Uve Kirsch

Gutland


Скачать книгу

zu klettern. Im verwilderten Garten stand eine Frau und schien zu lachen. Wahrscheinlich die ersten Kaufinteressenten, seitdem der alte Eulend das Seegrundstück geteilt hatte. Wenn er etwas eher gekommen wäre, vielleicht hätte er dem alten Landwirt das ganze Grundstück abschwatzen können. Aber da hatten sie diese Butze schon erworben. Er hasste es, sich das einzugestehen, aber für ein Grundstück von der Größe der ganzen Seewiesen reichten selbst seine finanziellen Mittel nicht. Jetzt hing er hier mit dieser Butze, aber wenigstens Michaela war glücklich und plante den Reitparcours und Stallungen. Wesentlich mehr Sex hatten sie gegenwärtig trotzdem nicht, zumindest nicht miteinander. Aber seit er eine neue Assistentin in seiner Finanzbuchhaltung begrüßen durfte, konnte er sich in dieser Hinsicht wirklich nicht beklagen. Die junge Dame stand auf den Geruch von Gummi und das Reifenlager lag in einer abgeschiedenen Lagerhalle, die nach 15 Uhr praktisch verwaist war.

      Der Chef der polnischen Bauarbeiter, der nur in bar bezahlt werden wollte und dafür keine Quittung ausstellte, stand neben ihm und wartete. Michael Beer schaute auf die alte Fachwerkscheune, die Reihe von hässlichen Stallungen und Verschlägen, die scheinbar wahllos und windschief im hinteren Teil des Grundstücks standen. "Alles abreißen. Alles, bis auf die Scheune", sagte er zu dem Polen. Der zuckte mit den Achseln. "Die Scheune nicht?" "Nein, die nicht. Aus der mache ich später vielleicht ein Gästehaus." Der Pole schüttelte seine schütteren Locken. "Ist bloß noch Ruine." Der Autohändler starrte ihn an.

      "Also gut, die Schuppen abreißen, aber mit bloßen Händen?", gab der Pole nach. Michael Beer überlegte. "Miete dir einen Radlader. Einen sehr großen. Für eine Woche oder so. Das Grundstück muss auch noch planiert werden. " Der Pole zog ab und Michael Beer dachte über eine riskante Idee nach, die sich vor seinem geistigen Auge abzeichnete.

      6. Klettermaxe

      Wulf Lindau war stolz auf seine Kletterkünste, denn den Rückweg über den schmiedeeisernen Zaun hatte er in nahezu perfekter Manier absolviert. Nicht schlecht für sein Alter, befand er und inspizierte zuerst sich und dann die Umgebung.

      Der Anzug war verloren, aber er gab sein Leben für eine gute Sache. Das Haus war der Hammer. Ein Schmuckstück und eine Frage des Geldes. Beim Stichwort "Geld" stutzte er kurz und beschloss, das in Ruhe zu analysieren. Aber eine Perle war die Schule ohne jeden Zweifel. Die beiden Klassenzimmer, der Gymnastikraum, was für ein fantastisches Gebäude!

      Die Finanzen waren ein Problem, aber eines, das sich lösen ließ. Außerdem hockten Katharinas Eltern seit Jahren auf einem dicken finanziellen Polster, für dessen Verwendungszweck sie gottlob noch keine Idee entwickelt hatten. Insgeheim hofften sie auf Nachwuchs, da war er sicher.

      Vielleicht musste man ihnen nur ein lohnendes Ziel für eine sinnvolle Investition bieten? Was konnte es besseres geben als eine Immobilie? Darüber ging eigentlich nur eine Immobilie mit kleinen Kindern. Kindern? Er erschrak über das Wort "Kinder", das in seiner Welt bislang nicht vorkam.

      Im Garten entdeckte er seine Frau, wie sie mit Kennermiene Kletterpflanzen und Stauden betrachtete, etwas, das er so gar nicht an ihr kannte. "Für sie ist die Entscheidung schon gefallen", dachte er. "Aber wieso will sie eigentlich aufs Land ziehen?" Bislang war sie doch ganz zufrieden in ihrer Altbauwohnung in einem überschaubaren Hamburger Vorortviertel. Er musste sich eingestehen, dass seine Entscheidung eigentlich auch schon gefallen war. Er würde nur der Form halber weiter Bedenken aufrecht erhalten, um seine Verhandlungsposition bei späteren Diskussionen günstiger zu gestalten.

      Gegenüber stand ein gedrungenes altes Bauernhaus in einem verwilderten Garten. "Ein Hutzelhäuschen, nett, aber zu klein. Gut, dass wir das nicht gekauft haben", dachte er. "Zu klein, besonders, wenn man Kinder will." Er zuckte wieder bei dem magischen Wort zusammen.

      Katharina blieb verschollen in den Tiefen des Gestrüpps. Auf dem Nachbargrundstück stand ein Bauschild. Ein braun geklinkertes Fertighaus mit vielen kleinen Erkern war darauf abgebildet. Darunter stand der Name des Bauunternehmens. Das Grundstück war ein Obstgarten mit knorrigen alten Apfelbäumen und einem riesigen Nussbaum in der Mitte. Am Rand standen ein paar hässliche, deplatzierte Tannen. Tannen in einem Obstgarten? Neonrote Holzpflöcke markierten die Gebäudegrenzen. Es würde ein großes Gebäude werden, aber stinklangweilig, wenn es so aussah wie auf dem Bauschild. Zwischen dem ausgepflockten Grundriss und der Schule standen mehrere Obstbäume. Mehr als ein Dutzend Schritte Abstand zwischen den Häusern, eine kleine Hecke würde Privatsphäre schaffen. Er ging zurück zum Schultor. Katharina inspizierte noch den zukünftigen Garten. Er betrachtete das Dorf und den eichenbestandenen Anger. Die kleine Kirche duckte sich unter das Blätterdach der knorrigen Bäume.

      Eine enorme Linde markierte die Dorfkneipe und spendete Schatten für den Biergarten. Nett und noch ziemlich ursprünglich. Das Dorf war auf halber Strecke steckengeblieben zwischen Ostalgie und Bauhauscharme. Viel der historischen Bausubstanz war noch vorhanden, hatte abgestoßene Ecken und Patina angesetzt, aber der Charme des ursprünglichen Dorfes war überall noch spürbar. Es ging aufwärts, das sah man. Einige der historischen Bauernhäuser waren frisch renoviert und sonnten sich in ihrem neuen Glanz. Er erinnerte sich an die Fahrt durch das Dorf, an die Gebäude abseits vom Anger. Es gab Siedlungshäuser aus den Fünfzigern, klein, schmucklos und grau. Ein modernes Sportfeld am Rande des Sees mit einer großen überdachten Tribüne deutete auf die Erfolge des lokalen Sportvereins hin. Landesliga vielleicht, oder Regionalliga. Gab es die in Mecklenburg-Vorpommern überhaupt? Er nahm sich vor, den Kicker zu befragen. Eine neue große Siedlung mit Einfamilienvillen und Doppelhäusern aus dem Fertighauskatalog verschönerte den Hügel am Ortsrand. Etwas abseits ragten zwei fünfgeschossige Plattenbauten in WBS70-Bauweise aus dem umliegenden Kleingartengebiet hervor. Eine farbliche Neugestaltung war auf der Höhe des zweiten Obergeschosses abgebrochen worden. "Typisch Osten, " dachte er, "aber damit kann man leben." Gab es hier einen Supermarkt? Zumindest die Dorfkneipe hatte er entdeckt. Er schwitzte in seinem viel zu warmen, ramponierten Anzug. Er hatte großen Durst und besonders viel Hunger. Er drehte sich um, rief nach seiner Frau und klaubte einige Disteln von seinem Hosenbein, während er auf sie wartete.

      7. Macht kaputt was euch kaputt macht

      "Ein Lehmziegelhaus ist doch stabiler als man vermutet", dachte Michael Beer, nachdem er beidhändig und mit aller Wucht einen Vorschlaghammer gegen die tragende Mittelwand gedroschen hatte. Die Wand zeigte keine Reaktion. Im Gegensatz zu ihm, denn er schwitzte. Triefend vor Schweiß legte er den Hammer beiseite und schaute aus dem Fenster. Die Stallungen und Verschläge waren zu einem großen Trümmerhaufen eingedampft, der so hoch war wie die alte Scheune, die als einziges Gebäude übrig geblieben war. "Warum eigentlich?", dachte Michael Beer flüchtig und verlor sich in Phantasien an einen großen Swimmingpool, den er in Gedanken an die Stelle der Scheune platzierte.

      Ein Radlader stand einsam vor dem Schutthaufen und sah so aus als schäme er sich seiner Taten, doch der Blick auf das Hinterland war nun frei. Er sah Holzpflöcke und kleine bunte Fähnchen, die irgendetwas markierten. Seine Frau führte einen Schimmel am Halfter über die Wiese. In Reitermontur sah sie immer noch hoch attraktiv aus.

      Er dachte an die junge Assistentin der Finanzbuchhaltung, Janine hieß sie, die so oft Überstunden machen musste, dass es langsam Aufmerksamkeit bei der Personalleitung erregte. Ihre Brüste waren gigantisch. Sie zogen ihn an wie Honig die Fliegen. Das konnte man von Michaelas Brüsten nicht mehr guten Gewissens behaupten. Ihr Alter forderte seinen Preis.

      "Gibt es ein Leben nach vierzig?", fragte er sich "und werden Janines Glocken dann immer noch prall aussehen?" Er fühlte sich schuldig, als er seine Frau anmutig über die Weide reiten sah. Was war es, das ihn an ihr störte? Er dachte nach. Wieder kam er nicht weg von dem Bild der hüpfenden prallen Dinger der Assistentin. Ganz klar, die Brüste seiner Frau brauchten eine Auffrischung. So einfach war die Sache. Das würde deutlich mehr Schwung in ihr Eheleben bringen, da war er sicher.

      Wo konnte man so etwas machen lassen? Bestimmt nicht beim Hausarzt. Aber den konnte man zumindest fragen. Das war schon mal ein Anfang.

      8.