Joachim Koller

Bittersüßer Rakomelo


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nach Kreta?

      Princess26: In zwei Wochen. Wenigstens gibt es einen Sandstrand dort, vielleicht werde ich auch diese Bar besuchen, von der Du geschrieben hast.

      MannMitNiveau35: Porto Paradiso, ja würde ich versuchen. Und was für einen Job machst Du dann genau, weißt Du das schon?

      Princess26: Mein Vater hat schon immer gehobene Positionen innegehabt. Zuletzt in einer Import-/Exportfirma in Russland. Auf jeden Fall gut bezahlt.

      MannMitNiveau35: Du schreibst immer nur von Deinem Vater, was ist denn mit Deiner Mutter?

      Princess26: Sie ist schon vor ungefähr 20 Jahren gestorben.

      MannMitNiveau35: Das tut mir leid.

      Princess26: Schon okay, kannst Du ja nicht wissen. Jedenfalls werden wir in Südamerika ein neues Leben anfangen, Geld genug hat mein Vater auf der Seite.

      MannMitNiveau35: Also zuerst Kreta und dann gleich weiter über den Ozean?

      Princess26: Ganz genau. Wenn ich hier abfliege, wird mich Wien nicht so schnell wiedersehen.

      MannMitNiveau35: Dafür dann ein neues Leben im passenden Ambiente in Südamerika.

      Princess26: Ja, nach dem Rückschlag in Kreta. Aber mein Vater hat eine große Villa, die werde ich schon genießen können.

      MannMitNiveau35: Es gibt auch noble Gegenden auf der Insel. Vor allem wenn Dir Silberschmuck lieber ist, als Gold.

      Princess26: Ich werde ein paar Wochen Zeit haben, um es herauszufinden.

      MannMitNiveau35: Genau, Maria. Auf jeden Fall wünsche ich Dir einen schönen Aufenthalt in Kreta und mögen Deine Träume und Wünsche wahr werden.

      MannMitNiveau35: Und eine schöne Nacht noch.

      Princess26: Moment! Warum nennst Du mich Maria?

      Princess26: Woher weißt Du meinen Namen? Kennen wir uns?

      Princess26: Bist Du noch da? Kennen wir uns?

      MannMitNiveau35 ist nicht mehr im Chat.

      Während Princess26, alias Maria, ratlos vor ihrem Computer saß und die Unterhaltung nochmals durchlas, hatte nur wenige Kilometer entfernt ihr Chat-Partner das Internetfenster schon geschlossen. Auf seinem Computer waren noch andere Fenster geöffnet. Eines davon zeigte Marias Bildschirm, in einem anderen schrieb er gerade mit seinem Freund.

      »Hast Du alles erfahren, Bruder? Hat sie Dir verraten, wann sie komme wird?«, stand als letzte Meldung.

      »Wann sie kommen wird, heißt das. Ja, hat sie. Wir haben noch zwei Wochen Zeit, um alles vorzubereiten«, tippte er. Nebenbei sah er, wie Maria ihre Unterhaltung immer wieder durchlas. Wahrscheinlich wunderte sie sich immer noch, woher er ihren Namen gewusst hatte.

      »Ich freue mich schon, Dich wieder zu sehen. Melde Dich, wenn Du genau weißt, wann Du bei uns ankommst«, erschien am Bildschirm.

      »Mache ich. Auch ich freue mich schon auf meinen griechischen Bruder! Bis bald, schöne Grüße an Despina.«

      Während sein griechischer Bruder ebenfalls verschwand, ging er die privaten Ordner durch, die er im Verlauf der Unterhaltung von Marias Computer kopiert hatte. Der Chat mit ihr war nicht nur informativ, es war auch eine ideale Möglichkeit, um Zugriff auf ihren Computer zu bekommen.

      Neben unzähligen Unterlagen aus diversen Studien, waren zwei Ordner besonders interessant für ihn.

      Der Erste enthielt einige Briefe. Maria war sehr unvorsichtig, denn sie hatte ihre Droh- und Erpressungsbriefe an einen Professor abgespeichert. Schnell war klar, dass sie ihren guten Studienabschluss weniger ihrer Lernbereitschaft zu verdanken hatte, sondern ihrem Körpereinsatz.

      Im zweiten Ordner befanden sich dementsprechende Bilder. Vierzig Stück, alle von einem Urlaub am Meer. Zuerst waren es ganz harmlose Fotos, bei denen Maria vor einem Brunnen und in der Hotelanlage stand. Dann gab es aber auch Bikinibilder und sehr intime Schnappschüsse, bei denen sie alles zeigte.

      »Dein Vater und Du, ihr werdet uns noch kennenlernen«, murmelte er mit einem verschwörerischen Grinsen.

      Kapitel 1

      Das Flugzeug hatte gerade erst die Motoren abgeschaltet, als die ersten Passagiere aus ihren Sitzen hochsprangen.

      »Meine Damen und Herren, im Namen von Air Berlin heiße ich sie herzlich willkommen auf Kreta. Bitte bleiben Sie noch so lange sitzen, bis das Anschnallzeichen über Ihnen erloschen ist. Die Ortszeit ist neun Uhr zehn und es erwartet Sie ein sonniger, wolkenloser Tag. Aktuell haben wir 28 Grad, als Tageshöchstwerte werden über 35 Grad vorhergesagt. Vielen Dank, dass Sie mit uns geflogen sind, im Namen der gesamten Crew wünsche ich Ihnen einen schönen Aufenthalt auf Kreta.«

      Nur wenige lauschten der Ansage des Piloten.

      In einer der hinteren Reihen saß Ryan am Fenster und blickte auf das etwas entfernte Flughafengebäude.

      Ihr habt es alle so eilig, dachte er mit einem Lächeln auf den Lippen. Vermutlich würden die meisten Personen eine oder zwei Wochen auf der Insel bleiben, da zählte jede Minute. Ryans Rückflug war noch nicht gebucht. Sein Chef rechnete mit vier Wochen, bei Bedarf könnte er aber auch länger bleiben.

      Ryan war auch beruflich mit Griechenland verbunden, er arbeitete als Chauffeur des griechischen Botschafters in Wien. Der Botschafter schätzte ihn sehr, weshalb er auch großes Vertrauen in ihn setzte. Denn der Grund seiner Reise nach Kreta war nicht, um sich zu erholen. Dieses Mal ging es um ein sehr persönliches Anliegen.

      Er strich sich mit beiden Händen durch seine kurz geschorenen dunkelblonden Haare und schnappte sich seinen Schnellhefter, dessen Inhalt er inzwischen auswendig konnte.

      Die Türen wurden geöffnet und die Fluggäste drängten ins Freie.

      Als einer der Letzten, stand Ryan auf der Gangway zum bereitstehenden Bus. Warme Luft blies ihm entgegen. Obwohl es erst kurz nach neun Uhr morgens war, brannte die Sonne schon mit voller Intensität und trieb Ryan die Schweißperlen auf die Stirn. In Wien flog er bei Regen und kühlem Wetter ab, nun schwitzte er in seiner langen Jeans, Hemd und Lederjacke. Dabei wusste er nur zu gut, wie das Wetter Mitte Juni auf Kreta war.

      Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht. Ryan blinzelte und stieg die Treppen hinab, als er neben dem Flughafenbus einen schwarzen Jeep sah, dessen hintere Scheiben verdunkelt waren. Neben der geöffneten Fahrertür stand Ryans bester und längster Freund, Tákis, in schwarzer, knielanger Hose und schwarzem Trägerleibchen.

      Der groß gewachsene, muskulöse Mann war fünfunddreißig Jahre und damit ein Jahr jünger als Ryan. Mit seiner kräftigen, durchtrainierten Statur und den langen, tiefschwarzen Haaren machte er fast einen bedrohlichen Eindruck.

      Tákis und Ryan kannten sich seit ungefähr dreißig Jahren. Es war damals einer der ersten Urlaube von Reinhard Kurzmann, wie Ryan dem Reisepass nach hieß. Mit seinen Eltern, die als Lehrer immer ausgedehnte Sommerferien machten, verbrachte er mehrere Wochen auf Kreta und lernten dabei Tákis' Familie kennen. Die beiden Kinder waren trotz der Sprachbarriere vom ersten Tag an unzertrennlich. Es folgten weitere regelmäßige Urlaube, Ryan lernte Griechisch, Tákis Deutsch und die Freundschaft vertiefter sich mit den Jahren. Tákis hatte Ryan inzwischen auch schon mehrmals in Wien besucht und Ryans Urlaube fanden fast ausschließlich auf Kreta statt. Als Tákis Vater vor sechs Jahren bei einem vermeintlichen Unfall ums Leben kam, war Ryan ein Monat lang auf Kreta gewesen, um seinem Freund beizustehen. Zusammen mit Tákis' jüngeren Geschwistern, eine Schwester und ein Bruder, lebte er damals bei der Familie Komotini in Melidoni. Mama Komotini sagte am Ende seines Aufenthalts etwas zu Ryan, was für ihn die größte Ehre war:

      »Du bist mehr als nur ein Freund, Du bist ein Bruder von Tákis, ein Teil unserer Familie.«

      Für eine Frau wie Mama Komotini, der die Familie heilig war, war das die größte Anerkennung, die sie aussprechen konnte.

      Ihr letztes persönliches Treffen