Lara Myles, Barbara Goldstein

In Gedanken bei dir: Sonderausgabe mit vielen Fotos


Скачать книгу

      Okay, jetzt noch das Sushi, das er vorhin am Union Square besorgt hatte: eine bunte Mischung aus Nigiri-Sushis mit Lachs, Thunfisch, Hummer, Garnelen, Muscheln, Roastbeef und exotischen Früchten, aber auch aus California Rolls, die Cassie so liebte.

      In Cassies Regal wollte Nick nach der passenden Musik für romantische Stunden suchen, da entdeckte er die offene CD-Hülle von Dire Straits. Die Disc lag im Player. Hatte Cassie wieder Love over Gold gehört und dabei an Alex gedacht?

      Ihr Ex hatte die CD vergessen, als er vor sechs Jahren seine Sachen in seinen Chevy lud und mit unbekanntem Ziel verschwand.

      Cassie hatte keine Ahnung, wo er steckte.

      Sagte sie.

      Die Eifersucht versetzte ihm einen Stich in die Brust.

      Sie trug noch immer seinen Ring. Und sein Foto lag noch immer in der Schublade ihres Nachttischs, zwischen der Spitze und der Seide ihrer Dessous.

      Unschlüssig starrte Nick auf die leere Hülle in seiner Hand. Schließlich drückte er die Play-Taste.

      In ihrer ersten Nacht in Alex’ Bett in seinem Hotel in Moab hatten Cassie und er immer wieder diese Platte gehört.

      Wie oft hatte Cassie ihm erzählt, wie sie Alex wiedergefunden hatte, nachdem sie ihn verlassen hatte, als sein Telefon klingelte und Shyla anrief. Am nächsten Tag war sie im Arches Nationalpark gewandert und auf den Felsen herumgeklettert. Am späten Nachmittag erreichte sie den Delicate Arch. Die tief stehende Abendsonne reflektierte auf dem Display eines Handys. Cassie zog es aus einer Vertiefung im Fels. Wer hatte es verloren? Bevor der Akku zu schwach wurde, klickte Cassie durch die Telefonlisten und Mails. Nee, oder? Das Handy gehörte Alex. Und jetzt?

      Cassie fasste sich ein Herz und rief Shyla an. Sie war nicht Alex’ Freundin, sondern seine Schwester, die in Sedona wohnte. Alex’ und Shylas Mom war vor kurzem gestorben, und Alex war ins Red Rock Country gefahren, um auf andere Gedanken zu kommen, bevor er nach Hause zurückkehrte, nach San Francisco. Shyla gab Cassie die Adresse des Hotels, in dem ihr Bruder wohnte. Alex freute sich sehr, Cassie wiederzusehen. Er hatte nach ihr gesucht, hatte am Delicate Arch sogar auf sie gewartet. Dabei hatte Alex sein Handy verloren, das Cassie kurz darauf gefunden hatte. Total irre, oder? Sie hatten sich nur um fünf Minuten verpasst.

      Das Gespräch an der Bar beim kühlen Bier und das romantische Abendessen auf den rustikalen Holzbänken in der Wildnis hinter dem Hotel hätte aus einem Roman von Nora Roberts oder Nicholas Sparks stammen können. Der weitere Verlauf des Abends auch: Nach einem mitternächtlichen Spaziergang und einem langen Gespräch über ihre Lebensträume landeten Cassie und Alex schließlich miteinander im Bett. Eine Woche später kehrten beide nach San Francisco zurück, einen Monat später zogen sie zusammen auf das Hausboot, ein Jahr später heirateten sie.

      Nick atmete tief durch. Okay, er versuchte es noch mal bei Cassie. Er wollte sie fragen, wann sie nach Hause kam, aber sie ging nicht ran. Wo steckte sie bloß?

      Nick machte sich Sorgen.

      War das erst vorgestern gewesen, als er hinter einer Tür in der Klinik ein Schniefen hörte? Er war auf dem Weg zu Jolie gewesen, blieb im Gang stehen und lauschte auf das verzweifelte Weinen. Leise öffnete er die Tür der Abstellkammer. Das Licht vom Flur beleuchtete die Regale voller Kisten und Kartons. Medikamente, Latexhandschuhe, Mundschutze. Der Raum schien leer zu sein. Nick wollte die Tür schon wieder hinter sich schließen, als er in der Dunkelheit zwischen den Regalen ein ersticktes Keuchen hörte. Cassie hockte auf dem Boden und weinte. »Es geht mir gut«, flüsterte sie und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. »Ehrlich, es geht mir gut.« Nick ließ die Tür zufallen, tastete sich durch die undurchdringliche Dunkelheit und hockte sich neben Cassie, um sie in den Arm zu nehmen und zu trösten.

      Wo war sie? Und wieso ging sie nicht ans Handy?

      Beunruhigt hockte Nick sich auf die Veranda, um den Blick auf die glitzernde Bay und die gleißende Skyline zu genießen, dann sprang er wieder auf und irrte ziellos umher, bis er schließlich wieder vor dem Schreibtisch stand.

      Der Brief aus Seattle ...

      Nick hockte sich vor Cassies Notebook und zog das Schreiben zu sich heran, das aus etlichen Seiten bestand. Die Blätter, die Cassie unterschreiben sollte, waren mit roten Klebestreifen markiert.

      Seine Hände zitterten, als er die ersten Zeilen überflog.

      Alex hatte die Scheidung eingereicht.

      Seine erste Reaktion? Freude, was sonst! Cassie und er konnten endlich heiraten. Er konnte für Jolie ein richtiger Daddy sein.

      Aber als Nick mit den Scheidungspapieren aus Versehen gegen die Maus stieß und der Screensaver auf dem Monitor erlosch, blieb ihm fast das Herz stehen.

      Alex.

      Kapitel 2

      »Mommy, ich wollte nicht, dass Karen es dir sagt«, schluchzte Jolie an Cassies Brust. Die zarten Schultern unter dem Shirt zitterten und bebten vor Anspannung, vor Trauer, vor Angst, und die Kleine schmiegte sich ganz eng an sie. Mutter und Kind passten ineinander wie zwei Puzzleteilchen. Das Playmobil am Fallschirm hielt Jolie dabei fest in ihrer Hand.

      Mit Jolie auf dem Schoß, den Kopf an ihrer Schulter, saß Cassie auf dem Krankenbett. Die neue Bettwäsche hüllte beide ein wie eine Kuscheldecke. Sanft schaukelnd wiegte Cassie ihre Kleine und summte eine tonlose Melodie, wie damals, als sie sie nach ihrer Geburt zum ersten Mal im Arm hielt. So saßen sie seit einer Stunde, fast regungslos, wie gelähmt vor Schmerz, versunken in eine Umarmung, die Beschützen war, Trost, Zärtlichkeit, Liebe. Die im Moment alles zu sein schien, was beide auf der Welt hatten. Einander, ganz nah.

      Doch wer tröstet eigentlich wen, fragte Cassie sich. Ich meine Kleine, oder sie mich?

      Jolie war einfach unglaublich. Cassie wusste noch, wie traurig Nick gewesen war, als Karen ihnen sagte, Jolie brauche noch eine Chemo. Als sie Nicks bebende Lippen sah, ging Jolie zu ihm, kletterte auf seinen Schoß und lehnte sich gegen ihn, einfach so. Sie sagte kein Wort, sie war nur für ihn da. Sie gab ihm einen Halt, an dem er sich festhalten konnte. Sie bot ihm eine Schulter, an der er seine Tränen vergießen konnte. Als Cassie ihre Kleine später ins Bett brachte und zudeckte, fragte sie, wie sie Nick getröstet hätte. Jolie zuckte mit den Schultern. Sie hätte ihn gar nicht getröstet. Sie wäre nur für ihn da gewesen, damit er weinen konnte.

      Cassie rieb ihre Nase an Jolies pink geblümtem Kopftuch und küsste sie auf die Stirn. »Warum wolltest du nicht, dass Karen es mir sagt?«

      »Weil, ich wollte nicht, dass du ganz doll traurig bist, wenn ich sterben muss. Und dass du wieder so viel weinst.« Jolie öffnete die Finger und betrachtete das Playmobil. Mit dem Daumen strich sie sanft über die schwarzen Haare und das lächelnde Gesicht. Dann schob sie nach: »Und Nick.«

      Zärtlich drückte Cassie ihre Kleine an sich. »Hast du ihn lieb?«

      Jolie nickte. »Ganz doll.«

      Cassie wischte ihr die Tränen aus den Augenwinkeln. »Er hat dich auch ganz doll lieb, Jolie.«

      Die Kleine schloss ihre Finger wieder um das Playmobil und presste es an ihre Brust.

      Eine Träne rann Cassie übers Gesicht, und sie drückte ihre Wange gegen Jolies geblümtes Kopftuch.

      Es tut mir gut, meine Kleine, mein Baby, so zu halten, dachte sie. Als ich sie zum ersten Mal so hielt, ein Neugeborenes, bis zur Nasenspitze in ein flauschiges Badelaken gewickelt, dachte ich, wie schön sie wäre. Und ich stellte mir vor, wie sie bei ihrer Hochzeit aussehen würde, wenn ihr Daddy sie zum Altar führen würde – Alex und ich hatten uns erst neun Monate zuvor getrennt, und die Zeit schwanger ohne ihn war ein Ausnahmezustand katastrophalen Ausmaßes gewesen.

      Als ich mein süßes Baby ansah, stellte ich mir vor, dass Jolie Kinder haben würde, mit denen ich eines Tages herumtoben würde. Karens Diagnose vor zwei Jahren hat diese Träume zerstört und durch eine Hoffnung ersetzt: Dass Jolie geheilt werden kann, dass sie leben darf. Die Rückfälle