gefeiert. Irgendwo am Elbdeich wurde erst mal ein Badeplatz gesucht und gebadet, halb sehnsüchtig den ausfahrenden Seeschiffen nachgeschaut, und abends ging es dann auf den Tanzboden. Irgendwo war immer so ein Vergnügen. Die Zeit ging viel zu schnell vorbei, aber ich hatte in diesen elf Tagen alles aufgeholt, wozu die anderen Schüler zwei Monate gebraucht hatten. Ich war meinem Freund sehr dankbar. Am 1. Juli war die Prüfung, d. h. ich wurde geprüft, ob ich den Kursus mitmachen könne. Es klappte alles, und so konnte ich in den zweiten Kursus einsteigen. Während meiner Schulzeit wohnte ich in Cranz und fuhr jeden Morgen nach Hamburg. Im September fingen die Prüfungen mit den schriftlichen Examensarbeiten an. Wir hatten drei mal acht Stunden Zeit dazu, aber ich war mit acht Stunden und 13 Minuten fertig und hatte fehlerfrei gearbeitet. Auch die mündliche Prüfung klappte wie an Schnürchen, und ich bestand mit "sehr gut".
Die Reederei H. M. Gehrkens forderte mich wieder an und schickte mich nach Lübeck, wo ein neues Schiff im Bau war. Diesen Bau musste ich beaufsichtigen. Das dauerte drei Wochen, und von Travemünde aus wurde die Probefahrt gemacht. Auf diesem neuen Schiff wurde ich erster Offizier und bekam nun 115 Mark Heuer.
Die erste Fahrt mit der "HAPARANDA" machten wir nach Sundsvall (Schweden) und holten dort eine Holzladung für Bremen. Die Maschine hatte 1100 PS. Dieses Schiff war mit Eisenverstärkung gebaut und hauptsächlich für die Finnlandfahrten so verstärkt worden, dass wir auch im Winter bei Eis dorthin fahren konnten.
Auf der Reise nach Sundsvall - es war in Oktober - war es schon ziemlich kalt, und unterwegs bekamen wir einen schweren Schneesturm. Bei starkem Schneetreiben fuhren wir durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal. Am 4.11.1903 um vier Uhr ging es durch die Brunsbütteler Schleuse. Zeitweise konnte man nichts sehen, so unsichtig war es, und plötzlich um acht Uhr morgens gab es einen Ruck. Wir waren durch das unsichtige Wetter und Stromversetzung bei Altenbruch, fünf Seemeilen vor Cuxhaven, auf Stack gelaufen. Es war gerade Hochwasser, und die Ebbe setzte ein. So blieb das Schiff dort sitzen. Die Bergungsdampfer waren sofort zur Stelle, aber das nützte nicht viel, wir mussten erst das neue Hochwasser abwarten. Bei Niedrigwasser war das Schiff vorn ganz trocken, und achtern war das Deck unter Wasser. So bestand Gefahr, dass es durchbrach. Nun wurde erst mal Schiffsrat abgehalten und beschlossen, einen Teil der Ladung über Bord zu werfen, um das Schiff leichter zu machen. Hinten wurde ein großer Anker ausgebracht, um den Winden zu helfen. Das Holz, das wir über Bord warfen, trieb bei Altenbruch an den Strand. Die Bewohner hatten das gleich spitz bekommen und schleppten das Holz über den Deich. Für sie war das Strandgut, sie glaubten ein Recht zu haben, sich das Holz anzueignen. Für diese Strandpiraten war das ein schönes, unverhofftes Geschäft. Beim nächsten Hochwasser wurde das Schiff mit sechs Bergungsschleppern geschleppt, d. h. erst versuchten sie den Dampfer frei zu bekommen. Viele Zuschauer hatten sich inzwischen eingefunden, und uns war das Glück hold, wir kamen frei und konnten im tiefen Wasser erst mal ankern. Später dampften wir dann mit eigener Kraft nach Hamburg. Ein Schlepper begleitete uns auf dieser Fahrt. Nun musste die Ladung gelöscht werden, und dann mussten wir ins Dock (Stülcken-Werft), denn die HAPARANDA hatte einen ziemlich großen Bodenschaden bekommen. Neun Platten und Spanten mussten eingesetzt werden. Die Reparatur nahm viel Zeit in Anspruch, und es wurde Dezember, bis wir wieder fahren konnten. Trotzdem dampften wir erst am 4. Januar 1904 nach Bremen, um unsere Holzladung dort zu löschen. Die ganze Mannschaft war natürlich froh, dass sie Weihnachten und Neujahr bei ihren Familien sein konnte, denn das kommt bei den Seefahrern höchst selten vor. Die Seeamtsverhandlung musste nun auch noch die Schuldfrage der Havarie klären, aber die Verhandlung lief für uns gut aus. Man führte den Unfall auf die schlechte Sicht und Stromversetzung zurück. Der Schaden musste also von der Versicherung getragen werden.
Am 12. Januar 1904 waren wir wieder im Hamburger Hafen, und dort wurde unser braves Schiff wieder für die Finnlandfahrt zurechtgemacht. Diese Reisen wiederholten sich nun in steter Folge, es wechselte das Wetter, es wechselten die Jahreszeiten, es gab ruhige und sehr stürmische Reisen, aber keine nennenswerte Zwischenfälle.
Und doch passierte auf der HAPARANDA etwas, das aber mit dem Schiff nichts zu tun hatte und wobei unser Kapitän beinahe uns Leben gekommen wäre, aber das muss ich mal genau erzählen. Am 4. Juli 1905 kamen wir in Valkum bei Lovisa in Finnland an, um dort Holz für Bremen zu holen. In diesen Holzhäfen ist nicht viel los, und jeder gestaltet sich seine Freizeit nach eigenem Geschmack. Unser Kapitän Fock war ein großer Jäger vor dem Herrn und ging deshalb auch bei jeder Gelegenheit zur Jagd. Mit seinem kleinen Foxterrier, der ihn auf allen Reisen begleitete, fuhr er eines Tages mit dem Arbeitsboot los, um Enten zu schießen. Als unser Kapitän aber abends um sechs Uhr noch immer nicht an Bord zurückgekehrt war, machten wir uns echte Sorgen, und unruhig hielten wir nach dem Boot Ausschau. Um sieben kam dann endlich das Boot angesegelt, der Hund bellte, aber von unserem Kapitän war nichts zu sehen. Wir sahen nur einen fremden Mann, der das Boot längsseits brachte. Es war ein Finne, der das Boot steuerte. Als das Boot dann neben unserem Schiff lag, sahen wir unseren Kapitän leichenblass unten im Boot liegen, und wir glaubten, er sei tot. Was war da geschehen, so fragten wir uns. Nun, wir erfuhren es dann später.
Kapitän Fock war also losgefahren, um Enten zu schießen. Beim Segeln lag sein Gewehr mit dem Lauf nach hinten auf der Bank, er selbst saß am Ruder. Als er die ersten Enten sah, wollte er gleich einmal sein Heil versuchen, nahm das Gewehr auf, aber der Hahn hakte irgendwo, und ein Schuss ging vorzeitig los und traf den Kapitän in den Oberschenkel. Er muss dann gleich ohnmächtig geworden sein, jedenfalls wurde er später bewusstlos aufgefunden. Der kleine Foxel, der mit großer Liebe an seinem Herrchen hing, fing fürchterlich an zu winseln und bellte dann so laut er konnte. Schließlich wurde der Finne, der in seinem Segelboot unterwegs war, durch das Bellen aufmerksam und segelte in die Nähe des Bootes. Die Segel flatterten im Wind, und je näher der Mann an das Boot kam, desto unruhiger gebärdete sich der Hund. Als der Finne dann sah, was passiert war, nahm er das Boot in Schlepp und brachte es zu uns. Der kleine Hafen verfügte weder über ein Motorboot, noch gab es einen Arzt dort. So ließ ich in Lovisa anrufen und einen Krankenwagen bestellen, der den Verunglückten gleich ins Krankenhaus bringen sollte. Ich segelte dann auch gleich mit dem todkranken Kapitän nach Lovisa, wo der Krankenwagen schon auf uns wartete. Ich wollte unseren Chef gleich nach Helsingfors transportieren lassen, aber der Arzt ließ es nicht zu, weil der Blutverlust zu groß war. Ich bat aber den Arzt, die Überweisung nach Helsingfors sobald als möglich zu veranlassen. Die Reederei wurde von dem Unfall unterrichtet, und nun sollte ich als 21jähriger das Kommando über das Schiff übernehmen und es nach Bremen bringen.
Frau Fock reiste dann mit dem nächsten Schiff nach Finnland, um bei ihrem kranken Mann sein zu können. Nach einiger Zeit konnte Kapitän Fock nach Helsingfors gebracht werden. Er kam dort ins Stadtkrankenhaus, wo ihn Professor Beselin behandelt hat. Trotz aller Mühe konnte aber auch der Professor das Bein nicht retten, es musste bis zum Knie abgenommen werden. Das Fleisch des Oberschenkels war auch zum Teil durch den Unfall verletzt. Um die großen Wunden schließen zu können, ließ sich Frau Fock aus ihrem Bein Hautstücke herausschneiden, die auf das verletzte Bein ihres Mannes verpflanzt wurden. Nach sechs Wochen schlossen sich dann auch die Wunden, und nach weiteren sechs Wochen konnte man an eine Überführung nach Hamburg denken. Es dauerte aber noch viele Monate, bis Kapitän Fock eine Prothese bekommen konnte, und die ersten Gehversuche strengten ihn sehr an. Er hat dann aber später noch manches Jahr als Kapitän auf der Brücke gestanden, und als er sich zur Ruhe setzte, bastelte er in seinen Mußestunden Schiffe, auch Modelle der Schiffe, auf denen er bei seiner Reederei gefahren ist. Die finnischen Zeitungen waren seinerzeit voll von den Berichten, und der kleine Foxel als Lebensretter spielte in den Berichten die größte Rolle.
Ich durfte dann noch zwei Reisen als Kapitän der "HAPARANDA" nach Finnland fahren und war glücklich, dass mir dieses Vertrauen geschenkt wurde.
Bis September 1906 bin ich noch auf vielen anderen Schiffen meiner Reederei gefahren, wie "PITEA", "LULEA", "SÖDERHAMN", "STOCKHOLM" und habe immer Glück auf meinen Fahrten gehabt. Am 18. September 1906 wurde ein neues Schiff in Lübeck gebaut und nach Fertigstellung in Dienst gestellt. Es war wieder ein sogenanntes Eisschiff, extra für Finnlandreisen gebaut. Für einen Monat wurde ich nach Lübeck geschickt, um den Bau zu beaufsichtigen. Die Probefahrt des Dampfers, den man auf den Namen "SUOMI" taufte - Suomi heißt auf Deutsch Finnland