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heute ist nicht Ihr Tag, das sieht man deutlich. Entspannen Sie sich. Falls Sie keine Ostereier suchen, ist das nicht schlimm. Ich habe noch nie gehört, dass Hasen Eier legen, höchstens in Ausnahmefällen. Man sucht gewöhnliche Hühnereier, die hartgekocht und gefärbt sind und in allen Regenbogenfarben leuchten. Das ist natürlich ein Kinderspiel, und wenn Sie es als Kind nicht gelernt haben, ist das nicht Ihre Schuld, sondern die Ihrer Eltern. Ihre Eltern haben damals den Zug verpasst und ließen ihr Kind in einer misslichen Lage zurück, ohne fröhliches Ostereiersuchen. Verstehen Sie jetzt, wie wichtig es ist, zu rechter Zeit das Rechte zu tun?“

      Die Kassiererin Tanja händigte mir die Fahrkarte aus und setzte fort:

      „Ihr Zug fährt um zweiundzwanzig Uhr fünfundvierzig. Bevor Sie zum Bahnhof fahren, überprüfen Sie, ob Sie alles eingepackt haben, was Sie unterwegs brauchen. Wenn Sie etwas zu Hause liegen lassen, werden Sie Ihre Arbeit nicht erledigen können, was Sie sich dann ewig vorwerfen werden. Seien Sie also besonders aufmerksam. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt und viel Erfolg bei der Arbeit. Denken Sie daran, dass jeder Schritt, den Sie heute machen, Sie in Ihre Zukunft führt. Wo aber diese Zukunft liegt, hängt von der Richtung Ihrer heutigen Schritte ab. Leben Sie wohl.“

      Mit den letzten Worten schloss sie ihren Schalter, indem sie ein Schild aufstellte: „Mittagspause 12:00 – 12:45 Uhr“. Dann ging sie, ihre formprächtigen, durch den engen Uniformrock betonten Hüften sanft hin- und herwiegend.

      Völlig durcheinander entfernte ich mich von dem Schalter, wobei ich die von Tanja ausgehändigte Fahrkarte immer noch in der Hand hielt. Ich führte sie an die Augen und las, was ich vor fünf Minuten gehört hatte: „Zugticket Iwanowo – Swiburg, Abfahrt am 10.08.2018 um 22:45 Uhr, Ankunft am 11.08.2018 um 08:45 Uhr.“

      „Ich bin morgen geboren!“, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. „Morgen ist doch mein Geburtstag! Und zwar genau um 08:45 Uhr. Was für ein Zufall!“ Dieser Gedanke wurde sogleich von einem anderen verjagt: „Ich wollte doch eine Fahrkarte für morgen, und sie hat mir eine für heute ausgestellt. Ich wollte ja morgen mit meinen Freunden ein wenig in einem Café feiern, bevor ich zum Bahnhof fahre. Dieses Weib hat mich mit seinem Geschwafel völlig aus dem Konzept gebracht – wie konnte ich das bloß zulassen? Die Fahrkarte muss umgetauscht werden.“

      Ziellos wanderte ich durch die Bahnhofshallen, um mir die Zeit bis zum Ende der Mittagspause irgendwie zu vertreiben, und stand dann pünktlich um 12:45 Uhr vor dem vertrauten Schalter. Zu meinem Erstaunen saß hinter dem Schalter eine ganz andere Frau. Ich reichte ihr die Fahrkarte und fragte verwirrt:

      „Wo ist denn Tanja, die hier noch vor der Mittagspause saß?“

      „Tanja hat den Schwangerschaftsurlaub angetreten“, antwortete die etwas jüngere Frau und teilte mir vertrauensvoll etwas meiner Meinung nach vollkommen Überflüssiges mit: „Sie erwartet Drillinge. Das wird lustig, wenn sie zur Welt kommen! … Was möchten Sie denn? Stimmt etwas mit der Fahrkarte nicht?“

      „Mit der Fahrkarte …“, wiederholte ich gedehnt, immer noch mit der Nachricht beschäftigt. „Ach so, die Fahrkarte. Ich wollte eine Fahrkarte für morgen haben, Tanja hat mir aber eine für heute verkauft. Ich habe morgen Geburtstag und möchte die Fahrkarte umtauschen, damit ich mit meinen Freunden noch feiern kann.“

      „Ihre Fahrkarte ist vollkommen in Ordnung“, teilte mir die neue Kassiererin mit, die laut ihrem Namensschild Lida hieß, und warf mir durch das Glas einen spitzbübischen Blick zu. „Das ist der letzte Zug. Laut Stundenplan fährt morgen kein Zug nach Swiburg.“

      „Wann kommt denn der nächste? Übermorgen wahrscheinlich?“ Ich wollte nicht aufgeben.

      „Den nächsten will er haben“, murmelte Lida hinter dem Schalter, wobei sie etwas auf dem Bildschirm ihres Computers suchte. „Der nächste fährt erst nach Silvester, im Januar also.“

      „Was heißt hier im Januar?“, fragte ich bestürzt. „Gibt es bis Januar gar keine Züge mehr?“

      „Mal schauen“, antwortete die freundliche Lida bereitwillig. „Es gibt schon Züge, aber Sie müssten umsteigen. Sie wollen doch nicht umsteigen?“

      „Doch“, antwortete ich gereizt. Ich fand diese Geschichte gar nicht lustig. „Doch, ich will umsteigen, falls Sie mir mitteilen würden, wie oft und wo und wie viel Zeit mir dadurch verloren geht.“

      „Ja, ja, selbstverständlich“, sagte die Kassiererin Lida, und ihre gepflegten Finger mit den farbig lackierten Nägeln begannen, hastig auf der Tastatur zu trommeln. Irgendwann machte sie den letzten Anschlag, worauf aus dem Drucker ein Blatt Papier mit den Antworten auf alle meine Fragen erschien. „So. Wenn Sie einmal umsteigen wollen, fahren Sie über Moskau.“

      „Wie, über Moskau?“, wunderte ich mich. „Bis Moskau ist es von hier aus zweimal so weit wie bis Swiburg. Ist das kein Fehler?“

      „Wir machen keine Fehler“, sagte Lida eingeschnappt. „Man steigt immer in Moskau um. Das muss man doch wissen. Moskau ist die Hauptstadt unseres Landes, jeder sollte sich das hinter die Ohren schreiben.“

      „Schon gut, schon gut“, sagte ich beschwichtigend, „ich habe es mir hinter die Ohren geschrieben. Gibt es weitere Varianten?“

      „Wir bieten immer Alternativen an, da wir mit modernsten Technologien arbeiten. Schauen Sie, wir haben sogar ein Qualitätszertifikat.“ Stolz wies sie mit ihrem Finger auf etwas hinter ihrem Rücken. Dann schaute sie erneut in ihre Liste, fand die nächste Zeile und blickte zu mir auf: „Wobei ich nicht glaube, dass die zweite Variante Ihnen gefallen würde.“

      „Nur zu“, erwiderte ich ungeduldig. „Schießen Sie los!“

      „Also gut. Von Iwanowo fahren Sie nach Moskau, von dort aus nach Warschau, und dann direkt nach Swiburg, ohne umzusteigen.“

      „Sagen Sie mal, Warschau ist doch schon Polen?“ Ich kam mir wie ein Trottel vor.

      „Ja, Warschau ist die Hauptstadt Polens“, glänzte Lida mit ihren Erdkundekenntnissen und fügte hinzu: „Machen Sie sich keine Sorgen. Sie erhalten von uns einen Voucher für die Transitreise durch Polen. Sie dürfen bloß nicht aus dem Zug aussteigen, aber Sie können sich Warschau durch das Fenster anschauen. Das ist eine sehr schöne Stadt.“

      Ihre laut gestellte Frage rettete mich aus meinem schockähnlichen Zustand:

      „Nun, was möchten Sie denn? Ein Ticket über Warschau?“

      „Wie lange dauert eine Fahrt mit Umsteigen?“, erkundigte ich mich etwas ratlos.

      „Also, Sie würden am 11. August losfahren und am 14. August ankommen. Insgesamt sind das sechzig Stunden. Sie können sich glücklich schätzen, da es ein Schnellzug ist, der rasch vorwärtskommt.“

      „Lida, ich danke Ihnen für die Informationen, aber ich fahre doch lieber heute“, beschloss ich.

      „Das ist eine richtige Entscheidung. Wozu sechzig Stunden für die Fahrt verschwenden, wenn es von hier aus nach Swiburg bloß dreihundertfünfzig Kilometer sind! Aber verpassen Sie den Zug nicht – und packen Sie alles Notwendige ein.“

      Ich dankte der jungen Frau und entfernte mich von dem Schalter. Nachdem ich die Fahrkarte ganz tief in die Innentasche gesteckt hatte, steuerte ich den Ausgang an. Es gab noch viel zu tun: Ich musste in der Redaktion vorbeischauen, um einige Formalitäten zu erledigen, meine Freunde anrufen und mich für die platzende Geburtstagsfeier entschuldigen, zu Hause meinen Koffer raussuchen, der erst noch gepackt werden wollte …

      Am Abend bestellte ich telefonisch ein Taxi, ging hinunter und lehnte mich in Erwartung des Wagens an einen Baum, der in der Nähe des Hauseingangs wuchs. Nach der Hitze, die am Tag geherrscht hatte, kam jetzt ein leichter Wind auf, der den Wetterumschwung ankündigte. Es war warm und still. Das Taxi kam um die Ecke und näherte sich so leise, dass ich es nicht bemerkte.

      „Wollen Sie zum Bahnhof?“, donnerte es unerwartet in mein Ohr. Ich zuckte überrascht zusammen, nickte und knurrte verärgert:

      „Sie brauchen nicht zu brüllen,