Hector Oiseau.«

      »Angenehm, Hauptkommissar Lange, und das ist meine Frau Valerie Voss, ebenfalls Hauptkommissarin.«

      »Enchanté, Madame.«

      »Sie sind Franzose?«, fragte Hinnerk.

      Monsieur Oiseau verzog angewidert das Gesicht.

      »Nein, ich bin gebürtiger Luxemburger, lebe aber in London.«

      »Dann arbeiten Sie für Scotland Yard?«

      »Nicht für den Yard, aber gelegentlich mit ihm zusammen. Ich bin Privatdetektiv.«

      »Wie interessant. Dann brauchen Sie im Gegensatz zu uns nur die Fälle zu übernehmen, die Sie interessieren. Warum warnen Sie uns vor dem Wein? Glauben Sie, er könnte vergiftet sein?«

      »In diesem Haus halte ich alles für möglich.«

      »Aber es haben