Helen Dalibor

Die Rollen des Seth


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der Matrosen war. Es musste ein furchtbares Leben sein. Obwohl Masut nur wenig mitbekommen hatte, war ihm nicht entgangen, dass Johann nicht glücklich mit seinem Leben war.

      "Komm mit", kam es aus Masuts Mund, bevor er über die Worte nachdenken konnte. Johanns Augen wurden groß und größer vor Verwunderung, dann lächelte er.

      "Meinst du wirklich? Ich soll euch begleiten?" Sein Lachen verschwand so schnell, wie es auf sein Gesicht gekommen war, dann wandte er sich traurig ab. "Es geht nicht. Ich sehe völlig anders aus."

      Der Ägypter legte seinem Freund mitfühlend eine Hand auf die Schulter. Er musste seinem Freund helfen, wenn er ihn nicht enttäuschen wollte. Er spürte die Traurigkeit, die sein Gegenüber erfasst hatte. Wie sollte er ihm helfen? Er trat einen Schritt zurück und betrachtete Johann. Der Junge war von schmaler Statur, hatte strohblonde Haare und eine helle Haut. Ein schwarzer Strich ging über sein Gesicht. Mit dieser blassen Haut würde Johann nie mit ihnen kommen können. Doch so schnell gab Masut nicht auf. Wenn sein Freund mit ihm kommen wollte, sollte es nicht an seinem Aussehen scheitern. Noch einmal betrachtete er Johann. Die Farbe seiner Haut musste dunkler werden, daran bestand kein Zweifel. Der dunkle Strich, der Johanns Gesicht durchzog, fiel ihm ins Auge. Er fuhr über den dunklen Fleck und sah sich seinen Finger an. Dunkler Staub haftete an diesem, den er nun verrieb bis er verschwunden war.

      "Was ist das?", fragte er, da er keine Vorstellung davon hatte, wie Johann unauffällig das Schiff verlassen konnte. Der dunkle Fleck hatte aber einen Gedanken in seinem Kopf ausgelöst, der langsam zu einer Idee heranreifte.

      "Kohlenstaub. Ich musste Kohle schippen, damit der Kapitän es in seiner Kajüte warm hat. Ihr natürlich auch. Warum fragst du?"

      "Mir ist eine Idee gekommen. Du wirst mit mir das Schiff verlassen, wie ich gesagt habe".

      "Und wie? Sag's mir!"

      Johann hatte den Arm seines Freundes ergriffen und drückte und zog ihn ungeduldig, das Masut schmerzhaft das Gesicht verzog. Er nahm es dem Blondschopf nicht übel. Er wusste, welche Erleichterung es für Johann sein würde, für immer das Schiff verlassen zu können.

      "Du wirst dich einreiben - mit Kohle."

      Ungläubig starrte Johann ihn an. Wie sollte das gehen? Kohle hielt nicht ewig auf der Haut. Es müsste immer erneuert werden. Und was sollte geschehen, wenn die Gruppe wieder in die Heimat reisen würde? Er konnte doch nicht mit nach Ägypten. Dort gehörte er nicht hin, aber auf dieses Schiff gehörte er noch weniger.

      "Wie soll das gehen? Wenn ich euch begleiten soll, muss ich mich immer wieder mit Kohle einreiben. Wie willst du Stücke davon mitnehmen, ohne dass es auffällt? Wie falle ich nicht auf? Die anderen werden doch merken, dass ich nicht zu euch gehöre. Das ist absolut unmöglich. Es geht nicht."

      Masut musste lachen. Johann machte sich viel zu viele Gedanken. Er hatte nicht alles verstanden, was sein Freund ihm gesagt hatte, aber all diese Sorgen brauchte er sich nicht zu machen. Er sollte die Dinge auf sich zukommen lassen, dann würde man sehen. Entdeckt würde Johann sicherlich, aber er war erst einmal von dem Schiff runter, wo er sich nicht wohlfühlte.

      "Warte ab. Die Zeit wird es zeigen. Dein Schicksal wird dich führen."

      "Schicksal?" Johann war sprachlos. An so etwas wie Schicksal glaubte er nicht. Seit dem Tod seiner Eltern war all das Unglück über ihn hereingebrochen, wie er es sich in seinem noch jungen Leben nicht hatte vorstellen können. Doch was sollte er erwarten? Schlimmer als sein bisheriges Leben konnte es nicht werden.

      "Schicksal, genau. Es hat gewollt, dass wir uns treffen. Es wird dafür sorgen, dass du mit mir kommst." Masut spürte, dass Johann nicht ganz überzeugt war. Die Idee schien ihm zu gefallen, doch er wusste nicht, was ihn erwartete, was aus ihm würde, wenn diese Völkerschau vorüber war. Dies wusste Masut selbst nicht, dennoch wollte er Johann nicht entmutigen. "Du wirst sehen, es wird alles gut werden."

      Johanns Augen begannen zu leuchten. Endlich war der Augenblick gekommen, wo er dieses Schiff verlassen konnte. Seitdem im April die Titanic, die als das modernste Schiff ihrer Zeit galt, mit einem Eisberg kollidiert und gesunken war, obwohl sie als unsinkbar galt, hatte Johann bei jeder Fahrt Angst, dass etwas passieren könnte. Was ihn noch erwarten würde, darüber machte er sich keinen Kopf. Er war beseelt von dem Gedanken mit seinem neuen Freund gemeinsam das Schiff zu verlassen.

      "Dann hole ich die Kohle. Um diese Zeit haben alle mit sich zu tun, und das Vorratslager wird erst am Ende der Reise überprüft. Es wird niemandem auffallen, dass ein paar Stücke fehlen."

      Schnell rannte er zur Luke, sah sich noch einmal kurz um und verschwand in einem hellen Loch.

      Masut blieb allein zurück. Ganz allein war er nicht, seine Dorfnachbarn befanden sich am Ende des Raums und unterhielten sich angeregt. Als er sich mit Johann unterhalten hatte, war er von den anderen argwöhnisch beäugt worden. Glücklicherweise hatten sie nicht verstanden, worüber sie sich unterhalten hatten. Dazu hätten sie der Sprache mächtig sein müssen und das waren sie nicht. Verstanden allenfalls einige Wörter, doch einem Gespräch konnten sie nicht folgen. Aber es würde schwierig werden, Johann als einen der ihren auszugeben. Sie würden ihn nicht akzeptieren, ihn eventuell sogar ausliefern. Dies musste er verhindern und dazu würde ihm der Unheilsbringer in seiner Hand helfen.

      2

       Hamburg-Barmbek, April 2009

      Der Krug hatte den Transport in seine Wohnung heil überstanden und stand nun auf seinem Küchentisch. Er war aus Ton und schien alt zu sein. Die Schriftzeichen hatte er früher einmal irgendwo gesehen. Im Fernsehen, als er durch die Programme gezappt hatte. Die Griechen, Ägypter oder Römer - irgendein altes Volk halt - hatten diese Schrift benutzt. Eine Ahnung hatte er davon nicht. Geschichte war ihm immer fremd gewesen, wie fast die ganze Schule, durch die er sich gequält hatte. Dabei war er nicht dumm gewesen, er war nur einfach nicht mit dem Unterrichtsstil der Lehrer zurechtgekommen.

      In seinem Leben hatte er nie viel Glück gehabt und manchen Schicksalsschlag erlitten. Doch er hatte sich nie unterkriegen lassen. Nun, nach etlichen Jahren des Niedergangs, schien ihm das Glück hold zu sein. Dieser Krug war alt, schien nicht wertvoll zu sein. Doch die Kette war aus purem Gold. Bei dem jetzigen Goldpreis würde er ein hübsches Sümmchen dafür bekommen. Möglicherweise waren auch die kleinen Perlen etwas wert. Er konnte die Kette im Internet anbieten, doch vorher würde er sie schätzen lassen. Wenn er an die Adresse eines verrückten Kunstsammlers kommen könnte, würde er womöglich ein kleines Vermögen für dieses Goldkettchen bekommen.

      Es stellte sich nur die Frage, wo er diese Gegenstände verstecken sollte. Vor allem dieser sperrige Krug stellte ihn vor ein Problem. Er würde noch den passenden Ort dafür finden. Als erstes würde er die Kette schätzen lassen, dann würde er weitersehen.

      Bereits am nächsten Tag machte er sich nach der Arbeit auf den Weg zu einem Juwelier. Dieser sah sich die Kette an.

      "Ein schönes Stück. Woher haben Sie die Kette, wenn ich fragen darf?"

      Für solch eine Frage hatte er sich eine Geschichte ausgedacht, die plausibel schien und keine weiteren Fragen aufwarf. Denn mit so einer Frage musste er rechnen. Diebesgut wurde überall angeboten und gerade bei diesem Stück musste man annehmen, dass es gestohlen war. Ein altes Erbstück sollte es sein, gefertigt zu einer Zeit, als das alte Ägypten eine Renaissance unter der Bevölkerung erlebte. Nach mühevoller Suche im Internet, hatte er schließlich herausgefunden, dass die Motive auf der Kette ägyptisch waren. Er mochte keine Ahnung von Geschichte haben, aber er wusste, wie er sich informieren musste, um das nötige Wissen zu erhalten. In Zeiten des Internets war alles möglich und viel leichter als früher.

      "Geerbt, das Stück befindet sich seit langer Zeit in Familienbesitz."

      Der Juwelier hielt kurz inne, ließ sich aber nichts anmerken. "Aha", sagte er nur. Es klang misstrauisch. Die Kette war weitaus älter, als der Kunde vorgab. Diesen Stil hatte er noch nie gesehen. Jemand, der ein Könner seines Faches war, hatte diese Kette gefertigt. Doch diese Kunstfertigkeit besaß heute niemand mehr. Die Schriftzeichen, so klein