Dietrich Novak

Zehn kleine Mörderlein


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Die ältere Dame stellte sich als Miss Margaret Clarke aus Molesworth, einem Dorf in der Grafschaft Cheshire, vor, der leicht schnöselig wirkende jüngere Mann als Dr. Klaus-Gustav Wörner aus Ulm, der italienische Beau als Carlo Moretti aus Mailand und der Blonde mit dem markanten Gesicht als Oscar Wallin aus Stockholm. Der Pfarrer oder Pastor schien einen gesegneten Schlaf zu haben, denn er kam erst später. Das galt auch für Marita Berg und den Richter Laurenz Markgraf, die als Letzte erschienen.

      Valerie saß neben dem blonden Kommissar aus Stockholm, der schon vor dem Frühstück irgendwelche undefinierbaren Pillen schluckte. Außerdem hatte er eine leichte Alkoholfahne, wie Valerie auffiel.

      »Ich höre, Sie kommen aus Stockholm«, sprach sie ihn an. »Meine Mutter hat in der Västerlånggatan in der Altstadt Gamla Stan ein Antiquitätengeschäft.«

      »Ja, da gibt es einige nette, kleine Läden. Ich bin öfter dort, weil ich alte Dinge schätze und liebe. Meine Frau hatte dafür leider kein Verständnis.«

      »Warum hatte? Lebt sie nicht mehr?«

      »Doch, sie erfreut sich bester Gesundheit. Wir sind geschieden.«

      »Schade. Das war ich auch. Aber ich habe meinen Mann ein zweites Mal geheiratet.«

      »Das soll gelegentlich vorkommen, ist bei uns aber ausgeschlossen. Ich gehe davon aus, dass Ihre Mutter eine Deutsche ist. Was hat sie nach Stockholm verschlagen?«

      Valerie lachte.

      »Nein, Tyra ist ebenso in Schweden geboren wie ich. Ich bin nur in Deutschland aufgewachsen.«

      »Sind Sie gebürtige Stockholmerin?«

      »Nein, meine Mutter stammt aus Malmö, und dort habe ich auch das Licht der Welt erblickt.«

      »Interessant, dort habe ich am Anfang meiner beruflichen Laufbahn als Polizist gearbeitet. Dann haben Sie schwedisches Blut in den Adern. Werden Sie irgendwann nach Schweden zurückgehen?«

      »Das ist gut möglich. Zum Beispiel, wenn mir Tyra ihren Laden vererbt.«

      Hinnerk räusperte sich.

      »Mein Mann hört das nicht gerne. Andererseits weiß er, dass ich immer das tue, was mir gefällt. Haben Sie Kinder, Herr Wallin?«

      »Ja, eine Tochter. Sie eifert mir beruflich nach. Aber anders als mein Vater akzeptiere ich das.«

      »Ich kenne das Problem. Unser Sohn Ben ist auch nicht mit unserer Berufswahl einverstanden. Und meine Mutter lässt keine Gelegenheit aus, sie mir vorzuwerfen.«

      »Hätten Sie lieber ins Antiquitätengeschäft einsteigen sollen?«

      »Wie? Ach so, ich meine nicht Tyra, sondern Karen, meine Adoptivmutter. Aber das ist eine andere Geschichte.«

      »Es ist sicher nicht einfach, zwei Mütter zu haben.«

      »Mitunter, doch es gibt Schlimmeres.«

      Während Valerie sich mit Kommissar Wallin unterhielt, versuchte Hinnerk, sich ein Bild von den anderen Teilnehmern zu machen. Miss Clarke, die Valerie etwas respektlos als die Alte bezeichnet hatte, machte einen auffällig harmlosen Eindruck. Man hätte sie in Deutschland durchaus als Kaffeetante bezeichnen können. Ihre eisgrauen Löckchen und die vielen feinen Fältchen ließen sie als liebe Oma erscheinen. Doch dazu passten die wachen hellen Augen nicht, denen nichts im Raum und an ihren Mitmenschen entging. Als sie ihr Tischnachbar korrekt mit Ms Clarke ansprach, verbesserte sie ihn sogleich.

      »Oh, sagen Sie bitte Miss. Ich bin stolz darauf, ein Fräulein zu sein und schätze die neue Bezeichnung, die nicht erkennen lässt, ob es sich um eine ledige oder verheiratete Frau handelt, nicht sehr. Außerdem befürchte ich immer, dass bei „Ms, also in der Lautsprache mizzz die Spucke meines Gegenübers in meinem Gesicht landet.«

      Der schnöselige Typ machte ein Gesicht, als hätte man ihn nicht nur verbal abgewatscht. Dr. Wörners Augen blickten ebenso wachsam, aber eher ein wenig ruhelos, hinter seinen Brillengläsern. Sein an sich hübsches Gesicht ließ ihn durch einen stets leicht arroganten Ausdruck weniger sympathisch wirken, stellte Hinnerk fest.

      Der schwarzhaarige Commissario Moretti, den Valerie als melancholisch aus der Wäsche guckend beschrieb, machte durch seine weichen Gesichtszüge und den offensichtlich ebenfalls gefärbten Haaren einen fast geschlechtsneutralen Eindruck. Die piepsige Stimme verstärkte das noch. Dagegen sah Heiko fast wie ein Bauarbeiter aus.

      Als Father Green dann endlich erschien, betrachtete Hinnerk auch ihn interessiert. Der Gottesmann hatte ein pausbäckiges Gesicht mit leicht geröteten Wangen, als käme er gerade aus der Sommerfrische oder wäre im Dauerlauf zur Tafel gekommen. Sein schwarzes Gewand spannte über dem Bauch. Er war also den leiblichen Genüssen durchaus zugetan. Inwiefern er mit seinen Hobbyermittlungen erfolgreich war, konnte Hinnerk nicht beurteilen, denn zur Recherche fehlte ihm sein Smartphone.

      Valerie zog es nach draußen. Sie wollte nach dem Frühstück unbedingt die Insel erkunden. Hinnerk war mittlerweile derart in ein Gespräch mit dem irischen Priester vertieft, dass er noch bleiben wollte. Er würde später nachkommen, meinte er.

      Valerie war noch nicht lange unterwegs, als ihr Miss Clarke begegnete.

      »Wie schön, meine Liebe, dass ich Sie treffe«, sagte die alte Lady. »Ist das nicht ein wahres Paradies? So recht ein Ort zum Sterben.«

      »So eilig habe ich es damit eigentlich nicht«, meinte Valerie.

      »Ich weiß, Sie haben ja auch noch mehr als das halbe Leben vor sich. Ich könnte mir für mich vorstellen, inmitten der herrlichen Landschaft meine letzte Ruhe zu finden. Will aber gerne noch etwas warten und schon gar nicht durch Mörderhand enden. Es gibt hier zwei Sandstrände und sehr romantische Felsküsten. Trotz der salzhaltigen Luft gedeihen auf der Insel über zweihundert unterschiedliche Baum-, Strauch- und Blumenarten. Wussten Sie, dass der Erbauer des Schlosses der Autor des berühmten Romans Quo Vadis ist?«

      »Nein, bisher nicht. Verzeihen Sie, wenn ich das sage, aber warum genießen Sie nicht Ihren wohlverdienten Ruhestand, statt hier auf Mörderjagd zu gehen?«

      »Ich kann nicht anders. Das ist meine Leidenschaft. Sehr zum Verdruss von Inspector Cook. Dabei habe ich ihm schon geholfen, mehrere Mordfälle aufzuklären. Gelernt habe ich das nicht. Ich war nie in Diensten der Polizei und betreibe es nur hobbymäßig. Bei uns in Chester gibt es nämlich den Thursday Night Club, eine Diskussionsrunde, die sich mit ungeklärten Verbrechen befasst.«

      »Wie kommt es, dass Sie so gut Deutsch sprechen?«

      »Finden Sie? Danke. Ich hatte eine deutsche Erzieherin, müssen Sie wissen.«

      »Ach daher. Und, haben Sie schon eine Ahnung, wo sich die Leiche von Mr. Finn befinden könnte?«

      »Ich habe da so meine Vermutung. Eher im Haus als hier draußen, wenn Sie mich fragen. Das wäre zu auffällig gewesen.«

      »Wissen Sie, was ich mich die ganze Zeit frage? Wie konnte dieser Mr. Finn so sicher sein, ermordet zu werden?«

      »Vielleicht, weil er den Mörder und dessen Motive kannte.«

      »Aber warum hat er ihn dann nicht angezeigt und sich in Sicherheit gebracht?«

      »Ich denke, weil er insgeheim der Meinung war, den Tod verdient zu haben. Er wird auch nicht wirklich davon überzeugt gewesen sein, dass einer von uns den Täter überführt. Dafür spricht auch das verhältnismäßig hohe Preisgeld. Vielmehr dürfte es seine Intension sein, uns alle lächerlich zu machen und uns Unfähigkeit zu bescheinigen. Außerdem glaube ich, dass mindestens einer der Gäste sich eine falsche Identität zugelegt hat. Ich meine, außer dem Mörder.«

      »Das ist ein interessanter Gedanke. Die nächsten Tage werden zeigen, ob einer sein Gesicht verliert.«

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